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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872)

Der fünfundsechszig Millionen Dollar-Schatz auf der Cocosinsel.


Von Theodor Kirchhoff in San Francisco.


Am letzten Tage des Februarmonds 1872 verließ die Brigg „Laura“, unter dem Befehl von Capitain Thomas Welsh und Gemahlin Eliza Welsh, den Hafen von San Francisco und steuerte durch’s „goldene Thor“ hinaus in das große Stille Weltmeer, um den sich auf die Kleinigkeit von sage fünfundsechszig Millionen Dollars (Gold, Silber und Juwelen) belaufenden Piratenschatz von der Cocosinsel zu holen. Seit den letzten siebenzehn Jahren sind eine erkleckliche Anzahl von Expeditionen, die meisten derselben von San Francisco, einige von Centralamerika, nach der Cocosinsel gegangen, um besagten Schatz zu finden; aber alle sind unverrichteter Sache zurückgekehrt, wovon verschiedene Gründe angegeben werden. Die Ungläubigeren in San Francisco nennen den Cocosinselschatz einen riesigen Humbug, der gar nicht existire, – ergo auch nie gefunden werden könne; die Theilnehmer an den Expeditionen dagegen schwören Stein und Bein auf die fünfundsechszig Millionen, die irgendwo auf der Cocosinsel vergraben lägen, und geben als Grund ihres Nichtfindens meistens Neid und Eifersucht unter den Schatzsuchern an, die sich den ungeheuren Reichthum gegenseitig nicht gönnen.

Der erstaunte Leser wird gewiß begierig sein, zu erfahren, was es für eine Bewandtniß mit dem Piratenschatze habe und wo in aller Welt die Cocosinsel liegt, von der er in den Geographiestunden auf einer deutschen Schulbank schwerlich je etwas gehört hat. Die Lage der Cocosinsel (Cocos Island) ist in fünf Grad dreiunddreißig Minuten nördlicher Breite, ungefähr dreihundert Seemeilen westlich von Panama im Stillen Meere. Die mit tropischer Vegetation bedeckte bergige Insel, welche unbewohnt ist, hat eine Länge von etwa zwei deutschen Meilen und eine Breite von einer Meile. Sie liegt ganz einsam und von allen Verkehrswegen der Handelsschiffe auf dem Ocean entfernt, und schwerlich könnte ein passenderer Platz als dieser, um Schätze zu vergraben, auf unserem Planeten gefunden werden. Wie es geschah, daß die fünfundsechszig Millionen Dollars (Gold, Silber und Juwelen) auf der Cocosinsel eingescharrt wurden, wird aus der Lebensbeschreibung des Capitain Welsh klar werden, die ich hier in Kurzem so wiedergeben will, wie sie der berühmte Schatzsucher in San Francisco erzählt hat.

Capitain Thomas Welsh und seine Gattin sind – so wird von ihnen behauptet – die einzigen Ueberlebenden von der Bemannung eines Seeräuberschiffes, dessen blutige Carriere im Anfange des gegenwärtigen Jahrhunderts gespielt hat. Welsh macht Anspruch darauf, der Sohn eines engländischen Edelmannes aus der Grafschaft Kent zu sein. Seine Mutter ward, ehe sie heirathete, von einem stolzen und schönen, aber leider sehr armen Engländer sterblich geliebt, mußte jedoch auf den Befehl ihres Vormunds – sie war eine Waise – gegen ihren Willen besagtem Edelmann an den Altar folgen. Aus Verzweiflung darüber, die Geliebte seines Herzens nicht heimführen zu können, ward der stolze und schöne, aber arme Engländer ein Pirat und machte es zugleich zu seiner Lebensaufgabe, an dem Zerstörer seines häusliche Glückes schreckliche Rache zu nehmen. Im Jahre 1813 ward Thomas Welsh geboren. Seine Jugendgespielin war Eliza, die Tochter des ehemaligen Vormunds seiner Mutter, und seine jetzige Gemahlin, die acht Jahre älter als er ist. Als die beiden Kinder (Welsh war dazumal vier, Eliza zwölf Jahre alt) einstens am Meeresstrande Muscheln suchten, überraschte sie ein großer und wild aussehender Mann, der frühere Geliebte seiner Frau Mutter und jetzt Seeräubercapitain, und schleppte sie auf ein Schiff, das in der Nähe der englischen Küste ankerte, – und bald darauf segelte die Piratenbrigg nach Westindien. Die Rache des Seeräubercapitains war freilich nicht ganz gelungen, da er beabsichtigt hatte, Vater, Mutter, Vormund und Kinder alle zusammen gefangen fortzuführen; aber er ließ es mit den Kindern bewenden und kehrte nie wieder nach England zurück. Der kleine Welsh wurde jetzt zum Seeräuber förmlich erzogen und Eliza wohnte in der Kajüte des Capitains.

Die Piratenbrigg war während des nächsten Jahres der Schrecken aller Kauffahrer in den westindischen Gewässern. Aber der unternehmende Capitain suchte einen größeren Wirkungskreis und hatte ein Auge auf das ehemalige Reich der Incas geworfen. Als im Jahre 1818 die spanischen Colonieen in Südamerika gegen das Mutterland revoltirten, segelte der Pirat um das Cap Horn nach der Südsee, wo sich ihm eine herrliche Gelegenheit darbot, die unbeschützten Kauffahrteischiffe und die mit dem Golde Peru’s beladenen spanischen Gallionen zu plündern, Die hundertsechszig Mann starke Besatzung des Seeräuberschiffes, welche aus Engländern, Schotten und Irländern bestand, war unter der Führung ihres heroischen Capitains unbesiegbar. Die schnellsegelnde Brigg war mit acht Geschützen bewaffnet, und die schweren Vollkugeln von der auf dem hohen Quarterdecke postirten Drehbasse, „Long Tom“ genannt, fehlten nie ihr Ziel. Zuerst wurden die reichen Kauffahrteischiffe zusammengeschossen und dann geentert; die auf ihnen gefundenen Schätze – Piaster, Dublonen, Gold- und Silberbarren, Juwelen, Silberzeug etc. – wurde an Bord der Brigg geschafft, einzelne verwegene Matrosen von den genommenen Schiffen als Seeräuberrekruten angeworben und dann das eroberte Fahrzeug mit Todten und Lebendigen versenkt. Nur einmal war das Piratenschiff nahe daran, genommen zu werden. Eine mit fünfhundert Seesoldaten bemannte französische Fregatte holte die Brigg ein und enterte dieselbe. Die Franzosen wären auch sicher Sieger geblieben, hätte der Piratencapitain nicht durch fast übermenschliche Tapferkeit seine Mannschaft zu Heldenthaten angefeuert, und er selbst, durch die dichtesten Haufen der Feinde dringend, diese dermaßen zusammengehauen, bis sie entsetzt die Flucht ergriffen. Bei dieser Gelegenheit erhielt der junge Welsh einen Säbelhieb über das Gesicht, wovon heute noch die Narbe zu sehen ist. Die Mannschaft des Seeräubers zählte nach diesem blutigen Siege nur noch sechszig Köpfe,

Um seine zusammengeschmolzene Mannschaft wieder vollzählig zu machen, landete der Capitain jetzt öfters an der chilenischen und peruanischen Küste, wo er zugleich mit den Einwohnern ein Freundschaftsbündniß anknüpfte, damit er das Absegeln der mit Gold und Silber befrachteten spanischen Gallionen rechtzeitig erführe, die er dann nachher plünderte. Nach und nach vermehrten sich die Schätze an Bord der Piratenbrigg auf eine so kolossale Weise, daß der Capitain sich nach einem Orte umsah, wo er die ungezählten Millionen sicher aufbewahren könnte. Er entdeckte die unbewohnte Cocosinsel und machte dieselbe sofort zu seinem Rendezvousorte und Schatzdepot. In einem etwa dreihundert Fuß hohen Berge fand man eine Höhle, die als Hauptquartier eingerichtet ward und wo in einem verborgenen Gewölbe die Beute untergebracht wurde. Wochenlang pflegten die Piraten hier wüste Trinkgelage zu halten und ihre Schätze zu zählen, ehe das Schiff zu neuen Raubzügen wieder in See ging. Bei ihrer Abreise wurde die Höhle jedesmal so wieder zugedeckt, daß es einem mit ihrer Lage nicht Bekannten unmöglich wäre, dieselbe aufzufinden.

Der kleine Welsh ward bald der Liebling der Seeräuber und der Capitain behandelte Eliza auf das Sanftmüthigste. Die Rache, welche er den beiden Kindern geschworen hatte, schien von ihn ganz und gar vergessen zu sein, und Welsh erinnert sich, daß er ihn oft seinen Sohn nannte. Er suchte einen Stolz darin, ihm zu einem tüchtigen Piraten auszubilden. Aber Welsh und Eliza, die zu einer schönen Jungfrau heranblühte, trauten nicht den Absichten des Capitains und hatten schon lange darnach gestrebt von dem Schiffe zu entfliehen, wozu dieser, der wohl so etwas argwöhnen mochte, ihnen jedoch keine Gelegenheit bot. Endlich, nachdem sie sieben Jahre lang unter den Piraten gelebt hatten, schlug ihnen die Stunde der Erlösung.

Die Seeräuber hatten bereits eine solche Unmasse Beute auf der Cocosinsel zusammengeschleppt, daß sie allen Ernstes davon sprachen, die Reichthümer – dieselben wurden auf mindestens dreizehn Millionen Pfund Sterling geschätzt – zu theilen und sich friedlich in’s Privatleben zurückzuziehen Der Capitain war damit einverstanden; nur noch einen guten Fang wollte er machen, und dann sollte das wilde und gefahrvolle Piratenleben aufhören. Er kannte eine reiche Stadt an der südamerikanischen Küste, die

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872). Leipzig: Ernst Keil, 1872, Seite 388. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1872)_388.jpg&oldid=- (Version vom 27.8.2018)