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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872)

Meinung zu sein, als seien in Algerien die Löwen so gemein wie bei uns die Hasen. Wurde ich doch einmal gefragt: „Wie viel Löwen haben Sie per Tag geschossen?“ Und wenn ich ihnen dann der Wahrheit gemäß antwortete: „Keinen einzigen,“ so folgte unabänderlich der Satz: „Ach, Sie sind also kein Jäger!“

Ich hätte freilich es machen können wie so Viele, die den Löwen nur in ihren Jagdgeschichten erlegen und glauben, dessen blutigen Tod erfinden zu müssen, um ihre Ehre Denjenigen gegenüber zu retten, welche wußten, daß sie in der Absicht nach Afrika gekommen waren, um daselbst „Löwen zu jagen“, oder welche vielleicht gehört haben, daß sie wirklich an einer sogenannten „Löwenjagd“ theilgenommen.

„Die Löwenjagd“, das ist das große Wort unter den europäischen Touristen und Bummlern in Nordafrika. Diese Herren kommen gewöhnlich mit den kriegerischsten Plänen nach Algier. Sie scheinen von Wuth entbrannt gegen den Löwen zu sein und ruhen nicht, bis sie eine sogenannte „Löwenjagd“ veranstaltet haben. Auch finden sie gewöhnlich einige geldgierige Araber oder Franzosen untersten Standes, die für baare Bezahlung eine solche Jagd in Scene setzen. Sind die Fremden hohe Personen, mit guten officiellen Empfehlungen versehen, so kommt es wohl auch vor, daß irgend ein Gouverneur oder Präfect ihnen zum Spaß eine solche Jagd improvisirt. Bei dieser Art von ostentativer Jagd ist der Löwe ganz Nebensache. Man erkundigt sich nicht einmal, ob einer in der Nähe.

Löwen giebt es bekanntlich, selbst in Algerien, das von ganz Nordafrika doch noch am reichsten damit bedacht ist, nicht viele. Gérard, der erste berühmte Löwenjäger, schlug ihre Zahl auf etwa hundertzwanzig an. Das war vor zwanzig Jahren. Seitdem sind sie noch seltener geworden. Ein Löwe ist also nicht alle Tage und nicht so leicht zu finden. Aber das stört die nach Löwenblut lechzenden Sonntagsjäger gar nicht. Ihre Lohnbedienten haben ihnen einmal eine „Löwenjagd“ versprochen, und auf die Löwenjagd gehen sie.

Diese Paradejagd wird meist bei Tage und zu Pferde in’s Werk gesetzt. Daß der Löwe bei Tage schläft und daß ihn die Nähe vieler Pferde und Reiter wegscheucht, das kümmert die Herren auch nicht. Hoch zu Roß, in malerischem Reitercostüm, mit Büchsen und Revolvern bewaffnet, nicht selten auch den blanken Säbel in der Rechten schwingend, ziehen sie unter Lärm und belebten Gesprächen im Triumph aus Algier oder Oran aus, oder wie sonst die Stadt heißt, die sie zur Zeugin ihres Ruhmes ersehen haben. Dann reiten sie einen ganzen Vormittag über Feld, Steppe und Wald und „suchen den Löwen“. Gewöhnlich haben die Lohnbedienten am Eingange eines Gehölzes einen Araber aufgestellt, der auf Anfrage die Mittheilung macht, „der Löwe sei dort“. Die tollkühne Schaar dringt dann in’s Gehölz ein. Aber leider ist der Löwe soeben aufgebrochen. Man findet zwar seine Ruhestätte, die oft, wie die Lohnbedienten versichern, „noch warm ist“; man entdeckt einige Knöllchen von seiner „Losung“, die der Tourist nicht selten aufhebt und als kostbare Reliquie mit nach Hause bringt, d. h. wenn er nicht erkennt, daß die fragliche „Losung“ aus dem Darm eines ganz andern Thieres stammt; man reitet wild und unstät in allen Richtungen umher und „sucht“ immer noch nach „dem Löwen“. Endlich bricht die Nacht herein, man kehrt nach Hause zurück und feiert ein Siegesmahl. Denn nicht selten kommt es vor, daß ein Reiter in der Lebhaftigkeit seiner Einbildungskraft den Löwen von fern zu sehen glaubt, auf ihn feuert und sich später einbildet, ihn angeschossen zu haben. Ohne Zweifel ist der angeschossene in einen Abgrund gestürzt und dort verendet. Ein Löwe ist also doch getödtet worden! Ueber die Abwesenheit seiner Haut tröstet man sich. Hier und da treibt man auch die Selbsttäuschung oder den Schwindel so weit, daß man einen Araber die ganze Nacht lang den Busch durchstöbern läßt, um nach dem Körper zu suchen. Aber noch nie ist ein solcher Körper gefunden worden.

Dies die ostentative „Löwenjagd“, wie sie der gewöhnliche Schlag jagdlustiger Touristen mitmacht und dann zu Hause als eine Heldenthat schildert. Einer solchen wohnte ich selbst einmal des Scherzes halber bei, einer „Löwenjagd“, die vom alten Marschall Pelissier zu Ehren eines Sohnes des englischen Gesandten in Paris arrangirt worden war.

Aber es giebt noch andere, weniger marktschreierische und etwas ergiebigere Arten der Löwenjagd. Die gefährlichste ist vielleicht die, wenn ein ganzer Araberstamm, zu Fuß und schlechtbewaffnet (denn alle Araber sind nach unseren Begriffen schlecht bewaffnet), es unternimmt gegen einen Löwen auszuziehen, der sein Vieh zerfleischt und der, wenn man ihn sein Handwerk lange ungestört treiben ließe, die Anwohner an den Bettelstab bringen würde. Nur in äußerster Noth, ja in Verzweiflung entschließt sich ein Stamm hierzu, aber der Entschluß ist nöthig, denn der Löwe, der in der Nähe eines Stammes haust, richtet einen Schaden an, der auf zehn Procent des Eigenthums monatlich angeschlagen wird. Da den Arabern die Zuversicht fehlt, welche der Besitz einer guten Waffe gewährt, so suchen sie in der großen Ueberzahl der Jäger ein Aequivalent, als Schutzmittel für den einzelnen, ein trügliches Schutzmittel freilich, denn der angeschossene Löwe fürchtet eine selbst noch so große Menschenmenge nicht. Eins nur erreichen sie durch ihre Massenbetheiligung an der Jagd, das nämlich, daß sie den Löwen unfehlbar aus seinem Versteck treiben und daß er sich ihnen, selbst bei Tage, stellen muß; denn die arabischen Treiber kennen alle Schlupfwinkel des Löwen und verstehen es, ihn zum Verlassen derselben zu zwingen. Ist der Löwe nun hervorgetrieben, so feuern die Araber in blinder Ungeduld ihre schlechten Feuersteingewehre auf ihn ab. Viele dieser Gewehre versagen; die, welche losgehen, richten gewöhnlich nur noch größeres Unheil an, denn die Araber zielen schlecht. Ein vierfüßiges Thier im Lauf, einen Vogel in der Luft zu schießen, gilt vielen von ihnen fast wie ein Hexenstück. Selbst wenn sie daher dem Löwen auch ganz nahe sind, verfehlen sie doch fast immer diejenigen Stellen seines Körpers, an denen allein die Wunden tödtlich sind. Ohnehin vermögen ihre Kugeln (die nicht Explosionskugeln sind, wie die, welche die französischen Löwenjäger haben) selbst im günstigsten Falle nicht, den Löwen, auf der Stelle zu tödten. Sie schießen ihn nur an und machen ihn wüthend; dann fällt das wuthschäumende Raubthier über die nächsten besten Araber her, zerfleischt die Einen, verwundet die Anderen, kurz, richtet eine solche Verwüstung an, daß man oft zwanzig menschliche Opfer einer einzigen Löwenjagd gezählt hat. Allerdings gelingt gewöhnlich die Tödtung des Löwen, indem die einen Araber das Raubthier, während es beschäftigt ist, die anderen zu zerfleischen, von rückwärts überfallen, es massenhaft beschießen, mit ihren Säbeln und Jatagans verwunden, bis es zuletzt, wenn auch keine einzige Wunde unmittelbar tödtlich war, doch von Blutverlust entkräftet darniedersinkt. Aber bis zum Augenblick seines Todes schlachtet es noch menschliche Opfer.

Das Resultat ist dann erzielt, der Löwe ist todt und der Stamm kann sich wieder des Besitzes seiner Herden freuen. Aber mit welchen Opfern ward dieser Zweck erreicht! Man kann sich denken, daß die Araber sich nur im äußersten Fall hierzu entschlossen. Sie hatten zwar noch eine andere ungefährlichere Art, den Löwen zu jagen; das war die sogenannte „Jagd im Silo“. Der „Silo“ ist eine halb unterirdische, halb oberirdische Erdhütte, in niedriger Kuppelform erbaut, nur durch eine sehr enge Thür zugänglich und mit Schießscharten versehen. Diese Jagd findet stets, wie überhaupt jede von verständigen Menschen unternommene Löwenjagd, bei Nacht statt. Vor der Hütte wird eine Ziege angebunden, in der Hütte verstecken sich die Schützen; einer derselben hat ein Zicklein, das er durch Mißhandlung zum Schreien bringt. Auf das Geschrei des Zickleins antwortet die Mutter, und ihre Stimme lockt in den meisten Fällen den bei Nacht auf Beute ausgehenden Löwen herbei. Ist dieser mit dem Verzehren der Ziege beschäftigt, dann erfolgen gewöhnlich einige Schüsse der Araber, von denen ihn im besten Falle einer tödtlich verwunden, aber nie auf der Stelle tödten kann, da hierzu eine Explosionskugel gehört; in den meisten Fällen jedoch wird das Raubthier nur verwundet, oft sehr oberflächlich, nicht selten wird es ganz gefehlt. Bei den schlechten Waffen der Araber hat also diese Art der Jagd meist so geringe Resultate, daß sie sich genöthigt sehen, dennoch von Zeit zu Zeit noch zu der anderen gefährlicheren ihre Zuflucht zu nehmen.

So traurig sah es in Algerien mit dem Erfolg der Löwenjagd bis noch vor etwa vierundzwanzig Jahren aus, als zuerst der kühne Jäger Gérard eine ganz neue und tollkühne Verfahrungsweise einschlug und zwar mit überraschendem Erfolg. Gérard’s Art hatte einige Aehnlichkeit mit der eben beschriebenen „Jagd im Silo“. Nur verschmähte der tollkühne Nimrod die Sicherheit, welche ihm die Erdhütte bieten konnte, und zwar wegen

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872). Leipzig: Ernst Keil, 1872, Seite 157. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1872)_157.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)