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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872)

Jäger an und hat schon auf’zogen mit der Büchs’. Der Franzl springt auf d’ Seit’, langt nach sein’ Stutzen, da hat’s aber schon geschnallt. Was will der Bub’ Ander’s thun, als daß er Alles im Stich läßt und sich auf und davon macht. Er ist ein paar Schritt’ gelaufen, hat sich schnell über eine Kampen geschwungen, ist an ’er schiefen Wand ’runtergerutscht und im Wald verschwunden. Da hat man geseh’n, daß der Jäger nicht bei uns herin in den Bergen aufgewachsen ist. Eine Zeit lang hat er gestutzt, nachher ist er wie ein Hund auf Händ’ und Füß’ ’nunterkraxelt. Da hat der Franzl lang Zeit gehabt, sich aus dem Staub zu machen. Wie ich ihn hab’ daherkommen sehen, abgehetzt und hinkend, hab’ ich gleich gemerkt, was ’s da giebt. Aber, Diendl, das viele Reden bin ich nicht gewohnt, ich bin schon wieder ganz trocken.“

Der Heu-Anderl langte mit einem fragenden Blick von Neuem nach der Flasche und während er, ohne auf Antwort zu warten, einen langen Zug daraus that, schielte er zu dem athemlos aufhorchenden Mädchen hinüber. Das Zucken in seinen Mundwinkeln verrieth, daß er sich innerlich an ihrer ängstlichen Spannung ergötzte.

„Ich bin g’rad’ an der Steinbachleiten gewesen,“ fuhr er fort, „und hab’ mein großes Heutuch ein’packt, da haben wir Zwei uns auf einen Blick verstanden, und bevor sich Einer hätt’ umschauen können, war der Flößerfranzl schon unter mein Heu versteckt. Schnell hab’ ich noch tüchtig d’raufpackt und fest zubunden, nachher hab’ ich mich ganz ruhig oben d’raufgesetzt, hab mir ein Stück Brod und Käs’ ’runtergeschnitten und hab’ mir wohl sein lassen. Hab’ kaum ein Bissen ’gessen gehabt, kommt auch schon der Jäger daher. Von Weitem hat er mich schon verdächtig angeschaut, und wie ich das bemerk’, hab’ ich ihm gewinkt, zu mir herzukommen. Ganz still hab’ ich ihm anvertraut, daß ein starker Hirsch muß gegen den Geißgraben zu sein, ob er ihn gejagt hat, denn ich hätt’ im Stangenholz ’was brechen hören und auf jeden Fall war der Hirsch auf der Flucht. Da ist er mir auf die Leimruthen ’gangen, dersel’ g’scheidt’ Maxl, da hat er spöttisch gelacht und hat mir gesagt: ‚Mei’ Anderl, wenn Du wüßtest, was das für ein Hirsch war, thät’st ihn g’wiß nicht verrathen.‘ Ich hab’ ihn d’rauf recht blitzdumm angeschaut und hab’ mich wieder auf mein Heu ’naufgesetzt. Lang bin ich noch sitzen ’blieben, denn weißt, solch ein’ Sakra ist nicht zu trauen, und erst wie ich ihn weit drinn im Wald gehört hab’, hab’ ich den Franzl, der mir bald erstickt wär’, ’raus’zogen, und jetzt ist’s am kürzesten Weg gegen die Tellwand zu’gangen. Halb und halb hab’ ich ihn freilich tragen müssen, den Franzl, so matt war er, in der Näh’ dort kommt aber ein klein’s Bachl’ ’runter vom Berg’, in dem sind wir fort’gangen, und hinter ein’ Felsen hab’ ich ihm sei’ Wunden am Fuß gut ausgewaschen. Darfst kei’ Angst haben, Diendl, ein paar Spann weit ober’m Knie ist’s ihm durch’s Fleisch ’gangen, das Bein hat’s nicht erwischt. Fest hab’ ich ihn verbunden, nachher sind wir wieder fort bis zu dem Platzl, wo zwischen den Felswänden eine enge Wasserrinne ’rauskommt.

Wenn im Frühjahr oben der Schnee geht, fallt dort ’s Wasser schön’ ’runter, und in dem ausgewaschenen Rinnsal sind wir ’naufgestiegen und da droben ist eine ganz versteckte Klamm, in der sind wir ein Stück weit fort’gangen bis zu mein’ Brückl’, wie ich’s heiß’. Eine alte Lärchen hat da ’s Wasser einmal umgerissen, die liegt überquer in der Klamm, und wenn man über die ’naufsteigt, kommt man auf eine frische grüne Platten. Hab’ oft schon den schönsten Almwegerer und Enzian dort ’runtergeholt, und da droben liegt jetzt Dei’ Schatz auf dem bestem Almheu so prächtig wie ein Prinz. Von unten ’rauf find’t ihn Keiner und von oben sieht ihn Keiner, weil ein großer Felsen d’rüber vorspringt. Jetzt mein’ ich aber, wir thaten die Flaschen da ganz weg, Resei. Mit dem Bisserl, was noch d’rin ist, könnt’ man ihn g’rad’ beleidigen, den Franzl, und das wirst auch schon gehört haben, bei einer offenen Wunde thut der Schnaps nicht gut.“

Willig ließ die Wirths-Resei geschehen, daß er die Flasche vorsorglich bis auf den Grund leerte, und sie mußte selbst lachen, als der drollige Alte ein Auge zuzwickte und mit dem andern durch die enge Oeffnung guckte, ob er keinen Tropfen mehr darin entdecken könnte.

„Diendl, Du glaubst nicht,“ sagte er, „wie frisch das inwendig macht und die alten Knochen wieder aufricht’t – ich vergelt’ Dir das Alles an Dein’ Franzl wieder. Gestern hab’ ich ihm erst ein Glasl’ Quirinlöl ’nauf und hab’ die Wunden tüchtig eingerieben. Sollst gar nicht glauben, die heilt so schön, wie bei einem frischen Hirschen. Sollst sehen, wie der Glaasei springt, wenn ich sag: ‚Geh’ ’nauf zu unserm Gefang’nen!‘ Der bringt ihm frisch’ Wasser, die beste Geißmilch, ich koch’ nachher einen fetten’ Schmarren – darfst mir’s glauben, so schön kriegt’s der Flößerfranzl gar nimmer, wie er’s jetzt hat!“

„Nu, das will ich ihm g’rad’ nit wünschen“, meinte Resei. „Glaub’ schon, daß Du für Alles sorgst, aber die Angst, daß sie ihn doch noch kriegen, die Jäger, die kann ich halt gar nicht verwinden.“

„Da laß Dir kein grau’s Haar wachsen, Diendl, dafür ist schon gesorgt. Wir Zwei gehen jedes Mal mitten durch’s Wasser zu ihm, da verliert der beste Hund die Spur, und nachher mußt wissen, hab’ ich die ganz’ Fährt’ verwittert. Dieselbe Nacht bin ich zuhöchst ’naufgestiegen auf’n Heuberg. Wie’s Glück sein will, hab’ ich den besten Wind gehabt und hab’ mich am obersten Grat auf ein Paar Gamsen angepürscht. Es war g’rad’ um Zwielicht in der Früh, da hat’s geschnallt bei mir und im Feuer ist eine schöne Gemskitz zusamm’brochen. Mit der bin ich ’nunter am Geißgraben, da hab’ ich sie erst auf’brochen, nachher hab’ ich sie nachgeschleift bis zu dem Platz, wo das dem Franzl passirt ist. Wenn jetzt der Hund auf die Fährt kommt, so geht er nimmer ab davon, und was hab’ ich schon gelacht, wenn der Jäger-Maxl mit dem berühmten Schweißhund kommt und der führt ihn allemal fleißig in’ Geißgraben ’nunter! Ein paar Tag’, wenn er noch in sein Horst droben zubringt, der Franzl, ist er schon so weit, daß wir ihn auf ein’ Holzfloß bringen, und nachher kann der Herr Maxl suchen bis am jüngsten Tag.“

Hier schwieg der Wildheuer, und das junge Mädchen, das sich jetzt rasch von ihrem Sitze erhoben, schaute mit fast kindlicher Verehrung auf den alten Freund. Alle Kümmerniß war von ihr genommen, ihr schönes lebendiges Auge leuchtete heller auf, und nachdem sie sich mit einem kräftigen Händedrucke verabschiedet, eilte sie leichten Schrittes ihrer Heimath Brannenburg zu.

Bald darauf stieg Anderl, der inzwischen alle seine Kochkunst aufgeboten, um seinen Schützling mit dem herrlichsten „Schmarren“ zu bewirthen, in heiterer Schnapslaune mit der dampfenden Speise hinauf zu den Bergen und auch der muntere Glaasei schickte sich an, mit vollen Backen und vollem Rucksack seine Geißen droben auf der duftigen grünen Matte zu besuchen.


(Fortsetzung folgt.)




Veitel Itzig’s Anfang und Ende.



Wenn eine Dichtung so zum Eigenthum einer Nation geworden ist, wie Gustav Freytag’s Roman „Soll und Haben“ den Deutschen, so darf man es schon wagen, Hauptpersonen derselben als allgemein bekannt genug anzunehmen, um sie zu Titel- Ueber- und Unterschriften zu benutzen. Vollständig gerechtfertigt ist dies bei unserer Illustration von Breslaus alter Ohle.

Noch vor wenigen Jahren floß fast durch die Mitte der schlesischen Hauptstadt ein Wasser von so nichtswürdigen Eigenschaften, daß Augen und Nasen unsäglich von ihm zu leiden hatten: die schmutzige Ohle, vom Zorn des Volkes mit dem Spottnamen „Stinkohle“ bezeichnet. Blut und Lungen mancher Generation braver Breslauer mögen durch den Pesthauch der Ohle vergiftet worden sein, aber dies geschah „von Rechtswegen“, so lange die Gerber an den Gestaden derselben ihr zunftgerechtes Gewerbe trieben. Damals sickerte sie jedoch nicht als ein elender Bach zwischen Schutthaufen hin, wie auf unserem Bilde, das sie an ihrer Mündung in einen Oderarm darstellt, sondern die scheußliche Fluth nahm die Hälfte des Brückenbogens ein, der hier vor uns steht.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872). Leipzig: Ernst Keil, 1872, Seite 290. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1872)_290.jpg&oldid=- (Version vom 27.8.2018)