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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872)

eines akademischen Künstlers erworben und sein Bruder ist der bekannte Dombildhauer Friedrich in Straßburg. Frau Friedrich, oder wie sie im Volksmunde genannt wird, „Motter Friedrichen“, wohnt mit ihrem Manne seit siebenundvierzig Jahren in diesem kleinen Hause, und auf der Pfaueninsel gewesen sein und Mutter Friedrich nicht begrüßt zu haben, das wäre eine mißglückte Partie und ein beschämendes Eingeständniß.

Mutter Friedrich gehört zur Pfaueninsel, wie die Farbe zu einem Bilde, wie der Trumpf zu einem Stiche, wie das Wunder zum Märchen, wie die vergangene Stunde zur jetzigen. Das Geräusch der Schritte auf dem Kiese hat sie aufmerksam gemacht, daß wieder ein Besuch, wie so viele des Tages, ihrem Hause nahet; sie erscheint in der Thür, eine untersetzte, corpulente Frau, mit einem milden, gutmüthigen Gesicht, in dessen Falten vierundachtzig Jahre eingeschrieben stehen. Sie trägt ein graues Wollenkleid, eine recht vollkommene Schürze mit weiten großen Taschen und eine Haube mit einer dicken Garnirung. Sie sieht uns mit forschenden, vielleicht etwas mißtrauischen Blicken an und nimmt sich einige Zeit, unsern freundlichen Gruß zu erwidern. Wir bitten ganz demüthig um eine Tasse Kaffee oder ein Glas Bier.

„Wenn Jette noch was hat, na meinetwegen,“ ist die Antwort.

Jette ist das Factotum und schon fünfzehn Jahre im Hause. Jette hätte nach der Versicherung ihrer Herrin schon oft Partien machen können, aber sie will von den beiden alten Leuten nicht eher weg, als bis diese selbst weg sind. Es wird von Mutter Friedrich immer im Zweifel gelassen, ob Jette noch etwas zu trinken und zu essen hat, aber Jette hat immer noch etwas. In Bezug auf ihre Gäste weiß Mutter Friedrich feine Unterschiede zu machen. Sie theilt sie in solche, die ein Trinkgeld an Jette geben, und in solche, die keins geben. Jene werden als Hausfreunde behandelt, von denen sie als Zeche nur die Auslage nimmt, Diese als Fremde nach dem Tarif großer Restaurationen. Wehe Dem, der mit dem Anspruch eines Rechtes, getränkt und gespeist zu werden, hierher kommt, wer nicht honigsüße Worte zu geben weiß, wenn auch der Magen knurrt und die Lippen verschmachten! Namentlich hat Mutter Friedrich die Berliner auf dem Zug, wenn die so ankommen: „Heda! Wirthschaft, Kellnér!“ dann stellt sie sich in Positur:

„Hier ist keene Wirthschaft, hier ist och keen Kellner, sondern nur ne Jette, ick habe für Sie nischt zu essen und zu trinken.“

„Aber erloben Sie, mein Madameken, da unten sitzen ja Gäste.“

„Ick bin nicht Ihr Madameken, die Gäste gehn Ihnen jar nischt an, ick kann mir in die Laube setzen, wenn ick will, und wenn Sie wieder nach der Pfaueninsel kommen, denn bringen Sie nur Ihre Schinkenstullen mit. Wenn ick will, brauch’ ick jar Keenen hier einzulassen.“

Dann ist auch alles Bitten umsonst; dann wird Mutter Friedrich, die sonst so gut und bieder ist, geradezu feindlich und treibt mit dem Schwerte ihrer Worte die Sünder aus dem Paradiese, das ihnen da unten in einem stillen Plätzchen in der lauschigen Laube erschienen war. So mußte eines Tages selbst Herr von Bismarck in Begleitung zweier Freunde abziehen. Mutter Friedrich ist eine wohlsituirte Frau; sie hat es nicht nöthig, mit Gästen sich abzumühen, es ist eine Gefälligkeit von ihr, und um dieser theilhaftig zu werden, muß man bei ihr in aller Form vorgestellt und eingeführt sein, ihr aus der Stadt etwas Neues erzählen, ober, womit man sich ihre besondere Gunst erringt, einen Sahnentopf in ihre Küche spenden. Dann hat man bei ihr gewonnen, dann kann man ihr auch ein Billet schreiben und sich für den nächsten Tag zu einem kleinen Mittagsessen ansagen. Die Küche in dem kleinen Maschinenhause ist ein Unicum an Reinlichkeit und Originalität; das Messing an dem Herde und an den Gefäßen glänzt, als ob es aus purem Golde wäre; an den weißlackirten Küchenbrettern hängen etwa dreihundert Sahnentöpfe in allen Formen und Farben aus Porcellan, Glas oder Metall; es sind lauter Geschenke, die Mutter Friedrich erhalten hat, und wenn sie die Namen der Geber nennt, so macht man gleichsam einen Cursus aller Persönlichkeiten durch, die in den letzten vierzig Jahren am Hofe, in der Regierung oder in dem öffentlichen Leben des preußischen Staates irgend eine Rolle gespielt haben. Im Staatsleben, Kunst oder Wissenschaft haben sie sich durch ihre Thätigkeit, bei Mutter Friedrich durch ihre Sahnentöpfe verewigt. In einem Glasschranke sind die raren Sachen aufbewahrt, die Geschenke von Fürstlichkeiten oder gekrönten Häuptern.

Nachdem einmal ein hoher Herr die scherzhafte Aeußerung gemacht hatte, daß die Sammlerin Alles aufhinge, ließ sie die Geschenke, die von dieser Seite kamen, aufstellen. Mit Stolz zeigt sie auf ein weißes vergoldetes Chocoladenservice, das nur noch einmal im Besitze des Kaisers existirt und dessen Form in der königlichen Porcellan-Manufactur in Berlin nach Herstellung der beiden Exemplare zerstört wurde. Es ist ein Geschenk des Königs nach dem Kriege von 1866; auf dem einen steht verzeichnet: „7. Juni 1866“, auf dem andern: „23. September 1866“. Das erstere Datum bedeutet den Tag, an welchem der König zum letzten Male vor dem Kriege, das letztere den Tag, wo derselbe zum ersten Male nach dem Kriege wieder auf der Pfaueninsel bei Mutter Friedrich erschienen war. Die sogenannte „Vonderheydtlaube“ am Wasser ist der Ort, wo in Bezug auf die Ereignisse jenes Jahres entscheidende Entschlüsse gefaßt wurden, und heute noch behauptet Mutter Friedrich zu allererst damals gewußt zu haben, daß Krieg würde; denn an diesem Tage wurden ihr Haus und Gärtchen nicht leer von Ministern und Generalen, die zum Könige gingen, und die Depeschen kamen „wie die Schloßen vom Himmel“, und damals habe ihr gleich so was geschwant.

Es herrscht im preußischen Königshause von je her eine patriarchalische Familiarität zwischen den einzelnen Mitgliedern und alten, treuen, bewährten Dienern desselben. Ein solches Verhältniß ist es auch, das die Herrschaften mit Mutter Friedrich verbindet; es vergeht kaum eine Woche, wo nicht die eine oder die andere prinzliche, die kronprinzliche Familie oder der Kaiser selbst auf der Pfaueninsel erscheint und bei ihr zu Mittag ißt oder das Abendbrod einnimmt. Dann darf Mutter Friedrich ganz ungenirt in die Laube kommen und in ihrer gewohnten Weise mit den Herrschaften das Gespräch unterhalten; sie hat das Vorrecht, zu sagen, was einem Anderen und Vornehmeren nicht erlaubt wäre, sie nimmt sich aber auch gar kein Blatt vor den Mund und erzählt alles, was sie so hört und erlebt hat, in ihrer ungeschminkten treuherzigen Weise, nimmt auch wohl gar keinen Anstand, dazwischen einmal in die Küche zu rufen, daß Jette nicht vergißt, den Braten zu begießen und den Auflauf einzurühren. Mit großer Liebe hängt die jüngste Generation des Königshauses an ihr, obgleich sie sich gar nicht scheut, den Prinzchen und Prinzeßchen manchmal derbe Wahrheit zu sagen, und als neulich der jüngsten Einer, dem sie einen Kuchen zu schenken pflegte, was sie aber damals übersah, ihr damit drohte, daß er nicht wieder kommen würde, war ihre Antwort:

„Na, denn kommen Sie eben nicht wieder, denn ist ooch nischt dran gelegen.“

Sie wird von allen Gliedern der königlichen Familie hoch geehrt und durch Aufmerksamkeiten und Geschenke ausgezeichnet. Vor einigen Jahren feierte sie mit ihrem Eheherrn ihre goldene Hochzeit. Das war ein Fest für die Insel und die Umgegend! Es kanten die Adjutanten und Hofdamen im Auftrage ihrer Herrschaften mit Glückwünschen und mit Sträußen und Geschenken, es kamen aus Potsdam die Ersten und Vornehmsten, „ihr das Compliment zu machen“, so daß sie, nach ihrer Aeußerung, gar nicht mehr wußte, wer sie war, und wirklich glauben konnte, sie sei über Nacht etwas Besonderes geworden, so hätten sich die Leute „mit ihr gehabt“, und Sachen habe sie bekommen, so fein und kostbar, daß sie sie im Leben nicht brauchen könne. Aber auch sonst, wenn „bei Kronprinzens“ etwas Kleines ankommt, ist Mutter Friedrich die Erste, die es außer der Umgebung sehen darf; sie ist auch immer bei der Taufe zugegen, und als sie einst ein großer berühmter General, der alle Welt duzt, da sah, redete er sie an:

„He, Mutter Friedrich, wo kommst denn Du her?“

„Na, gerade so wie Sie, Excellenz – zu Wagen,“ war ihre Antwort.

Ihr glücklichster Tag jedoch war, nach ihrer Erzählung, als „nach dem neuen schrecklichen Franzosenkriege“ eines Mittags eine Barke auf ihr Haus zukam und ihr königlicher, nunmehr kaiserlicher Herr ausstieg, und sie ihm entgegenging, vor Freude und Ehrfurcht fast in die Kniee sinkend, und wie er ihr entgegenkam,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872). Leipzig: Ernst Keil, 1872, Seite 28. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1872)_028.jpg&oldid=- (Version vom 27.8.2018)