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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872)

Scheitel silbergrauen Haares, die aus einer schwarzen Pelzhaube hervortraten, umrahmten ein rundes blühendes Gesicht. Aus den hundert Falten und Fältchen in dem frischen alten Gesichte sprach unendlich viel Güte und Wohlwollen, das klare braune Auge verrieth hellen Verstand und an der ganzen stattlichen Erscheinung, von der goldgestickten schmucken Pelzmütze, der feingegliederten goldenen Halskette mit der breiten perlenbesetzten Schließe bis zur reichen Silberschnur am Mieder sammt den angehängten blanken Frauenthalern erkannte man die wohlhabende und wackere Hausfrau. Die große runde Hornbrille hatte die Frau Wirthin jetzt von der Nase auf die Stirn gerückt und schaute mit gefalteten Händen unverwandt nach der einen Stubenecke. Dort prangte, in bunten Farben aufgetragen, der Schutzpatron in Feuersgefahr, der heilige Florian, gepanzert mit Helm und Harnisch und eben im Begriff, ein brennendes Haus neben sich mit Wasser zu begießen. Auf ihn war gläubig ihr Sinn gerichtet und nur wenn ein greller Blitz die halbdunkle Stube erleuchtete, zuckte sie zusammen und bekreuzte sich andächtig. Auch die schöne Resei, ihre Pflegetochter, die still neben ihr saß, schlug bei jedem Aufblitzen das Kreuz, doch dachte sie an keinen St. Florian. All’ ihr Denken war heute bei ihrem armen Franzl, und all’ ihr Kummer war, wie wohl er diese stürmische Nacht auf seinem luftigen Lager droben zubringen möchte.

Der letzte Donnerschlag hatte kaum ausgegrollt, da schob die Alte ihre Brille auf die Nase zurück und zog die Rechentafel an sich. Dieselbe war dicht mit Kreide beschrieben und zwar in einer Schrift, die stark vermuthen ließ, es sei die Gedenktafel vom Grabmal eines Pharaonen, denn Niemand konnte ahnen, daß diese Hieroglyphen die mancherlei Maße, Halbe und die unterschiedlichen „Geselchten“ (Würste) mit Bretzeln bedeuten sollten, die von den zahlreichen Gästen heute vertilgt worden waren und für welche Resei nach vollbrachtem Tagewerk das Geld einzuliefern hatte.

Mit lauter Stimme rechnete die alte Frau die Zahlen zusammen, während Resei aus ihrer großen Ledertasche die entsprechende Summe in langen Reihen auf den Tisch zählte. Zweimal schon hatte sie Alles durchgezählt, aber immer fehlte es wieder und wollte mit der Rechnung der Wirthin nicht stimmen. Mit heimlichem Lächeln beobachtete die gute Alte über ihre Brille hinweg lange das sichtlich zerstreute Mädchen, das heute wieder gar nicht bei der Sache war, bis sie endlich sagte: „Laß’s nur gut sein, Resei, hab’s schon geseh’n, das Geld ist schon recht. Du bringst heut’ nicht zwei und drei richtig zusamm’. “ Dann füllte sie das Geld in einen Leinwandsack, den sie in einem altmodischen Wandschrank verwahrte.

„Gut’ Nacht, Frau Godl!“ (Pathin) sagte das Mädchen und streckte mit halb abgekehrtem Gesichte der alten Frau ihre Hand entgegen. Diese faßte sie freundlich beim Arm und zog sie wieder auf den Stuhl zurück.

„Bleib’ noch ein wenig da bei mir, Resei, ich hab’ Dir was zu sagen.“ Dabei schob sie ihre Brille nochmals in die Höhe, setzte sich bequemer in ihrem Lehnstuhl zurecht und begann, während ihre schelmisch lachenden Augen durchdringend auf dem betroffenen Mädchen ruhten, unter bedächtigem Kopfnicken ihre Rede.

„Schon lang’ merk’ ich, daß ’s bei Dir nimmer recht richtig ist, Resei. Das Ausbleiben über Zeit, das Herumstreunen, das im Winkel Hineinsteh’n und Weinen – Diendl, ich hab’ Alles geseh’n! Dein Kopf ist nimmer daheim, Dein Herz auch nicht, überhaupt das ganze Diendl nicht. Hab’ lang’ genug jetzt zugeschaut, ohne was zu sagen, und glaub’ doch, ich hätt’ ein bissel ein Recht dazu. Hab’ Dich als kleinwinzig’s Kindl’ in’s Haus genommen, wie Deine Mutter gestorben ist, um’s Deinem braven Vater leichter zu machen. Ja, da hat mein Seliger noch gelebt, hat der eine Freud’ gehabt mit dem kleinen Bambse! Wie nachher ein Jahr darauf Dein Vater im Steinbruch verunglückt ist, haben wir dies Waisl’ doch nicht können hinausstoßen und so bist bei uns aufgewachsen wie ein leiblich’s Kind. Hast uns oft viel Freud’ gemacht, bist jetzt groß ’worden und auch sauber, ja, ja, Resei, mit einem Wort: bist ein resolut’s sakrisch’ Diendl ’worden.“

Die alte Frau schaute wohlgefällig auf das schöne jugendfrische Mädchen, das mit hochgeröthetem Gesicht, dem Lichte abgewandt, verlegen mit den Enden ihrer Schürze beschäftigt war.

„Früher hast mir freilich Alles aufrichtig erzählt,“ fuhr die Frau Wirthin wohlmeinend fort, „aber jetzt wird halt die alte Godl ein wenig auf die Seite geschoben sein, nimmt mich auch nicht Wunder.“

„Nein, nein, das ist nicht wahr, Godl!“ rief das Mädchen hastig und ergriff der Alten Hand, die sie, stürmisch küßte.

„Nu, nu, ich glaub’ Dir’s schon,“ entgegnete die gute Frau sichtlich erfreut, „ich war ja auch jung und auch ein Bissel sauber und war ein schneidig’s Diendl. Weiß ganz gut, daß ’s in Deinem Alter Einem unter’m Brustfleck zu krabbeln anfangt und man meint, es wird Einem völlig ’s Mieder zu eng. Ja, Resei,“ versicherte die Alte und lächelte dem Mädchen bedeutsam zu, „ich hab’ auch so heimlich gethan mit meinem ersten Schatz, aber mir, Deiner zweiten Mutter, dürftest ihn schon verrathen. Ich will Dir nur sagen, ich bin alt, die Wirthschaft ist mir eine Last und die paar Tag’, die mir unser lieber Hergott noch schenkt, möcht’ ich Dich gern versorgt sehen. Drum – ist’s ein rechtschaffener braver Bursch’, der ehrlich und fleißig ist, darfst mir ihn alle Tag’ bringen, wenn er auch Nichts hat. Ich kann meine Sach’ doch nicht mitnehmen, und schau, Diendl, sonst hab’ ich ja Niemand als wie Dich.“ Hier strich sie mit ihrer runzligen Hand zärtlich über das reiche braune Haar des Mädchens und ihr Auge haftete liebevoll auf ihr. „Nu, Resei,“ fragte sie bewegt, „darf ich’s nicht wissen, wer’s ist?“

Das Mädchen war rasch vom Stuhle aufgesprungen und hing laut weinend am Halse der guten Alten.

„Ja, Godl, meine liebe Mutter,“ schluchzte sie, halb außer sich vor Glück und innerer Beklemmung, „nur heut’ fragt mich nicht – es ist ja der beste Mensch auf der ganzen Welt!“

„Ja, ja,“ lachte die Alte, „glaub’ Dir’s, das sagt eine Jede von ihrem Buben, aber mach’ nur, daß Du jetzt in’s Bett kommst.“ Dabei zog sie das Mädchen mit sanfter Gewalt nach der Thür. „So, bet’ jetzt zu Deinem Schutzengel,“ mahnte sie, indem sie mit den Fingerspitzen in das am Thürpfosten angebrachte Weihbrunnkesselchen langte und mit dem geweihten Wasser zuerst das Mädchen und dann sich selber besprengte.

Befriedigt nickend schaute sie ihrer Resei noch nach, als diese schon auf den Hausgang getreten war. Dann nahm sie das Licht vom Tische und heiter vor sich hin murmelnd: „Bin doch neugierig, was sie mir für einen Buben in’s Haus bringt!“ wandte sie sich nach der Seitenthür und mit dem Worte: „Unser lieber Herrgott wird’s schon recht machen!“ verschwand sie in ihrer Schlafstube.




4.


Tag um Tag verstrich und der Jäger wanderte immer noch ruhelos in den Bergen umher, ohne dem Ziel seiner Nachsuchungen auch nur im Geringsten näher zu rücken. Tief verstimmt und niedergedrückt kehrte er von jedem Gang zurück und doch kam der Kummer über die Erfolglosigkeit seiner Bemühungen nicht dem Grame gleich, der um den Verlust des immer noch heiß geliebten Mädchens an seinem Herzen zehrte. Wenn er bei seinen Streifereien von ungefähr einmal das sonst so rosige lebensfrohe Wesen abgehärmt und geknickt einherschleichen sah, schnitt es ihm in die Seele und gar manchmal betrachtete er seinen geladenen Stutzen mit einem Blick, wie wenn er die Mündung lieber gegen die eigene Brust kehren wollte, als gegen das freie Wild in den Bergen. Die traurige Veränderung in der äußeren Erscheinung des jungen Mädchens bestärkte ihn mehr und mehr in dem Glauben, daß Lene nicht aus freiem Entschluß, sondern unter dem Einflusse des mütterlichen Befehls gehandelt. Sein tief verletztes, empörtes Gefühl hielt ihn aber von jedem Versuche einer Annäherung zurück.

Die Wirths-Resei drängte es seit der Besprechung mit ihrer Pathe mehr als je, mit ihrem Franzl zusammenzukommen, um ihn von den unerwartet günstigen Gesinnungen der alten Frau zu unterrichten und mit ihm die frohesten Hoffnungen auf die Zukunft zu bauen, aber gar oft stieg sie den Sulzberg wieder umsonst hinan. Sie traf zwar die hochgelegene Hütte des Alten nie verschlossen, doch war weder von ihm, noch von seinem Buben eine Spur zu sehen.

Der Heu-Anderl hatte, die zerstreute Stimmung des Jägers und seinen Mangel an Wachsamkeit benützend, indessen eifrig seine Fallen gestellt und fast jede Nacht stürzte außerdem eine Gemse, tödtlich getroffen von seinem Blei. Um solche Jagdbeute

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