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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872)

und wenn ich nicht glücklicherweise seitwärts schaue und einen jähen Sprung mache, in welchem ich Gottlob meinen Collegen mitreiße, so sind wir jetzt vielleicht Beide von den aristokratischen Bestien verstampft und verstümmelt. Das ist doch himmelschreiend, Sünde und Schande! Mir ist, Gott sei Dank, nichts geschehen; doch wer weiß, wie es mit meinem armen Freunde steht!“

Dies war nun das Losungswort, auf welches hin die allgemeine Aufmerksamkeit sich mir zuwendete und ich in die Frage des Momentes hinzugezogen wurde.

„Wer sind die Herren?“ fragte eine laute, etwas rauhe Stimme, und ein Gesicht mit dazu gehörigem Manne neigte sich über mich, daß mir nach Allem, was ich gehört, kein Zweifel blieb, es sei der „Fiaker-Schrecken“ in eigener Person, in dessen Obhut ich gefallen war. „Wer sind die Herren, wenn ich bitten darf?“

Die Auskunft, welche wir Herrn Pfanner ertheilten, schien ihn über die Maßen zu befriedigen, denn er nickte beifällig und sagte weiter: „Es war der Wagen der Fürstin Clary. Ich habe mir’s wohl notirt, und wenn die Herren morgen sich in mein Bureau bemühen wollen, um ein kleines Protokoll aufzunehmen, so hoffe ich einmal ein Exempel statuiren zu können, das diesen hoppedaschigen Cavalier-Kutschern aus dem Traume hilft, als wäre für sie gar kein Gesetz da. Ich empfehle mich den Herren bestens!“

Damit wandte uns der Herr Fiaker-Commissär den Rücken und seine Aufmerksamkeit wieder jener gefährlichen Passage zu, welche eben für mich so verhängnißvoll geworden war.

„Ich werde einen Wagen nehmen und Sie nach Hause begleiten,“ sagte mein treuer Gefährte. „Ich besorge, daß die verfluchte Bestie, welche Ihnen ihren Huf aufsetzte, Ihnen ernstlichen Schaden verursacht hat.“

Bei dieser Erinnerung, welche mir allgemach zur Orientirung über das Geschehene verhalf, raffte ich mich nunmehr empor, stellte mich mit einiger Anstrengung stramm zurecht und versuchte, einen Schritt zu machen.

Holla, das stach arg in die Ferse; ich biß die Lippen über einander – vorwärts – abermals ein derber Stich – ich hinkte, aber ich ging.

„Am ersten Mai würden Sie im Prater nicht mitlaufen können,“ scherzte mein Freund; „doch ich sehe wenigstens, daß ‚am Werkl‘ nichts gebrochen zu sein scheint, und freue mich herzlich. Reichen Sie mir den Arm, vielleicht bringen wir’s bis zum nächsten Fiakerplatz beim Burgtheater!“

Die Gehaltsstufe, in welcher ich damals stand, ließ mir bei dem Gedanken an die Kosten eines Fiakers ein gelindes Gruseln über den Rücken laufen; ich knirschte fleißig, wenn auch ein bischen schmerzlich, in die Zähne, storchelte mit Anstrengung weiter, und siehe da – als unser Herrgott den Schaden beschaute, hatten wir längst den Fiakerstandplatz, das Burgthor und den Kreisraum vor demselben hinter uns und schritten immer fort, bis ich endlich die Selbstquälerrolle weiter nicht mehr durchzuführen vermochte und auf ein Glacis-Bänkchen niederfiel.

„Uff!“ seufzte ich und sank recht leidenswehig in mich zusammen. Doch schon zu lange habe ich mich mit dem kleinen Mißgeschick beschäftigt, das mich betroffen hatte; ich will daher nur noch berichten, daß ich länger als drei Monate in erbärmlicher Weise einher hinkte, und daß dieser Sommer für mich ein völlig verlorener war.

Nicht wenige bittere Gänge hatte ich mittlerweile in das „Lohnwagenamt“ und zu dem Fiakercommissar, Herrn Pfanner, machen müssen, welcher einen derartigen Apparat von Vernehmungen, Protokollen und ähnlichem bureaukratischen Rüstzeug aufhäufte, daß ich und mein Retter-College, der ebenso viele Zeugenaussagen bestehen mußte, auf das Innigste überzeugt waren, über dem Kutscher der Fürstin Clary schwebe zum Mindesten ein Stück Richtbeil, und das gesammte Stallpersonal der Herrngasse werde in einen heilsamen Schrecken gejagt werden, der wenigstens ein halbes Jahrhundert nachwirken müßte.

„In Gottes Namen“ – seufzte ich; „übrigens würde ich dieses Verdienst von Herzen gerne jedem Andern überlassen haben!“

Als wir zum letzten Male von Herrn Pfanner gingen, drückte er uns seelenvergnügt die Hand und wies auf ein Acten-Bändchen, das er eben mit einem starken Bindfaden zusammenknüpfte, und sagte:

„Diesmal, hoff’ ich, dürfte diesen böhmakischen Krautjunkern doch die Höll’ ein Bißl heiß gemacht werden! Es war ohnehin fast nicht mehr zum Ertragen!“

Damit schieden wir: Herr Pfanner offenbar groß im Selbstbewußtsein einer nachhaltigen gemeinnützigen That – ich in meinem Gott vergnügt, daß ich zum Werkzeuge der Vorsehung gewürdigt worden war, um eine Bevölkerung von Hunderttausenden von der Zuchtruthe feudaler Mißbräuche eines rücksichtslosen Kutschir-Privilegiums über Knochen und Köpfe spießbürgerlicher Spaziergänger zu befreien, die das Glück nicht einmal zu schätzen wußten, von hochgräflichen oder gar hochfürstlichen Pferden verstümmelt worden zu sein. Dank Herrn Pfanner und mir war nun hiermit ein für alle Male tabula rasa gemacht worden!

Besondere Eile jedoch – das mußte man sagen – hatte die hohe Polizei mit ihren Verfügungen keineswegs: es verging Woche um Woche, ohne daß irgend eine bezügliche Maßnahme in die Oeffentlichkeit gedrungen oder von der mir persönlich zugesicherten Satisfaction das Mindeste zum Durchbruch gekommen wäre. Da saß ich eben eines Mittags mit meiner Frau bei Tisch, als die Magd eintrat und mir meldete, daß ein fremder, geringer Mann mich zu sprechen verlange.

Ich wollte soeben selber nachsehen, da drängte der Gemeldete, ohne erst lange auf Auskunft zu warten, selber zur Thür herein und ich erblickte ein Individuum vor mir, von gedrungener Gestalt mit etwas kalmückischen Gesichtszügen, frechem Grinsen in den Zügen, gekleidet in einen langen dunkelblauen Ueberrock mit blanken Metallknöpfen, einen bordirten Hut zwischen den Händen drehend und, wie mir schien, einigermaßen verlegen über die Art seiner Ansprache.

Schon wollte ich der unliebsamen Pause durch eine Frage aufhelfen; doch da hatte inzwischen der Fremde das Wort gefunden und begann in einem Tone, welcher zwischen Galle und Hohn das Mittel hielt:

„Schickt mich Bulizei – bin ich Kutsche Wenzel von Fürstin Clary-Durchlaucht, wo Ihnen hat Ferd auf Pfersich stoßen. Hat Kumissär mir geben zwei Tag Arrest, sagte aber Frau Durchlaucht gnädige der Bulizei, wann sperrt er mir einzige Viertelstund ein – ich bin entlassen und sie verlangen wird von Zedlernitzky-Excellenz so brave Kutsche wie ich! – Da kratzte Bulizei Kupp seinige“ – von da an begleitete mein würdiger Rosselenker seinen Bericht mit fortwährendem Kichern – „und schickt mich her, daß Sie sullen’s mir verzeihen – dann ich werde bleiben ohne Straff’ – Hi, hi!“

Ich mag’s nicht leugnen: ich stand völlig fassungslos dieser Enthüllung gegenüber und unsere heimischen Rechtszustände machten schier, daß es mir vor den Augen flimmerte. Aber ich faßte mich schnell, öffnete die Thür und wies dem Bengel energisch die Treppe, indem ich die Worte herausstieß: „Fort und sagt Eurer Fürstin, daß von ihr nichts Anderes zu erwarten war; denn ihr Ahnherr, Aldringer, war ja bekanntlich ein Schneidergesell und ’s ist natürlich, daß sie sich benimmt wie eine – Schneiderseele! – Marsch!“

Donnernd schmetterte ich die Thür hinter dem Stallkerle zu; als ich jedoch meine Frau in ein helles Gelächter ausbrechen sah, da war meine üble Laune wie weggeblasen und die ganze Nichtswürdigkeit dieses polizeilichen Fiascos ließ schließlich kaum mehr einen Stachel in meiner Erinnerung zurück.

„Jedenfalls müssen wir’s in die Zeitung setzen,“ raisonnirte mein College, als ich ihm Tags darauf den Ausgang unserer großartigen Reform-Erwartungen mittheilte – „Wien soll wissen, wie es mit seinem Schutz durch die Behörden daran ist!“

„Vergessen Sie die Censur nicht,“ warf ich ein, „wir würden nur in ein Wespennest stoßen und doch Nichts erzwecken.“

„Und dieser Pfanner“ – knirschte mein Freund – „ihm soll dieser Steinadler in keinem Falle geschenkt sein! Er kommt mir schon einmal wieder zwischen die Fänge!“

„Was werden Sie davon haben? Er wird die Achsel zucken und Ihnen sagen: Ihr seid selber Beamte und solltet doch die Ohnmacht der untergeordneten Organe kennen. Ich bin ein Schrecken für arme, wehrlose Lohnfuhrknechte; dem aristokratischen

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872). Leipzig: Ernst Keil, 1872, Seite 193. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1872)_193.jpg&oldid=- (Version vom 27.8.2018)