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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872)

sich Niemand mehr darüber, wenn für die Ministerposten die Männer nicht mehr nach der leiblichen, sondern nach der geistigen Würdigkeit gewählt werden – ohne Unterschied des Standes.

Eine solche Wahl hat, und zwar zum dritten Male für das eben amtirende Ministerium, in Preußen stattgefunden. An die Stelle des Herrn v. Mühler ist am zweiundzwanzigsten Januar dieses Jahres der bisherige Geheime Oberjustizrath im Ministerium, Dr. Falk getreten. Die Kritik des Volkes hat sich über das Walten seines Vorgängers unverhohlen ausgesprochen: sein Abgang war ein Freudenfest nicht blos in Preußen, sondern bei allen Deutschen, welche für die deutsche Nationalentwickelung auf das neue Reich ihre Hoffnung setzen. Mühler’s Nachfolger empfing es mit stiller Erwartung: das Volk ist durch zu bittere Erfahrungen belehrt, daß mit Personenwechsel auch mehr verloren, als gewonnen werden kann, obwohl im vorliegenden Fall dies wohl unmöglich war; man kannte den neuen Minister bei seiner bisherigen rein amtlich gewesenen Thätigkeit zu wenig, um den Grad seiner Abweichung vom bisherigen System ermessen zu können. Und genügte es auch Vielen, daß ein Bismarck ihn empfohlen und seine Bestallung durchgesetzt hatte, so wollten die Vorsichtigen im Lande doch erst den Mann selbst einmal im Feuer gesehen haben, um ihn nach der Fahne, die er trägt, und der Klinge, die er schlägt, gerecht zu beurtheilen. Dies ist nun geschehen. Die großen kirchlichen und Schulfragen, welche zur Klärung der Parteischichten außerordentlich beitragen, riefen auch ihn auf die Mensur gegen die jetzt so offenbaren volks- und reichsfeindlichen Wühlereien, und Bismarck hatte alle Ursache, zu schmunzeln: „sein Fuchs paukte sich gut.“ –

Mehr läßt sich bis jetzt nicht über den neuen Cultusminister sagen; seine Stellung ist aber so, daß er in kurzer Zeit sich in ganzer Gestalt zeigen muß, und weil man darum schon heute Einiges über eines solchen Mannes Herkommen und Vergangenheit erfahren will, so sei dies sei in aller Kürze hier gegeben.

Falk ist 1827 geboren; sein Vater war früher Prediger und Consistorialrath an der Hofkirche in Breslau und ist jetzt Pastor zu Waldau bei Liegnitz. Nach vollendeten Studien war Falk gegen Ende der fünfziger Jahre Staatsanwalt erst in Lyck, dann in Glogau. Der Umstand, daß er hier die Bearbeitung der vierten Auflage des sogenannten „Fünfmännerbuchs“ besorgte (– einer Sammlung von Ergänzungen zum allgemeinen Landrecht, die gemeinsam von Gräff, Koch, Wentzel, Rönne und Heinrich Simons, damals sämmtlich in Breslau, hergestellt worden war und für jeden preußischen Juristen eine Unentbehrlichkeit ist –), wandte das Auge der „neuen Aera“ auf ihn und veranlaßte seine Versetzung nach Berlin und in das Justizministerium. Damals ward er auch Mitglied des Abgeordnetenhauses, ohne sich darin besonders hervorzuthun. Das Ministerium Graf Lippe schob ihn zum praktischen Dienst, als Appellationsgerichtsrath, bei Seite; dagegen fand es dessen Nachfolger angemessen, Falk wieder in’s Ministerium zu sich zu nehmen und ihn zum Geheimen Oberjustizrath und vortragenden Rath zu befördern. Diese Stellung brachte ihn auch in den Bundesrath, wo er als Commissarius der preußischen Regierung beschäftigt und bei der Ausarbeitung der Gesetzesvorlagen über das neue Strafgesetzbuch so hervorragend thätig war, daß Fürst Bismarck in dieser Bundesrathssitzung Gelegenheit erhielt, den Mann darnach zu prüfen, ob er Geist, Muth und Kraft genug besitze, um Das wieder gut zu machen, was sein Vorgänger in langen, leider nur allzu wohl ausgenutzten Jahren an Kopf und Herz, Wissen und Glauben, Schule und Kirche, kurz an allem durch Bildung zu erreichenden Menschenglück in Preußen und darüber hinaus zusammengesündigt. Zu dem Wunsche, daß dem neuen Minister Kopf, Herz und Arm zu diesem Kampfe gesegnet sei, spricht jeder ehrliche Deutsche laut und freudig sein Amen.




Rittler ist todt! Diese Botschaft wird in den dankbaren Herzen der vielen in schlimmster Zeit von Gefängniß und Tod durch ihn Geretteten tiefe Trauer erwecken. Wer kannte ihn nicht, viele Meilen im Umkreise von Altenburg, diesen edlen, muthigen und in ungewöhnlichem Maße aufopferungsfähigen Mann? Ein tüchtiger und deshalb bis zur Höhe des Residenzschlosses hinauf angesehener Arzt, theilte Rittler als solcher nach oben und unten die Wohlthaten seiner Kenntniß, Kunst und Erfahrung mit unparteiischer Hand aus. Ebenso ließ er sich aber auch als Bürger in seiner politischen Ueberzeugung keinerlei Weisung und Beschränkung gefallen, und wo es galt, Gesinnungsgenossen im redlichen Kampf zu unterstützen oder in der Gefahr zu schützen, da suchte Rittler im Wagen und Opfern seines Gleichen. Der Zug Flüchtiger namentlich aus Preußen gen Süden begann schon in der Mitte der vierziger Jahre, erhielt aber seine großartige Ausdehnung erst durch die Sturm- und Reactionsjahre 48 und 49. In dieser Zeit lieferte auch Sachsen sein nicht unbedeutendes Flüchtlingscontingent. Als Hauptstationen auf der geheimen Etappenstraße derselben galten Altenburg, Hof und einige Orte im Allgäu, u. A. Kempten, von wo der letzte Sprung zum Bodensee und in die Schweiz hinüber noch eine Kleinigkeit war.

Das Besitzthum Rittler’s in Altenburg bot durch seine Lage, besonders aber durch die sinnigen Vorrichtungen des klugen Demokraten ein ebenso vielfassendes als sicheres Versteck dar. Es lag an einem großen Garten. Nach der Gartenseite hinaus waren eine Reihe schiffskojenartiger Gemächer hergestellt, von außen nicht bemerkbar, aber von innen geeignet, eine von dorther nahende Gefahr sofort zu erkennen. Im vordern Theil des Hauses besorgte die Familie die Hochwacht. So stand immer nach der entgegengesetzten Seite der Gefahr der Fluchtweg offen. Es kam sogar vor, daß im vordern Theil des Hauses Einquartierung lag, während im hintern alle Kojen mit Flüchtlingen besetzt waren. Und wie oft mußten für diese nicht nur, was sich von selbst verstand, Speise und Trank, sondern, wenn sie fluchtreif waren, auch noch Kleidung und Geld geschafft werden!

Endlich machte es sich für Rittler selbst nöthig, den Weg einzuschlagen, den er schon so vielen vorher gezeigt hatte. Einer drohenden Untersuchung entzog er sich – wir glauben, sogar mit Aufopferung einer Caution – durch höchst schleunige Abreise nach Amerika.

Von dort, aus Hoboken bei New-York schreibt Rittler’s treue Gattin uns, daß ihr edler Mann am siebenundzwanzigsten Januar Nachmittags drei Uhr von einem Herzschlag getroffen und gestorben sei. Möge das viele Gute, das der Mann vollbracht, sich an der Wittwe und den Kindern Rittler’s in reichem Segen fruchtbar erweisen! Ehre dem Todten, der im Gedächtniß seiner Freunde und ihrer Lieben noch lange fortleben wird!




Was wagt nicht ein treues Mutterherz! Zur Geschichte unseres großen Krieges gehört auch die That, die hier erzählt werden soll. – Ein altes Mütterchen, eine arme Wittfrau in einem Dörfchen drei Viertel Stunden von Grunstadt in der warmherzigen Rheinpfalz, hat ihrem einzigen Sohne, dem Hannes, zur Weihnachtszeit ein Feldpostpaket fertig gemacht und bringt’s zur Post in die Stadt, um es zu den Truppen vor Paris abzuschicken. Ich weiß nicht, was an dem Paket nicht recht war, kurz, die Postbeamten wiesen die arme Alte damit zurück, und wenn dies auch mit vieler Sanftmuth und Beredsamkeit geschah, so schien das doch auf das erregte Mutterherz keinen besänftigenden Eindruck zu machen. Der Hannes mußte die Sachen im Paket zum Christkindle haben, das war schon gar nicht anders denkbar. Was nun aber thun? Die Alte dachte eben nicht lange darüber nach. Noch einmal fragte sie zum Schalter hinein: „Also Sie wolle das Paket nit annehme?“ Und kaum klang das „Nein“ heraus, so schnitt sie der Entschuldigung, die sich wieder daran hängen wollte, den Faden ab mit dem laut verkündeten Entschluß: „Nun, so werd’ ich’s ebbe selber hintrage!“ – nahm das Kistchen unter den Arm und schritt zur Stadt hinaus gerade auf den Weg los, der nach Frankreich führt.

Was kümmerte die gute Alte sich um das Decemberwetter, – ihr einziger Gedanke war ihr Sohn, und ihn vor Augen und im Herzen wandelte sie ihres Weges fort, immer zu Fuß, nach Kaiserslautern, nach Homburg, nach Saarbrücken, über zwanzig Stunden! Hier nimmt sich die Gutherzigkeit deutscher Soldaten ihrer an, die alle ihre Freude an dem alten Mütterchen haben, und sie gelangt mit einem Transportzuge bis in die Nähe von Paris, so weit eben die Eisenbahn ging. Von da an drang sie wieder auf eigene Faust vor, und sie ruhte und rastete nicht, bis sie die Compagnie ihres Hannes und endlich ihn selbst gefunden hatte. Das war freilich ein Wiedersehen, wie es nicht alle Tage kommt; aber alle Tage kommt auch nicht ein solcher Krieg und mit solchen Müttern und Söhnen!

Die tapfere Alte ward sofort die Mutter der Compagnie (als welche außerdem bekanntlich der Feldwebel gilt, neben dem Vater der Compagnie, dem Hauptmann). Sie bekam die Oberaufsicht über Küche und Wäsche derselben und besorgte dieses Amt vier Wochen lang. Dann machte sie sich, natürlich mit einer guten Gelegenheit, wieder auf den Heimweg. Die dankbare Compagnie hatte redlich für ihr Mütterchen gesorgt, es auch mit Geld versehen – und glücklich kam die Alte wieder heim, und wie schauten die Herren von der Post auf, als sie ihnen versicherte, ihr Paket sei doch noch zurecht gekommen, weil sie’s durchgesetzt: „Ich habb’ es ebbe selber hingetrage.“ Von dem Compagniegeschenk hat sie keinen Pfennig für sich verbraucht, sie hat dafür ihrem Hannes die so nothwendigen Feldhemden gesponnen.




Das Werk eines Heimgegangenen. In der Verlagshandlung der Gartenlaube ist bekanntlich am Ende des Jahres 1870 eine den neueren und neuesten Resultaten der Wissenschaft und Erfahrung entsprechende Umarbeitung von Bechstein’s „Naturgeschichte der Stubenvögel“ erschienen. Das altberühmte, aber seit längerer Zeit veraltete Werk hat in dieser neuen Gestalt viel Anerkennung gefunden und einen besonders günstigen Erfolg gehabt. Je mehr aber die Bearbeitung bisher als eine gewissenhafte, verdienstvolle und tüchtige bezeichnet wurde, um so mehr erscheint es uns jetzt als eine Herzenspflicht, mit einer Erklärung hervorzutreten und in Bezug auf die Person des Bearbeiters eine Ungewißheit nicht länger bestehen zu lassen. Nur angeborene Schlichtheit des Charakters und eine bescheidene Scheu vor öffentlichem Hervortreten hatten unseren vor Kurzem auf einer Orientreise in Cairo so früh und unerwartet dahingerafften Alfred Keil bestimmt, seinen wahren Namen nicht auf den Titel seiner Leistung zu setzen, wie es auch seiner Bescheidenheit widersprach, eine Anzeige und Empfehlung seines Buchs gerade in der ihm nahestehenden Gartenlaube veröffentlicht zu sehen.

Wenige Bekannte seiner näheren Umgebung haben ihn aber nicht blos als den Herausgeber gekannt, sie haben auch die freudige Liebe gesehen, mit der er den Gedanken des Unternehmens ergriff, den rührigen Fleiß und die emsige Hingebung, mit der er eine lange Zeit hindurch das umfangreiche Material gesichtet, schriftstellerisch ergänzt und überarbeitet, selbstständig den wichtigen und nützlichen Abschnitt über die Hofvögel und das Geflügel hinzugefügt, die Zeichnung und Colorirung der zahlreichen Abbildungen bis in’s Speciellste überwacht und geleitet und in unermüdeter, von genauer Sachkenntniß unterstützter Sorgfalt Alles gethan hat, um seinem lange gehegten Lieblingsplan nach Gehalt, Form und Ausstattung zu einer gediegenen und würdigen Gestaltung zu verhelfen. Das Werk bedarf unserer nachträglichen Empfehlung nicht mehr, es hat sich Bahn gebrochen. Erwähnen wir es hier, so geschieht dies ausdrücklich nur, weil wir einer Pflicht der Pietät genügen und zugleich den zahlreichen Freunden des Entschlafenen durch die obige Mittheilung eine Ergänzung seines Bildes liefern möchten. Sinnige und verständnißinnige Liebe zur Natur und namentlich zur Beobachtung und zum Studium der Thier- und Vogelwelt, welche ihn zu jener fachwissenschaftlichen Arbeit geführt, hatten von früher Kindheit an seinem Wesen die Richtung gegeben. Um die betreffenden Studien nach jeder Richtung zu erweitern, war er im Herbst vorigen Jahres nach Afrika gereist, wo ein ebenso jähes als grausames Verhängniß dieses so frisch und strebsam heraufblühende Jugendleben vernichten sollte.

A. Fr.




Aufruf. Der Componist des Liedes „Dat gift keen Land so grön un so schön“ wird dringend gebeten, den Seinigen Nachricht zu geben.

A. L. T. W. C.


Verantwortlicher Redacteur Ernst Keil in Leipzig. – Verlag von Ernst Keil in Leipzig. – Druck von Alexander Wiede in Leipzig
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872). Leipzig: Ernst Keil, 1872, Seite 148. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1872)_148.jpg&oldid=- (Version vom 17.1.2018)