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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872)

Priester zu empfangen. Vor dem blumengeschmückten Altar häuft sich in großen Körben das Opfergeld; Kupfer-, Silber- und Goldmünzen füllen dieselben bis zum Rande, und frohlockend überblickt der Pfarrgeistliche die blitzenden Spenden der Gläubigen.

Wie das Abendroth durch die Kirchenfenster blickt, tönt gellendes Jauchzen und dumpfe Tanzmusik vom dampfenden Thale herauf. Hier oben ist es still geworden; Chorknaben löschen eilig die Lichter der nur an hohen Festtagen brennenden Kerzen, deren Verkauf jedes Jahr die Einnahme des Priesters um viele hundert, oft tausend Thaler vermehrt. Ja, reichen Gewinn bringt dieser Pilgerzug der Kirche und dem Städtchen, einen Gewinn, den ein Jahrtausend mit allen seinen Umwälzungen kaum zu schmälern vermochte.

Schon im achten Jahrhundert wallten lange Pilgerschaaren aus Frankreich, dem innern Deutschland und der Eifel in der Pfingstwoche nach Echternach zu dem Grabe Wilibrod’s, in der über der Gruft des Heiligen erbauten Abteikirche reiche Weihgeschenke darzubringen. Größer noch wurde der Zulauf, als Papst Innocenz der Vierte um die Mitte des dreizehnten Jahrhunderts allen Denen einen Ablaß von vierzig Tagen verhieß, welche an Wilibrod’s Grabe beteten. Aus aller Herren Länder strömten die Wallfahrer nach Echternach, um die Tage in Gebet, die Nächte oft in wildem Jubel zu verbringen.

Indeß der Jubel verstummte bald in deutschen Landen; Jammer und Todesröcheln trat an seine Stelle. Die Pest zog über die Fluren und verwandelte sie in Leichenfelder. Das entsetzte Volk schrie auf zu Gott, damit er die Zuchtruthe abwende – vergebens! Die Plage ward nicht von ihm genommen; es betete und wallfahrtete – und doch starben Tausende und aber Tausende dahin. In seinem ohnmächtigen Grimm beschuldigte es die Juden, Brunnen und Quellen vergiftet zu haben, ersäufte, verbrannte, marterte und mordete die Wehrlosen umsonst! das unschuldig vergossene Blut vermochte den schrecklichen Würgengel nicht zu verscheuchen. Im Pilgerkleide die Ansteckung von Ort zu Ort tragend, wanderten die Verzweifelten betend und Bußgesänge singend durch das Land. Ein einfacher Pilgerzug genügte indeß nicht mehr, ihre Zerknirschung an den Tag zu legen; sie sprangen und tanzten und schlugen Brust und Rücken blutig. So, berichtet die Limburger Chronik, entstanden die Geißler oder Flagellanten:

„St. Viets Dänzer erhuben sich umb den Sommer des Jahres 1374, ein wonderlig Ding in Teutschen Landen, ahn dem Rhein, dem Moselstrom und in der Jegendt, also daß die Leuth anhuben zu dantzen uff eine Wallstadt woll einen halben Tag langk. Im Dantzen fielen sey auch woll nieder uff die Erde, ließen sich mit Füßen uff ihre Leiber tretten; davon namen sey an, daß sey genesen weren. Sey lieffen von einer Stadt zu der andern, saßen vor die Kirchen und huben Geldt uff. Es wardt des Tings so vill, daß zu Köln mehr denn 500 Teutsche waren, die dantzeten, und es war Deusterey, oder Ketzerey und geschah um des Geldes Willen.“

Man sieht hieraus, daß auch die lieblichen Ufer der Mosel nicht verschont blieben von der entsetzlichen Krankheit und den wilden Auswüchsen des Fanatismus. Indeß die klugen Benedictiner Echternachs verstanden es, die hochgehenden Wogen religiöser Schwärmerei zu dämmen und sie nach ihrem Willen und zu ihrem Vortheil zu leiten. Sie beriefen die Gläubigen nach ihrer Abtei und ließen dort von ihnen den Zug David’s darstellen, wie er aus allen Kräften vor der Bundeslade tanzt. So ward dem sich in leidenschaftlichen Bewegungen äußernden Zeitgeist Rechnung getragen und der übliche Pfingstumzug der Pilger in eine Procession mit Hin- und Herspringen umgewandelt.

Vier Jahrhunderte lang hatte der Umzug in seiner neuen Gestalt der ohnehin reich begüterten Abtei – deren jährliche Einkünfte sich auf achtzigtausend Brabanter Gulden beliefen – bedeutende Summen eingebracht. Als aber die Mönche aus armen Knechten des Herrn in Ueppigkeit versunkene Schwelger wurden, da sank mit der strengen Klosterzucht auch jene Procession zu einem Deckmantel der Völlerei und der Unzucht herab, so daß der Kurfürst Clemens Wenceslaus von Trier Musik und Springen und überhaupt „alle unschicklichen Gebräuche, die der Würde des Cultus zuwider“, verbot. Hörte nun auch Tanz und Musik auf, so doch nicht Streit, Trunkenheit, Tumult und „alle die andern Uebel“, und Kaiser Joseph der Zweite sah sich genöthigt, den Umzug gänzlich zu untersagen. Sein Verbot ward jedoch nicht beachtet, und erst 1794 hob der Einzug der französischen Truppen alle religiösen Gebräuche und damit auch die Springprocession auf.

Napoleon der Erste erlaubte dieselbe im Jahre 1801 nach der Publication des Concordates zum ersten Male wieder, und sie wurde mit großer Feierlichkeit abgehalten. Maire und Gensdarmen schritten voran und die Ceremonienmeister stießen mit Stöcken die Hüte der Zuschauer herab, die nicht schnell genug ihr Haupt vor den springenden Heiligen entblößten. Echternach, ja das ganze Luxemburger Land jubelte über die erneute Feier. Nun die Menschen abermals zur Ehre Gottes sprangen, konnten Schafe und Rinder ruhen, denn diese hatten, nach Aussage „glaubhafter“ Zeugen, jeden dritten Pfingsttag in den Ställen umhergetobt, und die besten Kühe der entsetzten Hausfrau dunkles Blut statt der erwarteten Milch gespendet.

In dem Eifelstädtchen Prüm, in welchem einst eben solche Processionen am Himmelfahrtstage abgehalten wurden, sowie an den übrigen Orten, wo ähnliche Umzüge stattfanden, erstanden dieselben nicht wieder. Echternach allein hat den Ruhm, in seinen Mauern noch heute jene seltsam düstere Feier zu sehen, seltsam und düster wie die Zeit, in welcher die Procession der springenden Heiligen entstanden.

F. K.




Freund Mephisto als Hofmann.


Von Gustav von Meyern, der unseren Lesern durch seine lyrischen Beiträge und längst als glücklicher Dichter auf dramatischem Felde bekannt ist, erschien soeben eine freundlich ausgestattete Sammlung von Dichtungen (Leipzig, bei E. J. Günther), welcher er den Titel: „Altes und Neues“ gegeben hat. Zu dem „Neuen“ gehört ein längeres Gedicht, das er als „eine Erzählung in Versen“ bezeichnet. In demselben läßt der Dichter sich von einem gewiegten alten Höfling, der ihm, dem Badereisenden, nachweist, daß er sich in der Hofluft Magen und Nerven verdorben, eine Reihe von Recepten gegen dieses Uebel mittheilen, von welchen einige, zugleich als Probe und Empfehlung der trefflichen Sammlung, hier folgen:


 Hofrecepte.

Erstlich rath’ ich: Lohe bade,
Laß dich tüchtig darin gerben,
Mußt, damit dir Zug nicht schade,
Eine „dicke Haut“ erwerben!



Bläs’t einmal aus vollen Backen
Wind und Gegenwind zu leidig,
Halte Rücken dann und Nacken
Dir fein biegsam und geschmeidig!



Was du auch zu tragen habest,
Mußt du auf „zwei Achseln“ tragen,
Was du auch zu sagen habest,
Mußt du mit „zwei Lippen“ sagen!



Als ein hofgewandter Mann
Schmieg’ dich in die Charaktere,
Schmeichle Jeden heimlich an,
Daß er dein Charakter wäre.

Suche immer liederlichst
Liederlichen zu erwidern,
Doch wenn du mit Biedern sprichst,
Such’ auch diese „anzubiedern“!



Zög’re stets, dich auszusprechen,
Wenn Parteien gegenwärtig,
Denn mit einer mußt du brechen,
Bist du mit dem Urtheil fertig!

Hänge deinem Herrn am Schooße,
Was auch seine Schwächen seien –
„Unverantwortliche“ Große
Stehen „über den Parteien“.



Wärst du selbst zum Günstling worden,
Aber mißbeliebt von Haus,
Bitte dann dir Amt und Orden
Für im Volk Beliebte aus.



Lasse sichtbar Gnaden regnen,
Auf ihr still verwundert Haupt,
Und die Einfalt wird dich segnen,
Weil sie noch an Wunder glaubt.



Auch sei Eines dir gerathen
Als beachtenswerthe Norm:
Zeige vom Aristokraten
Nur die abgeschliff’ne Form;

Wie das Merkmal einer Innung
Braucht bei Hof sie Jedermann,
Doch der Adel der Gesinnung
Gleicht der Wahrheit – stößt oft an!



Und nun schließlich noch das Schwerste:
Ziemt dir alles Wissens Preis,
Sei dein Herr doch stets der Erste,
Der es noch viel besser weiß!



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