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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872)

aus leichtgläubigen und leichtsinnigen Spielern, die erst zur bessern Einsicht gelangen, wenn auch die allerbeste Einsicht nicht mehr hilft.

Der Wirth solcher Spielhöllen macht immer gute Geschäfte; denn bis Mitternacht nimmt er fünf Procent von jedem Einsatz; nach Mitternacht aber zehn Procent, was bei dem oft sehr hohen Einsatz ein schönes Sümmchen abwirft. Ich brauche nicht erst besonders zu erwähnen, daß diese Wirthe die durchtriebensten Schurken sind und alle Kniffe und Pfiffe aufbieten, um eine eben so zahlreiche als ergiebige Kundschaft herbeizulocken. Sträubt sich Einer aus Furcht vor der Polizei, eine solche Spielhölle zu besuchen, so weiß der Wirth den Furchtsamen dadurch zu ermuthigen, indem er ihn bei Seite nimmt und ihm in’s Ohr flüstert, daß die Polizei selbst durch Geld und gute Worte angeködert worden und das Etablissement also von den Dienern der öffentlichen Sicherheit nichts zu besorgen habe. Der Leichtgläubige nimmt diese Versicherung für baare Münze an und verliert sein Geld und seine Ehre.

In den bisher angeführten Spielhöllen sind die Opfer mehr oder minder wohlhäbig. Der Einsatz bildet, wie eben gesagt, oft eine bedeutende Summe. Nun giebt es aber Tripots, die einen Schauder und zugleich einen Ekel einflößen. Hier sind keine hell erleuchteten Salons, keine Gueridons, keine Divans, keine mit Seidendamast überzogenen Puffs, keine weichgepolsterten Lehnstühle. Es sind enge finstere Diebeshöhlen, in welche kein Lichtstrahl, kein frischer Luftzug dringt. Ein schmutziger Tisch von Tannenholz und ein paar lendenlahme Stühle bilden das Möbel; für die Beleuchtung sorgen einige qualmende Lampen, die womöglich die Atmosphäre noch mehr verpesten. Die Karten selbst sind bereits von hundert unsauberen Händen besudelt worden, und nur unsaubere Hände wagen es, dieselben wieder zu berühren. Was die Opfer betrifft, so bestehen sie aus Arbeitern, die mit dem eben erhaltenen Lohn das Glück herausfordern. Die Unglückseligen! Sie kämpfen einen ungleichen Kampf, der sehr kurz ist und mit ihrer völligen Niederlage endet; denn ihre Partner sind der Abschaum der Menschheit, unter denen nicht selten entlassene oder entronnene Galeerensträflinge sich befinden. Hier wird nur mit Franken- oder gar blos mit Sousstücken gespielt; aber die Sousstücke, die der Arbeiter verliert, waren bestimmt, den Hunger seiner Frau und seiner Kinder zu stillen. Der Arbeiter, der eine solche verruchte Stätte besucht, ist auf immer verloren; ja er wird zum Verbrecher, wenn er es nicht vorzieht, durch Selbstmord zu enden.

Eine Spielhölle mag sich indessen noch so sorgfältig vor den Augen der Polizei verstecken, früher oder später wird sie doch entdeckt. Die vornehmeren Spielhöllen werden nicht selten der Polizei von einem unglücklichen Spieler verrathen, der sich für seinen Verlust rächen will. Er richtet ganz einfach an den Polizeipräfecten einige Zeilen, in denen er auf’s Genaueste den Ort angiebt, wo sich die Spielhölle befindet. Die gemeineren Tripots verrathen sich selber durch das Aeußere der Häuser, in denen sie sich eingenistet, und durch die Scheu, mit der die Besucher sich allen Blicken zu entziehen bemüht sind. Wittert einmal die Polizei ein Tripot, so ist dessen Schicksal entschieden und es hilft dann weder Losungswort noch Laufgraben, weder Drehbrücke noch Fallgatter, weder geheime Treppe noch unterirdischer Gang. Der Commissär, der speciell mit der Entdeckung der Pariser Tripots betraut ist, besitzt eine reiche Erfahrung und gebietet über eine Mannschaft, die vor keiner Gefahr zurückschreckt.

Ist die Spielhölle einmal entdeckt, so gilt es vor Allem, dieselbe im Augenblick ihrer Wirksamkeit zu überraschen und wie ein Blitz aus heiterm Himmel über die Bande herein zu brechen. Der Polizeicommissär wählt also, je nach der Bedeutung der zu überraschenden Spielhölle, eine gewisse Zahl aus seiner muthigen, sehr intelligenten und wohlbewaffneten Mannschaft, läßt von derselben in stiller Nacht höchst vorsichtig das Haus umkreisen und es endlich so dicht einschließen, daß kein Entrinnen möglich. Man bemächtigt sich sodann des Concierges, des Hauswarts, und zwingt diesen, das Losungswort zu entdecken und die geheimen Gänge zu dem Spielsaal anzuzeigen. Dies geschieht auf eine so geräuschlose Weise, daß die Spieler auch nicht die allergeringste Ahnung haben von der sie bedrohenden Gefahr. Durch Gewinn berauscht, oder durch Verlust halb von Sinnen, sind ihre gierigen Blicke auf die Karten gerichtet; da öffnet sich die Thür und bevor sie noch Zeit haben, sich vom Schrecken zu erholen, befinden sich Karten und Einsatz in den Händen des Commissärs und seiner Leute. Nur selten wagt es Einer, sich zur Wehr zu setzen, da man weiß, daß die Polizei nur mit überlegenen Kräften die Strafbaren ergreift. Der Commissär sondert nun die Schafe von den Böcken, die Verführten von den Verführern. Diese werden sogleich in Gewahrsam gebracht; jene läßt man frei abziehen, nachdem sie ihre Adressen genau angegeben.

Indessen nimmt die Sache nicht immer einen so einfachen Verlauf wie der eben geschilderte. Die Spielwirthe sind mit allen Hunden gehetzt und haben wie das scheueste Wild eine sehr feine Witterung. Sie merken gleich, wenn es nicht ganz geheuer ist. Sie verdoppeln dann ihre Vorsicht und zwingen die Polizei, die Taktik zu ändern und schlauere Angriffspläne zu entwerfen. Die Niederlage der Etablissements wird dadurch freilich etwas aufgeschoben, ist aber darum nicht weniger gewiß. Der Polizeicommissär läßt seine Mannschaft verkleiden. Die Einen umschleichen als Maurer und Anstreicher, die Anderen als Zimmermannsgesellen, als Obst- und Gemüsehändler, wiederum Andere als Kesselflicker das Haus, und befindet sich in demselben, wie das oft der Fall ist, eine Weinwirthschaft, so mischen sie sich in der Verkleidung unter die Gäste, und während sie sich mit diesen unterhalten, verfehlen sie nicht, die allergeringste Bewegung des Wirthes, der Wirthin und des Dienstpersonals scharf zu beobachten. Die Hauptaufgabe dieser verkappten Gehülfen besteht darin, nicht nur den versteckten Spielort, sondern, was noch wichtiger ist, die geheime Communication mit demselben und die Warnungsmittel zu erfahren, welche bestimmt sind, die Spieler von der drohenden Gefahr zu benachrichtigen. Es kann der Polizei durchaus nicht genügen, das Spielzimmer ausfindig zu machen, wenn die Spieler von der Ankunft der Polizei in Kenntniß gesetzt werden. In diesem Falle werden nämlich die Karten beseitigt, und wenn der Polizeicommissär eintritt, findet er die löbliche Gesellschaft in einem bescheidenen unschuldigen Gespräche begriffen und muß unverrichteter Dinge abziehen. Die Polizei hat also vor allen Dingen dem Wirthe diese Warnungsmittel zu benehmen. Das ist aber eine große Schwierigkeit und kostet einen unglaublichen Aufwand von Scharfsinn und Schlauheit.

So fand sich vor Kurzem ein als Ouvrier verkleideter Polizist in einer solchen Wirthschaft ein, forderte ein Glas Absynth und stellte sich sehr müde. Es war ihm nicht entgangen, daß die Wirthin ihn bei seinem Eintreten mit einem gewissen Mißtrauen betrachtet hatte, und er bemerkte auch, daß sie jeden Eintretenden mit durchdringenden Blicken musterte. Er nahm ein Zeitungsblatt, das eine einschläfernde Wirkung auf ihn auszuüben schien. Mit seinen halbgeschlossenen Augen entdeckte er jedoch einen eisernen Ring in einem Winkel des Zimmerbodens und es entging ihm auch nicht, daß die Wirthin diesen Ring nicht aus den Augen verlor. Der Polizist wußte nun genug. Er rief die Wirthin zu sich und während er mit ihr sprach, gab er ein Signal. Bald traten einige andere verkleidete Polizeidiener ein, und das Alles geschah so schnell, daß die Wirthin keine Zeit mehr hatte, an dem Ringe zu ziehen und die im Keller versammelten Spieler durch das Schellengeläute von der Gefahr zu benachrichtigen. Der Schellendraht ging nämlich durch den Zimmerboden und das Gewölbe des Kellers, wo das Spielernest sich befand. Die Polizei bemächtigte sich der Frau, bewachte sorgfältig den verhängnißvollen Ring und nach einigen Minuten überraschte der Polizeicommissar die Spieler in ihrer süßen Gewohnheit des Daseins und des Wirkens.

Die Polizei hat niemals Zeit genug, auf ihren Lorbeeren auszuruhen. Kaum ist eine Spielhölle unterdrückt, so öffnet wieder eine andere ihren verderblichen Schlund. Die große Ausdehnung der Weltstadt erleichtert gar sehr das Entstehen solcher fluchwürdigen Anstalten, denen es auch aus eben demselben Grunde niemals an Opfern fehlt. In einer kleinern Stadt kann man sich nicht lange einem Laster hingeben, ohne entdeckt zu werden und den guten Leumund zu verlieren. Die Wege, die hier zu den Schlupfwinkeln der Verworfenheit führen, sind zu kurz und man begegnet auf denselben zu viel bekannten Gesichtern. In großen Städten ist diese Furcht nicht vorhanden und man kann sich unbeobachtet in jeden Sündenpfuhl stürzen. Wie dem aber sei, in Folge der für Frankreich so fürchterlichen Ereignisse hat sich in Paris die Zahl der Spielhöllen stark vermehrt und es sind deren sogar im Mittelpunkte der Stadt, wie zum Beispiel im Faubourg Montmartre, entstanden. Wie ist aber diesem Uebel abzuhelfen? Auf diese Frage antworten die Einen, die Justiz müsse ihre Kräfte

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872). Leipzig: Ernst Keil, 1872, Seite 111. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1872)_111.jpg&oldid=- (Version vom 27.8.2018)