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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872)

zurück und erschütterte dadurch die schwierige Lage unseres Kochs so unglücklich, daß sich ein reichlicher halber Teller Erbssuppe über die Hand des Vicefeldwebels ergoß.

„Gott verdamm’ mich,“ rief Wendt wüthend, indem er die heiße Brühe heftig von der Hand schleuderte, „es ist wahrhaftig nicht mehr auszuhalten mit dem Kerl!“

Es war förmlich wunderbar, wie sich seine Mienen in demselben Augenblick besänftigten, als der zweite Bursche mit dem Hammelbraten und einer mächtigen Schüssel dampfender Kartoffeln eintrat.

„Wieder Hammelbraten? Es ist gräßlich,“ sagte der Hauptmann, „was giebt es morgen, Kippke?“

„Hammelbraten, Herr Hauptmann.“

„Was! wieder Hammel?“

„Zu Befehl, Herr Hauptmann.“

„Läßt sich denn im Dorf gar nichts auftreiben, mal ’ne Ente oder so etwas?“ fragte Hardt unmuthig.

Kippke kniff sein linkes Auge zu, um damit anzudeuten, daß er die Frage für durchaus scherzhaft halte.

Hardt fischte in schlechtester Laune die Speckstücke aus seiner Suppe. „Kommt mir jetzt für’s Erste nicht wieder mit Erbssuppe!“ brauste er auf.

„Zu Befehl, Herr Hauptmann.“

„Mach’, daß Du hinauskommst, und schick’ uns Wein herauf. Na! worauf wart’st Du noch?“ fuhr der Hauptmann ihn an, als Kippke noch stehen blieb.

„Der Wein is alle, Herr Hauptmann.“

Wir sahen entrüstet auf: „was! alle?“ riefen wir einstimmig.

Hardt sah ihn einen Augenblick sprachlos an, dann sprang er zornig auf ihn zu: „Das sagst Du heute erst,“ rief er, „während wir gestern Gelegenheit nach der Stadt hatten? Hinaus jetzt, sage ich Dir, und wenn nicht binnen einer Viertelstunde Wein hier ist, dann Gnade Dir Gott, Bursche!“

Kippke kannte den Hauptmann, und wenn er auch durchaus nicht sicher war, Wein auftreiben zu können, so benutzte er doch die Gelegenheit, um mit Gedankenschnelle aus der Thür zu schlüpfen.

Ich entsann mich, in unserer Stube noch eine angeschenkte Flasche gesehen zu haben, und als Wendt sie auffand und brachte, klärte sich das gewitterschwüle Antlitz Hardt’s wieder etwas auf und wurde ganz heiter, als er den ungeheuern Berg von Kartoffeln sah, den der Vicefeldwebel sich aufgelegt hatte.

„Ich möchte wissen, was die Kerls unten zu klopfen haben,“ sagte der Hauptmann, indem er sich den Löwenantheil aus der Flasche in ein sehr großes Wasserglas schenkte.

In der That hörte man unten ein auffallend lautes Pochen und Hämmern.

Wir sollten nicht lange darüber im Unklaren bleiben. Die angesetzte Viertelstunde war kaum vorüber, als Kippke eintrat, von oben bis unten mit Kalkstaub und Spinnweben bedeckt, unter dem rechten Arm eine Pendule von schwarzem Marmor, unter dem linken Arm einen Armleuchter, in der Hand zwei Flaschen. Unmittelbar hinter ihm folgte der Bursche des Vicefeldwebels mit vier Flaschen und einem Armleuchter unter jedem Arm, dahinter mein Bursche mit einem großen Kasten voller Stearinlichter. Wir sahen erstaunt auf diesen Aufzug.

„Was ist das?“ sagte Hardt.

„Das haben wir gefunden, Herr Hauptmann,“ sagte Kippke triumphirend, „hier ist der Wein.“

„Wie und wo habt Ihr denn das gefunden?“ fragte Hardt ernsthaft.

„Wir suchten nach Waffen, Herr Hauptmann,“ sagte Kippke etwas zögernd, „und da war das im Keller vermauert, es ist noch viel Wein dort,“ sagte er schlau begütigend.

Er erreichte auch seinen Zweck vollkommen, der Hauptmann brach das Verhör sofort ab, und wir eilten hinunter, den Fund zu inspiciren.

Die Burschen hatten wirklich ein großes Loch in eine übrigens sehr dünne Mauer gebrochen, und man sah in einen dadurch verborgenen Theil des Kellers hinein, welcher mit allem möglichen Hausrath angefüllt war.

„Nun, da Ihr das einmal aufgemacht habt, so räumt es aus und tragt es in unsere Stuben, aber seht Euch vor, daß Ihr nichts zerbrecht,“ sagte Hardt, welcher mit Befriedigung ein ziemlich umfangreiches Weinlager entdeckt hatte.

Es dauerte nicht lange, so waren unsere Stuben mit diversen Uhren, Vasen, Leuchtern und Nippsachen decorirt; Wendt brachte sogleich sämmtliche Uhren in Gang und schlug vor, aus unserm Stearinreichthum die Leuchter mit Lichtern zu versehen, die Laden zu schließen, und das Dejeuner, welches durch die Fülle des aufgefundenen Weins noch eine angenehme Perspective bot, bei Licht fortzusetzen. Kerzenbeleuchtung! – Das war ein lange entbehrter Luxus und der Vorschlag wurde beifällig angenommen, ein Effect, den die Vorschläge Wendt’s sehr selten erzielten.

Die künstlich hergestellte Dunkelheit ließ nichts zu wünschen übrig, und das flackernde Kaminfeuer überaus freundlich erscheinen. Es gelang dreißig Lichter anzubringen, und als in ihrem Schein der Wein aus unsern Gläsern uns rubinfarben entgegenfunkelte, die Uhr auf dem Kamin gerade aushob, die volle Stunde zu schlagen, und dabei ganz überraschend mit unglaublicher Geschwindigkeit des Tempos den Walzer aus dem Freischütz spielte, da war vergessen die Erbssuppe und der Hammelbraten, vergessen die langweilige Cernirung von Paris, vergessen das leise nagende Heimweh, und die hellglänzende Gegenwart ließ einen Strahl warmer freundlicher Behaglichkeit in unsere Herzen fallen. –

„Das ist ein reizendes Weinchen,“ sagte Hardt schmunzelnd, indem er den alten feurigen Burgunder mit Kennermiene langsam schlürfte und das Glas freundlich lächelnd gegen das Licht hielt, das funkelnde zitternde Farbenspiel zu betrachten, „lassen Sie uns aber,“ fügte er behaglich spottend hinzu, „die Pflichten der Höflichkeit nicht vergessen und des abwesenden Wirthes als des gütigen Gebers gedenken, widmen wir ihm einen stillen Schluck, meine Herren!“ und er ließ die That den Worten folgen.

Wendt hatte bereits verschiedene stille Schlucke genommen und begleitete den jetzigen mit einem so glänzenden Lächeln, als wenn er wirklich mit der größten Zärtlichkeit des geflüchteten Franzosen dächte.

In diesem Augenblick trat Kippke ein, seine Augen hatten einen verrätherischen Glanz und seine Nase hatte etwas von der Farbe der Morgenröthe. Mit einem höchst vergnügten Lächeln meldete er, es sei ein Bauer unten, der einjährige Freiwillige hätte mit ihm gesprochen und gesagt, es sei der Besitzer dieses Hauses, welcher gern die Herren Officiere sprechen möchte.

„Bravo, der Wolf in der Fabel!“ rief der Hauptmann, „bringt ihn ’rauf, Kippke und schaff’ noch ein Couvert und den Braten her.“

„Und beaucoup de pommes de terre,“ sagte Wendt mit etwas schwerer Zunge.

„Oui, monsieur“, sagte Kippke, um sich dann sofort erschreckt mit einem „zu Befehl, Herr Hauptmann“ zu verbessern.

Auf das zaghafte Klopfen an der Thür donnerte Hardt ein so gewaltiges „entrez!“, daß ich gar nicht überrascht war, die Gesichtsfarbe des alten Franzosen bei seinem Eintritt etwas blaß zu sehen.

Es mochte ein Mann von fünfundfünfzig bis sechszig Jahren sein, eine kleine, aber trotz der blauen Blouse feine und sogar elegante Erscheinung, mit freundlichen Gesichtszügen, welche aber jetzt das deutliche Gepräge des Kummers trugen. Die klaren grauen Augen blickten unverkennbar mit dem Ausdruck lebhafter Besorgniß auf unsere ihn wohl überraschende Situation.

Er machte uns eine verbindliche Verbeugung und lächelte, obgleich er schmerzhaft zusammenzuckte, als Hardt ihm bieder die Hand schüttelte; der Druck mochte für seine Hände wohl etwas zu deutsch gewesen sein.

Es machte ihm augenscheinlich einen eigenthümlichen Eindruck, in seinem eigenen Hause aufgefordert zu werden, Platz zu nehmen und sich als Gast behandelt zu sehen; er folgte indessen der Einladung mit vollendeter Höflichkeit, und bezwang sich sogar, etwas zu essen und auch mit offenbarer Ueberwindung sein volles Glas auf die Anforderung Hardt’s zu leeren.

Wendt hatte ihm nur mit stummem Lächeln die Schüssel mit den Kartoffeln zugeschoben und blickte dann träumerisch vor sich hin.

Ich bemerkte, wie des Alten Auge scheu über die soeben aus ihrem unterirdischen Verließ gehobenen Schätze schweifte. Hardt bemerkte es ebenfalls und war zu gutmüthig, um nicht zu glauben, ihn über die Conservirung seines Eigenthums beruhigen zu müssen. Seine Kenntniß des Französischen beruhte auch nur auf schwachen Reminiscenzen aus der Schulzeit, und

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872). Leipzig: Ernst Keil, 1872, Seite 357. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1872)_357.jpg&oldid=- (Version vom 27.8.2018)