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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872)

schlimmer noch, er ist angeklagt, Stellen und Aemter verkauft zu haben, und als Gefangener auf Ehrenwort nach seinem Schlosse Drossenfeld verwiesen.

Wer diesen Ort heute sieht, der theils zur Fuhrmannsausspanne, theils zum Holzmagazin und zur Behausung für Büttel und Gerichtsboten degradirt ist, der wird sich schwer ein Bild entwerfen können von der Pracht, welche das Tusculum des reichbegüterten Reichsgrafen Philipp von Ellrodt einst der staunenden Welt vor Augen gestellt hat. Am rechten Ufer des hier fast noch bachartigen rothen Mains erhebt sich der imposante Bau mit seinen beiden Seitenflügeln, den, nach einem alten Kupferstiche, unsere Illustration wiedergiebt, auf einer mit Gartenanlagen im Stile Lenôtre’s geschmückten malerischen Terrasse, welche an Sanssouci erinnert und wohl mit den in der Rococozeit so hochgepriesenen Gärten der Isola Bella im Lago Maggiore verglichen worden ist. Nach allen Seiten hin gewährt das Schloß entzückende und ahnungsreiche Fernsichten, nach der dämmerblauen sanfteren Hügelkette der fränkischen Schweiz, wie nach den stattlicheren Höhen des näheren Fichtelgebirges.

Auf jedem Absatze der hochansteigenden Terrasse tränken künstliche Wasserwerke einen reichen Flor der seltensten Blumen, auf dem Kiesplatze am Fuße der Treppe hauchen alte Pommeranzen- und Citronenbäume ihren feinen Wohlgeruch aus, während rechts und links in groteske Gestalten verschnittene Laubgänge und Taxushecken zu verschwiegenem Wandeln und traulichem Ruhen in labender Kühle einladen. Selbst beim Regengusse mag man ungenäßt weilen unter dem dichten grünen Blätterdache, unter welchem barock verzierte, wundersam verschnörkelte Tische und Bänke und mancherlei burleskes Sandsteingebild, bucklige Zwerge und schnakische Faune neben griechischen Götterfiguren im Zopfgeschmacke umherstehen. Bewaldete Hügel ziehen sich als nächster Saum um das Ganze; bis zu ihnen hinauf verstreut sich das freundliche Dorf, dessen vom Markgrafen Friedrich „seinem Günstling zu Liebe“ erbaute schmucke Kirche ihren schieferbedeckten Thurm unmittelbar hinter dem Schlosse emporreckt. Die zahlreichen Obstbäume an den durch die Gemarkung, meist in Bergeinschnitten höhwärts, führenden Wege zeugen von der geschützten Lage des Ortes. Das Innere des Schlosses ist fürstlich ausgestattet, mit buntbemalten oder vergoldeten Decken, mit Marmorkaminen und Boulemöbeln, seidenen Hautelisse- und Gobelintapeten, Meißner Porcellanungethümen und Schäfergruppen, Krystalllustern und glasumrahmten Spiegeln, geschweiften Commoden und goldfüßigen Schreibtischen, mit verschnörkelten Pendulen und wackelnden Pagoden, wie sie der Zeitgeschmack liebte und wir sie heute wieder nachahmen oder aus Trödlerboutiken um schweres Geld erkaufen.

Ein köstlicher Sitz, dies Drossenfeld des Reichsgrafen von Ellrodt, viel bewundert und viel beneidet in seinen Tagen, ein Beweis aber zugleich, daß das Gerücht wohl nicht so weit von der Wahrheit vorbeitrifft, wenn es die Reinlichkeit der premierministerlichen Hände einigermaßen in Zweifel zieht. Hieran mag auch Ellrodt Vater denken, als er sich in seinem Arbeitscabinete mit dem Sohne, der ihn am Abend vorher durch seine Heimkehr von einer Lustreise in’s Salzburgische überrascht hat, zur Morgenchocolade niederläßt. Auch der jetzt dreiundsechszigjährige Herr zeigt noch Spuren einer ungewöhnlichen männlichen Schönheit; mit feingeschnittenen Zügen und vornehmer Haltung, hochgewachsen und breitschulterig, trägt er ein vollkommen aristokratisches Gepräge, als sei er nicht in einem Predigerhause, sondern im Reichsgrafenpalaste zur Welt gekommen. In der Regel von beinahe fürstlichem Selbstbewußtsein, – ist er heute doch niedergedrückt und kleinlaut. Die Anklage zwar, die eine seiner ehemaligen Creaturen, ein verkommenes bedeutungsloses Subject, wider ihn erhoben, als habe er dem Menschen seinen Posten gegen ein Douceur von dreißig Ducaten verkauft, spottet er – dreißig Ducaten für den reichen Grafen Ellrodt! das ist doch zu abgeschmackt – doch wie, wenn in der bevorstehenden Gerichtssitzung noch andere Dinge und – Weitherzigkeiten zur Sprache kommen, deren Grundlosigkeit sich nicht so ohne Weiteres erweisen läßt? Er fühlt sich eigenthümlich beklommen. Auch dem Sohne liegt es wie ein Alp auf der Brust, allein er kann den Gedanken an die Schuld des Vaters, den er immer nur würdevoll und stolz gesehen, nicht festhalten und bemüht sich durch heiteres, kindlich liebevolles Geplauder, dem theuren Manne, der an ihm von der Wiege an nur Gutes und Liebes gethan hat, die Wolken von der Stirn zu scheuchen. Wie verschieden geartet die Beiden! Der Vater in Denken und Wesen, in Erscheinung und Rede der Repräsentant der sich auslebenden alten, der Sohn geistig und sittlich das Kind der heraufleuchtenden neuen Zeit; der Erstere noch im strengsten Zwange von Puder und Perrücke, der Letztere mit dem ihm Stirn und Schläfe freier umwallenden goldblonden Haare dem Zopfthume schon nach Möglichkeit entschlüpfend; der Eine nach den Grundsätzen einer vornehm-bequemen Moral noch inmitten der frivolen französischen Bildung lebend, der Andere, sittlich strenger und von höheren Idealen getragen, schon ein Pionnier des neuen deutschen Geisteslebens, das, mit der wälschen Convention und Oberflächlichkeit brechend, in den Tiefen des Gemüthes, auf dem Boden menschlicher Sittlichkeit sich Ankergrund und Angelpunkt sucht. Die Hervorhebung des Contrastes und zugleich der Zusammengehörigkeit der beiden Charaktere ist Gutzkow meisterhaft gelungen.

Graf Ellrodt Vater geht glänzend hervor aus dem im Adlersaale des Baireuther Schlosses, in Gegenwart des Markgrafen, tagenden Gerichte. Der Fürst sucht die dem Minister angethane Unbill gut zu machen, indem er demselben einen großmächtigen Titel anhängt, ihn zum Land-Erbkämmerer des Brandenburg-Culmbacher Weltreichs ernennend – ein Beiseitegeschobener, Halbverbannter und Geächteter bleibt Reichsgraf Philipp indeß nichts desto weniger, ein geknickter Mann, der in seiner Vergangenheit keinen Trost finden kann für die trübe Gegenwart und selbst auf den neuerdings bewirkten Erwerb einer „reichsunmittelbaren“ Besitzung in der Rheinpfalz, der seinem Stolze früher so hohes Genügen bereitet haben würde, kaum noch Werth legt. Auch auf die so schön, so reich und verheißungsvoll aufgesproßte Lebenssaat des Sohnes hat das Schicksal des Vaters einen zerstörenden Mehltau geträufelt.

Nach wie vor schwingt Markgraf Friedrich Christian seinen Stock; von Tag zu Tage wächst seine Neigung, „seine nächsten Umgebungen mit Schlägen zu tractiren“, zugleich mit der Verdüsterung seines Gemüths. Die Begräbnißstätte seines Hauses, das von der „weißen Frau“ gestiftete Cisterciensernonnenkloster Himmelskron, ist seine Lieblingsstätte. Dort, in dem unheimlichen kleinen Schlosse, unter einem jedem heitern Sonnenstrahle den Eingang wehrenden Riesenzelte uralter Linden, wie sie vielleicht auf Erden nicht zum zweiten Male vorhanden sind, vertieft sich der der Monomanie entgegentreibende Fürst in die Revision des alten Gesangbuches, welches er mit seinen geliebten „Kernliedern“ bereichert; dort plant er sein eigenes Mausoleum, das er in seinem Geburtsschlößchen zu Weferlingen zu errichten gedenkt; dort hält er gelegentlich auch Hof, trotz aller Weltentsagung und Verschmähung irdischen Glanzes mit ziemlicher Sorgfalt seine äußere Persönlichkeit herausstaffirend, jeden seiner Orden vor dem Spiegel probirend, auf das steifste Ceremoniell und streng darauf sehend, daß nur der Adel Einlaß findet in die freudlosen Räume seiner düsteren Behausung. Der weiland hannöversche Hühneraugenschneider ist, wie man sich denken kann, mittlerweile unter die Edelleute emporgehoben worden und noch immer der Tyrann des Landes. Wohl mag ihn Markgraf Friedrich Christian nachgerade nicht mehr besonders leiden, aber er hält den frechen, eiteln und schlemmenden Patron für den „einzigen ehrlichen Kerl“ in seinen Staaten, und so läßt er ihn seine Scandalwirthschaft ungehindert forttreiben, Judenhetzen in’s Werk setzen, um den Gejagten Geld und Gut wegzunehmen, als Chef der souverainen Landesdeputation auf seinen Rundreisen im Lande ringsum Schrecken verbreiten und treue Staatsdiener und ehrliche Männer in den Kerker werfen. Eine Mißregierung sonder Beispiel, ein Cabinetslichtbild aus der „guten alten Zeit“.

Vielleicht noch ekelhafter zu lesen aber ist es, wie die obersten Hofchargen sich Mühe geben, den prügelsüchtigen Fürsten durch weiblichen Umgang zu sänftigen, und die vornehmsten Damen des Adels den finstern Frauenhasser umschmeicheln, diesen sänftigenden Einfluß auf ihn ausüben – wie hoch- und hochwohlgeborene Eltern ihm zu solchem Behufe ihre Töchter präsentiren!

Erst ein Complot macht, durch Frauenlist verrathen und von Fritz Ellrodt verhindert, dem Unwesen der Schröder’schen Creaturen ein Ende. Dieser mißlungene Anschlag, dessen Hauptanstifter der durch seine Cabalen zum Premierminister aufgerückte Schwiegersohn Schröder’s ist, der Kammerjunker und frühere

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872). Leipzig: Ernst Keil, 1872, Seite 422. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1872)_422.jpg&oldid=- (Version vom 27.8.2018)