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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872)

Sie sah nur den Kerzenglanz, die bunte, festlich geschmückte Menge, hörte nur die rauschende Musik, alles Andere existirte nicht für sie. Der rosige Mousselin wogte leicht und luftig um die kleine Elfengestalt. Die Rosen in den Locken dufteten und zitterten, als sie so in den Armen des Grafen dahinschwebte. Das jugendliche Wesen war ganz aufgelöst in Freude und Tanzlust und hatte kaum eine Ahnung davon, wie bezaubernd lieblich es in dieser Erregung erschien.

Ihr Tänzer hatte und so mehr Augen dafür. Der junge Graf, gewohnt, überall nur der Coquetterie und Berechnung zu begegnen, deren Ziel meistentheils seine Hand war, schien seltsam angezogen von diesem Kinde, das sich noch so ganz kindlich und unbefangen gab, gar nicht daran dachte, sein Entzücken an dem Feste zu verhehlen, und sicher mit dem jüngsten Sohne irgend eines unbedeutenden Landedelmannes ebenso gern tanzte wie mit dem Erben von Rhaneck. Es war einmal etwas Neues, Ungewöhnliches, dem seine gleichgültige Blasirtheit allmählich zu weichen begann. Die schlaffen Züge Ottfried’s gewannen Leben, in seine matten Augen kehrte das Feuer zurück, während er sich in Artigkeiten und Aufmerksamkeiten aller Art erschöpfte und nicht ohne Erfolg. Der Graf hatte nicht umsonst die hohe Schule in den Salons der Residenz durchgemacht und sich dort in den Ruf der Unwiderstehlichkeit gebracht, um diesen Ruf einem sechszehnjährigen Mädchen gegenüber nicht mit Glück zu behaupten; er konnte glänzen mit seiner Unterhaltungsgabe, wenn er wollte, und heute wollte er es entschieden. Immer kühner und kühner drangen seine Schmeicheleien in Luciens Ohr. Noch lachte sie unbefangen dazu; aber ihr Köpfchen begann bereits zu wirbeln; allerlei romantische Pensionsideen flatterten darin auf. Der gewandte, in allen Künsten der Eroberung erfahrene Weltmann war auf dem besten Wege, das junge unerfahrene Herz in seine gefährlichen Netze zu ziehen.

Da auf einmal zuckte das junge Mädchen leise zusammen und hielt mitten im Tanze inne. Der Graf bemerkte es.

„Wünschen Sie aufzuhören, mein Fräulein?“ fragte er artig. Lucie schüttelte leise das Haupt und tanzte weiter; aber das, was sie vorhin wie ein jäher Stich durchfahren, schmerzte noch, als Ottfried, nachdem er nochmals den Saal mit ihr umkreist hatte, jetzt von selber innehielt. Sie war wieder den „Gespensteraugen“ begegnet, die sie schon einmal so sehr erschreckt hatten, und wendete jetzt langsam und scheu ihren Blick dem Orte zu, wo sie leuchteten.

Der Graf fing diesen Blick auf, dessen Ausdruck nicht mißzuverstehen war. „Pater Benedict scheint Ihnen Furcht einzuflößen, mein Fräulein,“ sagte er spöttisch. „Ich muß bekennen, daß auch mich in seiner Nähe ein gewisses Unbehagen beschleicht, trotzdem er der erklärte Günstling meines Vaters und Oheims ist. Der Fanatiker haßt Alles, was Freude und Jugendlust heißt! Sieht er nicht aus, als wollte er das ganze Tanzgewühl und vor Allem uns Beide bis in die fernsten Tiefen der Verdammniß schmettern?“

Lucie hätte bei jeder andern Gelegenheit mitgelacht und mitgespottet, in diesem Augenblicke aber vermochte sie es nicht. Die hohe finstere Gestalt, welche dort an der Thür lehnte, einsam inmitten der bunten hin- und herfluthenden Menge, von der Keiner Lust bezeigte, sich dem düstern einsilbigen Gaste zu nahen, übte einen beängstigenden Einfluß auf sie aus. Das Antlitz des jungen Mönches hatte freilich nicht mehr jenen kalt verächtlichen Ausdruck, mit dem er beim Beginn des Festes das profane Gewühl um sich her betrachtete. War es Einbildung? Aber es schien Lucien, als suchten jene düster brennenden Blicke einzig sie und ihren Tänzer in diesem Gewühl, als folgten sie ihnen durch alle Verschlingungen des Tanzes, und als Ottfried jetzt auf’s Neue den Arm um sie legte und ihre langen braunen Locken dabei seine Schulter berührten, da flammten die unheimlichen Augen plötzlich auf, nur einen Moment lang; aber das junge Mädchen schmiegte sich, wie Schutz suchend, fester an den Arm des Grafen – er hatte Recht, der Fanatiker dort hätte sie Beide am liebsten zerschmettert mit diesem Blick!

Ottfried mißverstand natürlich diese Bewegung und er mißverstand auch völlig die Befangenheit, die sich seiner Tänzerin auf einmal bemächtigte und ihrem eben noch so frohen Lachen, ihren bisher so neckischen Antworten etwas eigenthümlich Gezwungenes gab. Er hielt für seinen Triumph, was doch nur jene räthselhafte Angst war, die Lucie hier in dem hellen menschenvollen Saale mit derselben Gewalt überkam, wie einst mitten in der Einsamkeit des Waldes. Ihr Vergnügen am Tanze war gestört; sie war unruhig, zerstreut und athmete erst auf, als nach Beendigung des Walzers der Gegenstand ihrer Furcht verschwand und statt dessen die Gestalt ihres Bruders sich in der Nähe zeigte.

Ottfried führte sie zu einem Sitz, und das junge Mädchen hatte kaum dort Platz genommen, als mehrere Herren, durch das Beispiel des Grafen ihren aristokratischen Zweifeln entrissen, ebenfalls hereintraten, um sich um die nachfolgenden Tänze zu bewerben. Es schien, als hätte ihnen Ottfried gern den Vorzug streitig gemacht; aber der Sohn des Grafen Rhaneck hatte gesellschaftliche Verpflichtungen gegen verschiedene vornehme Damen, denen er nachkommen mußte, wollte er nicht den Zorn des Vaters auf sich laden, der jedenfalls schon die Freiheit, die er sich genommen, mit Mißfallen betrachtete. Mit einem kaum verhehlten Unmuthe trat er zurück, verneigte sich vor Lucie und ging, eine schon etwas verblühte Comteß aufzufordern, die sofort das ganze Feuer ihrer Coquetterie auf ihn spielen ließ, aber ohne allen Erfolg. Der junge Graf hatte sich noch nie so unempfindlich gezeigt wie gerade heute. Er entledigte sich so schnell wie möglich der Etiquettenpflichten, und es glückte ihm wirklich, im Laufe des Abends noch mehrere Male jenes reizende kleine Wesen in die Reihen zu führen, das, zur großen Indignation der übrigen Damen, ihn gänzlich bezaubert zu haben schien.

Günther, der nur erschienen war, um sich zu vergewissern, daß seine Schwester nicht etwa an der Seite ihres Tänzers blieb, kehrte, als er sie anderweitig versagt wußte und nachdem er sie einer der älteren Damen mit einigen Worten empfohlen, wieder zu der übrigen Gesellschaft zurück, wo er bald auf’s Neue von dem Prälaten in ein eingehendes Gespräch verwickelt und dabei festgehalten wurde. Drinnen im Tanzsaal war schon seit einiger Zeit eine größere Pause eingetreten, als es ihm endlich gelang, sich loszumachen und nach Lucie zu sehen. Sie war nicht im Saale, und auch auf der Terrasse, von woher ihm das Lachen und Plaudern der anderen Paare entgegenscholl, die dort promenirten, konnte er sie nicht entdecken. Unruhig darüber, wollte er seine Nachforschungen eben weiter ausdehnen, als die Gesuchte plötzlich eintrat, allerdings auch von der Terrasse her, und zwar am Arme des Grafen Ottfried, der seit dem letzten Tanze nicht von ihrer Seite gewichen war.

Das Antlitz des jungen Mädchens zeigte nichts mehr von jener augenblicklichen Befangenheit und Zerstreutheit, das war längst vorüber; jetzt strahlte dort unverkennbar ein kindischer Triumph, und es glühte dunkel auf unter dem Auge des Bruders, der sie und den Grafen mit einem scharfen Blick musterte. Er trat rasch auf sie zu.

„Wo warst Du?“ fragte er kurz, „ich habe Dich überall gesucht!“

„Ach, Herr Günther,“ Ottfried konnte auch gegen Bürgerliche verbindlich sein, wenn sie schöne Schwestern besaßen, „das dürfen Sie der jungen Dame nicht zum Vorwurf machen. Ich führte sie ein wenig auf die Terrasse hinaus und war eben so glücklich, auch die Zusage des nächsten Tanzes von ihr zu erhalten.“

„Das bedauere ich, Herr Graf.“ Günther zog ruhig den Arm seiner Schwester aus dem des Grafen und legte ihn in den seinigen. „Lucie tanzt heute zum ersten Male und ich wünsche nicht, daß sie es übertreibt. Sie ist erhitzt und ermüdet, und wird für diesmal aufhören, wir fahren ohnedies bald.“

„Aber, mein Herr!“ Die Stimme Ottfried’s nahm einige Schärfe an. „Das Fräulein hat bereits über den Tanz disponirt und ich habe doch wohl das Recht –“

„Gewiß, Herr Graf! Aber Sie werden dies Recht sicher nicht in Anspruch nehmen, da Sie hören, daß ich von dem allzuvielen Tanzen nachtheilige Folgen für meine Schwester befürchte. Sie gestatten wohl, daß ich sie mit mir nehme.“

Die Entgegnung klang sehr höflich, aber sie schnitt alle und jede Einwendung von vornherein ab. Ottfried biß sich auf die Lippen und trat zurück, vorher jedoch wechselte er noch einen Blick offenbaren Einverständnisses mit Lucie. Diese war im ersten Moment ganz starr vor Staunen und Schrecken über diesen unerwarteten Eingriff des Bruders, und schien sehr geneigt, sich dagegen aufzulehnen, aber ein Blick auf sein Gesicht ließ sie davon

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872). Leipzig: Ernst Keil, 1872, Seite 55. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1872)_055.jpg&oldid=- (Version vom 17.1.2018)