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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872)

gelangte, verlangte die namentlich von den Klöstern instruirte ultramontane Partei den Widerruf der vierzehn Badener Artikel und in Folge dessen confessionelle Trennung des Cantons, Einführung des Veto gegen Staatsgesetze, freies Verwaltungsrecht für die Klöster etc. Die pfäffisch-reactionäre Tendenz bedeckte sich nur nothdürftig mit dem Mantel der Demokratie. Die neue Verfassung, an der auch Keller als Mitglied des Verwaltungsrathes und der Revisionscommission mitwirkte, wurde vom Volke verworfen; als sodann am 5. Januar 1841 die zweite, mehr im Sinne des Ausgleichs der confessionell getrennten Parteien entworfene Verfassung vom Volke angenommen wurde, da war das Signal des Aufruhrs gegeben. Im ganzen Freiamte hatten sich, geschürt von den Klöstern, Landsturmhaufen gebildet, welche zum Sturze der Regierung nach Aarau marschiren wollten, aber nach kurzem Gefechte am 10. Januar von den Regierungstruppen auseinandergetrieben wurden.

Wollte nun der liberale Staat seine Einheit und seinen bedrohten Frieden behaupten, so mußten die Ursachen der Störung ausgerottet und die Klöster aufgehoben werden. Zwar garantirte der der Schweiz von den fremden Mächten octroyirte 1815er Bundesvertrag den Fortbestand der Klöster; allein das Gebot der Selbsterhaltung siegte über die formellen Bedenken; die Existenz und Wohlfahrt des Cantons durfte nicht unter der Gewährleistung solcher Corporationen zu Grunde gehen. Es war Augustin Keller, der im Großen Rathe am 13. Januar in einem mehrstündigen wunderbar beredten Vortrage dieser Ueberzeugung Worte verlieh und den Antrag stellte, die Klöster aufzuheben. Mit hundertfünfzehn gegen neun Stimmen wurde der Antrag angenommen, und der entscheidende Wurf zur Neugestaltung der Schweiz war gegeben. Von diesem Momente an erhob sich der Kampf des Ultramontanismus gegen den liberalen Geist des Volkes und seiner Führer; aber auch ein unauslöschlicher Haß des Klerus verfolgte von nun an den Seminardirector Keller bis auf den heutigen Tag.

Der päpstliche Nuntius, die Urcantone, selbst der Kaiser von Oesterreich protestirten bei der eidgenössischen Tagsatzung gegen diesen Beschluß. Der Canton Aargau rechtfertigte sein Vorgehen durch eine im März 1841 – Jahre lang dauerte der Kampf – von Augustin Keller verfaßte, allgemeines Aufsehen erregende Denkschrift „die Aufhebung der aargauischen Klöster“ (Aarau, bei Sauerländer). Der Canton hatte einen schweren Stand, aber die aargauische Gesandtschaft (Keller, Landammann Wieland und Oberst Siegfried) blieb unverzagt bei der Alternative: der Aargau oder die Klöster. Um des lieben Friedens willen entschloß man sich endlich zur Wiederherstellung von drei Nonnenklöstern, die Tagsatzung begnügte sich mit dieser Concession und die Klosterfrage fiel endlich für immer aus Abschied und Tractanden. Keller hatte gesiegt und es gebührt ihm und dem Canton die Anerkennung, das Gefühl der Unhaltbarkeit der damaligen eidgenössischen Zustände in immer weitern Kreisen ausgebreitet und den fünfzehner Bund ad absurdum geführt zu haben.

Aber die ultramontane Partei in der Schweiz gab ihr Spiel noch nicht verloren, sie hatte in den katholischen Cantonen einen wohlgepflegten Boden. Die Gesandtschaften dieser Stände verwahrten sich neuerdings gegen den Aufhebungsbeschluß, verlangten Wiederherstellung der Klöster und drohten mit Abbruch der Bundesgemeinschaft und mit militärischen Maßregeln; Luzern berief die Jesuiten in’s Land. Die ganze freidenkende Schweiz richtete sich gegen diesen Beschluß, der den confessionellen Frieden neuerdings zu untergraben und die Bevölkerung in fanatische Aufregung gegen jeden geistigen Fortschritt zu versetzen drohte. Keller war es wiederum, der zuerst im Großen Rathe von Aargau und dann im Sommer 1844 auf der Tagsatzung zu Luzern dieser Opposition Worte verlieh, indem er in einem glänzenden, mehrstündigen, später im Druck erschienenen Vortrage die Gemeingefährlichkeit des Jesuitenordens von seiner Entstehung bis auf die heutigen Tage zeichnete und im Auftrage seines Standes den Antrag stellte, die Gesellschaft Jesu von Bundeswegen aufzuheben. Der Antrag stieß bei den Ultramontanen auf heftigen Widerstand, denn der Sonderbund hatte schon seine definitive Organisation erhalten. Unterdessen rollten die Ereignisse unaufhaltsam vorwärts. Im December desselben Jahres erfolgte der erste Freischaarenzug nach Luzern. Er mißglückte. Als zweitausend Luzerner Bürger die Heimath verließen und ihren Jammer in die benachbarten Cantone verpflanzten, da brach der zweite Freischaarenzug aus. Er führte nach zwei Jahren der traurigsten Verwirrung die gewaltsame Auflösung des Sonderbundes im Gefolge und mit ihm die Vertreibung der Jesuiten. Keller’s glühendster Wunsch war erreicht.

Sollte die Eidgenossenschaft nicht wieder in die gleiche Ohnmacht und Zerrissenheit zurückfallen, woran sie so viele Jahre gelitten, so mußte der gesammte Schweizerbund eine neue Gestaltung erhalten. An derselben hat Keller immerfort einen thätigen Antheil genommen. Sofort nach Annahme der neuen Bundesverfassung wurde er in den schweizerischen Ständerath gewählt und bis heute hat er beinahe ununterbrochen als Nationalraths- oder Ständerathsmitglied der Bundesversammlung angehört; im Jahre 1857 war er Präsident des Nationalrathes und hielt als solcher die Eröffnungsrede bei der Einweihung des neuen Bundespalastes. Gegenwärtig präsidirt er den Ständerath bei den Berathungen der eidgenössischen Bundesrevision.

In der aargauischen Regierung war Keller lange Zeit das bewegende Element, mehrere Perioden hindurch Landammann und Landesstatthalter (Präsident und Vicepräsident), eine lange Reihe von Jahren Präsident des katholischen Kirchenrathes. Wenn er auch verfassungsgemäß nur vorübergehend die Stelle eines Landammanns bekleiden konnte, seine Miteidsgenossen kennen ihn nur unter diesem Titel. Neue Schulen verdanken ihm aus jener Zeit ihre Entstehung, wie er denn auch die Emancipation der Juden, die Verminderung der katholischen Feiertage etc. durchsetzte. Das Armenwesen, die Landwirthschaft und das Gewerbewesen hatten an ihm einen guten Protector.

Nur seiner unverwüstlichen Arbeitskraft, seiner Gewandtheit, Fragen zu lösen und neue aufzuwerfen, konnte es gelingen, einer nicht geringen Anzahl Vereinen mit gemeinnützigen, statistischen, geschichtforschenden, landwirthschaftlichen, gewerblichen und pädagogischen Zwecken als Präsident vorzustehen und denselben eine wirksame Thätigkeit zu widmen Im Rathssaale, in der Canzlei, in Vereinen, in der Familie, im Freundeskreise überall entweder das rathende, anregende, belebende, erheiternde und unterhaltende Element zu sein, das konnte nur Keller mit seiner ewig jungen Kraft und seiner stahlharten Gesundheit. Es bedurfte in reichem Maße dieser beiden Gaben und einer Geduld, die selbst die Gegner aus der Fassung brachte, um den seit dreißig Jahren währenden Angriffen der Ultramontanen, Jesuiten und ihrer Helfershelfer im Canton und in der Schweiz nicht zu erliegen. Von Keller kann man in der That sagen: „Viel’ Feind’, viel’ Ehr’!“

Die Schweiz ist reich an Rednertalenten – das bewegte politische Leben unseres Landes bildet sie und kräftigt ihre Organe –, in ihren vordersten Reihen steht als Staats- und Volksredner Keller da. Als solcher trat er das erste Mal, im Jahre 1836, in den Volksversammlungen von Wohlenschwyl und Reiden auf in der schweizerischen Asylfrage gegen Frankreich und gegen den vom damaligen Minister Thiers verhängten „Blocus hermétique“. Seine angeführten großen Reden sind Muster von deutscher Beredsamkeit, und in unzähligen Fällen hat er durch die Klarheit, Kraft und Tiefe seines Wortes, durch den ungesuchten, gründlicher Kenntniß der alten Meister entsprungenen Schmuck seiner Darstellung, durch die sichtliche Ueberzeugungstreue hingerissen und die Abstimmung zu Gunsten seines Votums geleitet. Die Zahl seiner Staats-, Schul- und Volksreden geht in die Hunderte, ja Tausende. Wenn an den eidgenössischen Schützen- und Sängerfesten die Jubelwogen hoch gingen und Alles verschlangen, was an die Mittelmäßigkeit streifte, da gelang es Keller allein, den Sturm zu beschwichtigen. Sobald die hohe athletische Gestalt auf der Tribüne erschien, da beugte sich der Lärm unter dem Eindruck dieser aus Erz gegossenen Züge, und das Wort hieb scharf und wuchtig wie Schwertstreich durch die Menge.

In Anerkennung seiner liebevollen Pflege der Wissenschaft und seiner Kenntnisse des canonischen Rechts und der Kirchengeschichte, sowie seiner Verdienste überhaupt, verlieh ihm die philosophische Facultät der Universität Bern die Doctorwürde. – Seine wenigen Dichtungen tragen das Gepräge seines klaren Geistes; sie zeichnen sich aus durch einen körnigen Stil und volksthümlichen Ton, und sind in die besten Mustersammlungen für Volksschulen übergegangen.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872). Leipzig: Ernst Keil, 1872, Seite 306. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1872)_306.jpg&oldid=- (Version vom 27.8.2018)