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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872)

Suchen nach dem wesentlichen Bestandtheil zum russischen Salat bleibt vergebens, und erst Abends wird Minka erwischt, wie sie eben den Rest der verflossenen Kalbskeule verzehrt. Sie hatte dieselbe sofort nach dem Raube im Garten vergraben und mit großer Weisheit die Zeit der Aufregung erst vorübergehen lassen.

Man wird vielleicht sagen: „das sind schlechtgezogene Hunde,“ aber erstens sind es nicht meine Hunde, und andererseits wäre erst noch der Beweis zu liefern, ob es überhaupt möglich ist, Hunden solche Unarten abzugewöhnen, wenn man ihnen einmal so viel persönliche Freiheit läßt, wie es hier der Besitzer auf Grund eigner Erfahrung zur schöneren Entwickelung der Thiere für gerathen hält. Wenn man jeden Hund in der Nacht an der Kette hält, auch am Tage ihn nicht ohne directe Aufsicht läßt, so kommen solche Sachen natürlich nicht vor, aber nicht weil der Hund besser gezogen ist, sondern weil es ihm eben unmöglich ist, zu sündigen (was ja auch bei’m Menschen eine sehr billige Tugend ist), und es ist selbstverständlich, daß bei einem Thier die ihm eigenthümlichen Instincte, und der Hund ist doch ein Raubthier, sich um so mehr entwickeln werden, je mehr ihm die natürliche Freiheit gelassen wird. Mir ist ein solcher Hund viel interessanter als eine gutgezogene willenlose Schlafmütze, die den Charakter, zu dem sie eigentlich verpflichtet ist, fortwährend verleugnet.

Die gemeinschaftlichen Spaziergänge mit den Hunden in’s Freie habe ich schon erwähnt. Für die Hunde, natürlich alle ohne Halsband und Maulkorb, also in makelloser Kopf- und Halsbehaarung, ist dies ein Hauptgenuß, um so größer aber der Schmerz, der ihre Seele durchbebt, wenn ihnen einmal beim Ausgange des Herrn das Hofthor verschlossen bleibt. Unendliches Heulen und Bellen erschallt, alle richten sich am Gitter auf, oder springen an demselben mit verzweifelten Sätzen empor, bis der Herr ihren Augen entschwunden ist oder ein menschliches Rühren fühlt und Gewährung winkt. Geht aber dann das Thor auf, so fliegen gleich abgeschossenen Pfeilen die Thiere hervor, der sich zuerst durchdrängende Cäsar voran, aber bald überholt von der schlanken Minka, und hinter ihnen mit fröhlichem Geheul die Jungen. Höchlich muß man sich dann in Acht nehmen, von den überfreudig heransetzenden Hunden nicht umgeworfen zu werden, besonders wenn, wie zur Zeit meiner Anwesenheit, Glatteis ist. Durch solche öftere Begleitung ist natürlich bei den Hunden die Vorstellung des selbstverständlichen Mitgehens bei jedem Gange entstanden, und sie suchen daher, sowie sie ihren Herrn vermissen und auf irgend eine Art aus dem Hofe herauskommen, denselben schleunigst, nicht etwa durch bloße Deputation, sondern in ganzer Masse, auf und finden ihn stets, sei es im Schulexamen, Gerichtssaal, Rathhaus etc., was gewiß sehr interessant, aber nicht immer angenehm sein mag. Auch auf stundenweit entfernte Orte folgen sie der Spur ihres Herrn, suchen ihn der Reihe nach in jedem Orte, wo er sich aufgehalten, und freuen sich dann ganz unmenschlich, wenn sie ihn endlich gefunden, mag auch die Toilette, in der sie sich z. B. bei schlammigem Wege ihrem Herrn vorstellen, andere Gefühle bei demselben hervorrufen.

Es war vergessen worden zu erwähnen, daß, als Minka die besagten siebenzehn Jungen bekam, dieselben alle binnen drei Tagen starben. Das Geheul des armen Thieres dabei soll herzzerreißend gewesen sein, den Korb, in welchen die todten Thierchen zunächst gelegt worden, spürte sie wieder auf und trug dieselben alle wieder auf ihrem Lager zusammen, um Wiederbelebungsversuche mit ihnen anzustellen. Nur mit List konnten sie ihr wieder genommen werden, aber das letzte davon hat sie zwei Tage lang im Maule herumgetragen, es überall, wo Herr und Herrin gerade waren, vor deren Füße gelegt, aber – es doch nicht anrühren lassen, selbst ihrem Herrn zeigte sie dann die Zähne, der einzige derartige Fall. Dieses letzte Junge ist zuletzt spurlos verschwunden, und wahrscheinlich von der Mutter vergraben worden.

Nun wollen wir uns aber einmal dem kleinen Stiefel zuwenden, der auf dem Bilde einen so geringen Raum einnimmt und deshalb auch hier nur wenig Text beanspruchen darf. „Stiefel muß sterben,“ heißt es in dem alten, ebenso kurzen als rührenden und – wahren Volksliede; denn Stiefel ist in der That bereits todt, und wenn auch bei seiner Kleinheit die Lücke, die er in der Welt zurückläßt, nicht sehr bedeutend sein wird, so ist es doch schade um das kleine immer ängstliche Kerlchen, welches, wenn ich nicht irre, sein Herr, der Herr Sulry in Waldheim, immer im Rock bei sich trug, weil das Hündchen damals, im Winter, sonst gewiß stets Schnupfen gehabt hätte. Auf dem Bilde, welches ich für Herrn Bergmann malte und von welchem der Holzschnitt eine Copie ist, ist er natürlich nur des Gegensatzes wegen angebracht worden, und es ist begreiflich, daß sein Portrait schneller fertig wurde, als das Cäsar’s.

Oft muß man die Frage hören: „Halten denn die Thiere ruhig zum Malen?“ Antwort: Nein, leider niemals nach Wunsch, aber es ist immer noch ein himmlisches Arbeiten, wenn man ein Hausthier malt, was man sich halten oder anbinden lassen kann, und was in gewissem Grade doch pariren muß, als wenn man in zoologischen Gärten oder Menagerien Thierstudien macht. Hier bei Cäsar, dem sein Herr vom Beginn der Arbeit bis zum Schluß in seinem Modellstehen als so recht eigentlicher „Beistand“ half, war es eine Lust, das Thier zu malen, denn da er fortwährend seinem Herrn Wurst aus der Hand fressen konnte, allerdings aus der fast geschlossenen Hand, damit er nicht zu schnell satt wurde, so fand sich Cäsar sehr bald in sein dankbares Amt, und lag manchmal schon bereit vor der Thür, wenn wir zur Arbeit ankamen.

Ich sage ausdrücklich „wir“, denn man muß in der That eine so ernste Bestrebung, den Maler beim Malen eines Thieres zu unterstützen, als eine wirkliche Arbeit betrachten, ja es kann unter Umständen eine Anstrengung werden. Dies war wenigstens der Fall, als es sich darum handelte, die Kopfstudie, welche noch als Holzschnitt in dieser Nummer abgedruckt ist, zu malen. Es war dabei die Aufgabe, Lebhaftigkeit in Haltung und Auge zu bringen, und bei dem Umstande, daß solche große Hunde sehr von der Hitze leiden und sich immer legen wollen, um Kühlung vom Boden zu haben, war dies eine ziemliche Schwierigkeit. Wurst wollte er nicht mehr, auch hätte Füttern nichts geholfen, da es sich um den Kopf von vorne handelte. Wie halfen wir uns also? Herr Sulry, Stiefel’s Besitzer, der glücklicherweise anwesend war und viele Thierstimmen vortrefflich nachahmen konnte, stellte sich hinter die geschlossene Thür des Nebenzimmers, pochte und polterte mitunter an dieselbe, ahmte das Heulen eines gebissenen Hundes, das Bellen eines andern, kurz, verschiedene für Cäsar interessante Thierstimmen nach, so daß Cäsar nothgedrungen seine Aufmerksamkeit dem Leben hinter der Thür zuwandte und einigemal sogar aus seiner sitzenden Stellung, die wir ihm aufgezwungen hatten, aufspringen wollte. Freilich, lange durfte ein Ton nicht wiederholt werden, denn er merkte sehr bald den Schwindel, aber im Wesentlichen führte doch die Sache zum Zweck. Das Thier in der sitzenden Stellung zu erhalten, war dabei die Aufgabe seines Herrn, und da sich Cäsar an diesen zuletzt mit seinem ganzen Gewicht anlehnte, so athmete ich bei meiner Theilnahme für menschliches Leiden selbst auf, als wir Alle mit dieser Studie fertig waren.

Indem ich im Begriff bin, diese Zeilen zu schließen, lese ich, daß in diesem Jahre durch einen zusammengetretenen Verein in Dresden eine große Hundeausstellung veranstaltet werden soll, und erinnere mich dabei, daß schon damals der Besitzer Cäsar’s eine Einladung von Dresden bekam, sich an der Veranstaltung dieser Ausstellung zu betheiligen. Er wird dies ohne Zweifel thun, und so wird mancher Leser der Gartenlaube Gelegenheit haben, Herrn Cäsar noch von Angesicht zu Angesicht zu sehen und zu bewundern. Allerdings ist es zweifelhaft, ob er da noch im Fell so schön sein wird, wie in der Winterszeit, ein prachtvolles Thier wird er aber immer noch sein, und es wäre schon möglich, daß ein noch größeres Gebot als das bereits einmal geschehene von siebenhundertundfünfzig Rubel (etwa siebenhundert Thaler) auf ihn gemacht würde.

Es ist bekannt, daß die Leonberger Hunde in der Regel gegen kleine Kinder höchst duldsam sind, und sich insbesondere von den Kindern ihres Herrn Alles gefallen lassen. Auch mit den kleinen Knäbchen des Herrn Bergmann ließ sich dies beobachten. Komisch war es übrigens anzusehen, wenn das kleinere der Kinder, einundeinviertel Jahr alt, neben Cäsar stand, und mit seinem Kopfe bei weitem noch nicht an den Rücken des mächtigen Thieres reichte. An einen Schlitten angespannt ziehen die Hunde denselben mit den Kindern und wohl auch ihrem Herrn in sieben Minuten nach einem eine halbe Stunde entfernten Ort. Liegen die

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872). Leipzig: Ernst Keil, 1872, Seite 231. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1872)_231.jpg&oldid=- (Version vom 27.8.2018)