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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872)

seinem Schützlinge bevorsteht,“ fuhr er leiser fort, „er wird ihn schwerlich preisgeben, und wenn er nicht will –“

„Wenn mein Bruder nicht will?“ der Prälat hob mit einem zornigen Aufblick das Haupt. „Sie vergessen wohl, daß ich hier allein zu wollen habe!“

„Keineswegs, Hochwürdigster! Es handelt sich ja auch nur darum, was dem Pater Benedict eigentlich auferlegt wird, und wie weit Reverendissimus zu gehen beabsichtigen. Uebergriffe freilich könnten jetzt bedenklich, ja gefährlich werden. Was man hin und wieder einzelnen ungehorsamen Mönchen gegenüber wagte, nach denen Niemand fragte, und deren fromme Angehörige sich auf das bloße Zeugniß des Klosters hin beruhigten, das dürfen wir hier nicht wagen, wo ein so mächtiger Protector wie Graf Rhaneck im Wege steht. Der Graf ist sehr angesehen, sehr einflußreich bei Hofe und unser allergnädigster Souverain sehr bedenklich freisinnig in solchen Dingen; wenn die Sache dort zur Sprache käme – ein einziger Schritt über die uns gezogenen Grenzen hinaus könnte verderblich werden.“

Der Prior wußte sehr wohl, was er that, als er langsam einen Stachel nach dem andern in die Seele des Prälaten senkte. Er konnte ihm freilich nichts sagen, was jener nicht schon längst bei sich selber erwogen hatte, aber es klang ihm doch anders aus fremdem Munde, mit dieser leisen Beimischung von Hohn, mit diesem fortwährenden Herausheben des Bruders als einer überlegenen Macht, der man sich zu beugen habe – der stolze Priester richtete sich hoch auf.

„In dem Punkte, wo es sich um meine geistliche Obergewalt handelt, weiche ich weder meinem Bruder, noch weiche ich überhaupt Jemandem, er stehe so hoch er wolle! Dreißig Jahre lang habe ich dies Stift geleitet, und dreißig Jahre lang ist es dem Lande ein Vorbild gewesen, auf das auch nicht der leiseste Schatten fiel! Wenn in den anderen Klöstern ringsum sich Schwäche, Abfall und Verrath kund gab, ich habe das meinige rein zu erhalten gewußt und, was auch geschehen mag, ein Abtrünniger wird aus seinen Mauern nie hervorgehen! Nie, sage ich! Benedict widerruft entweder, oder er verfällt seinem Schicksal! An dem Beschluß wird Graf Rhaneck, wird selbst der Souverain nichts ändern, sie sind nur Menschen, und in unseren Händen liegt die höchste Gewalt auf Erden, die des Priesters, der auch sie sich zu beugen haben – ich erkenne nur Rom als meinen Herrn an!“

Er stand hoch aufgerichtet da, in beinahe königlicher Haltung. Das war wieder der allmächtige gebietende Abt, der nichts über sich erkennen wollte, und im Vollbewußtsein seiner Herrschaft Allem Trotz zu bieten bereit war; der Prior senkte in einer Art von scheuer Bewunderung die Augen.

„Es wäre aber doch zu viel gewagt,“ begann er von Neuem, „wollte man den Ruf, vielleicht die Existenz des ganzen Klosters auf’s Spiel setzen, eines Einzigen wegen! Pater Benedict stürzt uns ist einen schweren Conflict bei seiner Rückkehr, das Beste wäre – er käme gar nicht wieder.“

„Er wird kommen!“ sagte der Prälat entschieden. „Er wird mir gegenüber treten und sich zu jedem einzelnen seiner Worte bekennen. Ich weiß es!“

„Wenn es in seinem Willen liegt, gewiß! Aber könnte nicht irgend ein Zufall – das Gebirge ist jetzt sehr gefährlich, die Regengüsse der letzten Wochen haben die Bergströme entfesselt und die Stürme einzelne Punkte vollends unwegsam gemacht. Pater Benedict kümmert sich sehr wenig um solche Gefahren, er geht stundenweit allein, wenn seine Pflicht ihn zu einem Kranken oder nach der fernen Wallfahrtscapelle ruft … wenn er einmal dabei – verunglückte!“

Der Prälat sah den Sprechenden einen Moment lang groß und starr an, dann plötzlich wendete er ihm den Rücken und trat an’s Fenster, wo er stehen blieb, die Arme verschränkt und das Auge auf die umschleierte Landschaft draußen gerichtet. Der Prior folgte ihm.

„Ich spreche natürlich nur von einem Zufall, von einer bloßen Möglichkeit aber es ist nicht zu leugnen, daß sie uns einer schweren Bedrängniß entreißen würde. Zum Widerruf wird unser junger Mitbruder unter keinen Umständen zu bewegen sein; ihn gewähren lassen oder mit einer vorübergehenden Buße abfinden, hieße der Ketzerei Thür und Thor öffnen; wenn wir ernstlich einschreiten wollen, steht uns Graf Rhaneck im Wege – es ist eine böse, böse Sache! Ich sehe in der That keinen Ausweg daraus!“

Der Prälat antwortete nicht, der Prior trat ihm noch einen Schritt näher.

„Ein Unglück freilich, das zur rechten Zeit käme, würde viel, würde Alles lösen. Es befreite unser Kloster von der noch nie erlebten Schande, einen Abtrünnigen unter die Seinigen zählen zu müssen, es ersparte uns die Nothwendigkeit, durch allzu strenges Gericht mit der weltlichen Macht in Conflict zu gerathen. Auch Graf Rhaneck würde sich zufrieden geben müssen, denn wer kann am Ende für einen Zufall! Es wäre hier von unberechenbarem Vortheile.“ Er sprach langsam, leise, aber jedes Wort betonend, der Prälat stand noch immer unbeweglich, die eiserne Ruhe seiner Züge verrieth nichts, aber es war doch etwas wie innerer Kampf in dem Blicke, der auf dem wolkenumhüllten Gebirge in der Ferne haftete.

„Wann kommt Benedict zurück?“ fragte er endlich.

„Ich denke, übermorgen!“

Eine lange schwere Pause! Der Prälat wendete sich langsam um, auf seinem Antlitz lag ein starrer, eisiger Ausdruck.

„Sie haben Recht! Es wäre die beste Lösung von allen. Aber können wir dem Zufall gebieten?“

„Hochwürdigster –“ Der Prior sagte nichts weiter, aber sein Auge heftete sich wie in gierigem Forschen auf das Gesicht seines Oberen, als wolle er jedes Wort, jeden Gedanken von dessen Lippen ablesen. Der Blick des Abtes glitt unwillkürlich nieder auf den neben ihm befindlichen Schreibtisch, wo noch die Papiere lagen, die er vorhin dem Grafen entgegengehalten, er stützte die Hand schwer auf die letzte Rede Benedict’s – der stolze Priester hatte nicht umsonst das Bewußtsein, daß „die höchste Gewalt auf Erden in seine Hände gelegt war“, er fühlte sich als Richter über Leben und Tod.

„Herr Pater Prior! Ich befehle nichts und lasse nichts zu! Merken Sie sich das! Was zum Heile der Kirche geschieht, werde ich – absolviren.“

Der Prior verneigte sich stumm, er wußte genug. Er eilte, mit einigen gleichgültigen Reden sich zu verabschieden, und verließ dann das Gemach. Der Prälat stand noch immer am Schreibtisch, die Hand auf den verhängnißvollen Bericht gestützt, als aber die Thür hinter Jenem zufiel, zuckte der Ausdruck einer grenzenlosen Verachtung durch seine Züge.

„Elender! Wolltest Du mich zum Werkzeuge Deines Privathasses machen? Nimm es auf Dein Herz allein! Und wenn Benedict uns verloren ging, und wenn er fallen muß, er wiegt im Falle noch zehn Deinesgleichen, ich hätte sie mit leichterem Herzen geopfert als gerade ihn!“ –

Draußen in dem Kreuzgange, der die Prälatur mit dem Kloster verband, stand der Prior. Auch er sah nach den wolkenumlagerten Bergen hinüber und sein Blick sprühte wieder in jenem giftigen, tödtlichen Hasse, wie damals in der Sacristei.

„Also endlich wären wir so weit! Es war keine gute Stunde, in welcher er es wagte, mir zu drohen. Soll ich ihn vielleicht zurückkehren lassen, damit er noch im Sturze mich verräth? Lieber mag der Sturz – anderswo erfolgen. Der Prälat will sich decken, einerlei! er muß mich im schlimmsten Falle schützen, er schützt in mir die Ehre seines Stiftes. Herr Pater Benedict, Sie haben so großartige Anlagen zum Freiheitsapostel – ich fürchte, Sie werden zum Märtyrer Ihrer Lehre!“




Auch im Hochgebirge hatte der Herbst seinen Einzug gehalten. Hier freilich erscheint er anders als drunten in der Ebene, wo sich die Natur so müde und langsam ihrem Grabe entgegenneigt, über das der Winter bald die weiße Leichendecke breitet. Dort hängt der Himmel schwer und grau über der verschleierten Erde, in endlos eintönigem Braun dehnen sich die Felder aus, still und dunkel zieht der Fluß dahin, und was noch von Farben und Formen übrig ist, das hüllt der Nebel in seine dichten feuchten Schleier. Leise und einförmig rauscht der Regen nieder, leis und matt sinken die Blätter von den Bäumen, schwermüthig rauscht der Wind darein, bis auch das letzte welk zu Boden flattert und der Wald entlaubt und öde steht – überall langsames Vergehen, stilles widerstandloses Sterben.

Anders im Gebirge. Hier ist Alles wilde Bewegung, Alles trotziger, verzweifelter Kampf um’s Dasein. Stürme, wie sie die Ebene gar nicht kennt, entfesseln sich hier oben und rasen, einmal losgelassen, mit verheerender Gewalt, gährende Wolkenmassen

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872). Leipzig: Ernst Keil, 1872, Seite 134. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1872)_134.jpg&oldid=- (Version vom 17.1.2018)