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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872)

den Seinigen mitzutheilen. Gaston hatte sich die Mittel und Wege, Max für immer stumm zu machen schon überlegt … und jetzt war ihm der Fang so entgangen, so schmählich durch Valentine selbst, die dabei nicht ahnte, was sie that, entzogen: das war freilich genug, um darüber aus dem Gleichgewichte zu gerathen.

Es war um so schlimmer, als er ja Valentine nicht einmal dadurch strafen konnte, daß er ihr die Motive seines mißlungenen Anschlags enthüllte und ihr zeigte, was sie eigentlich gethan. Die Gefahr lag zu nahe, daß Valentine, wenn sie die That ihres Vaters und die Ansprüche des deutschen Officiers erfuhr, in einer Wallung übermäßigen und thörichten Edelmuths auf ihr ganzes Erbe verzichten würde – zu Gunsten dieses verhaßten Deutschen! Nein – Valentine durfte nie ahnen, was Gaston eigentlich zum Handeln bestimmt hatte – es war gut, daß Gaston Miß Ellen’s, die er zur Vertrauten gemacht und zur Helfershelferin gewonnen, so sicher sein konnte – sie, die sich als die künftige Gattin d’Avelon’s betrachtete, hatte zu guten Grund, einen solchen Edelmuth Valentinens zu fürchten, als daß sie gegen diese eine Indiscretion begehen konnte. Gegen d’Avelon mochte sie es am Ende: wenn Miß Ellen für gut fand, durch Andeutungen auf solch ein Geheimniß sich d’Avelon’s noch stärker zu bemächtigen, als sie sich seiner schon bemächtigt hatte, so war das für Gaston kein Gegenstand der Beschwerde; hatte er doch selbst vorkommenden Falls, und wenn es später einmal zwischen ihm und d’Avelon zu Conflicten der beiderseitigen Ansichten oder Interessen kommen würde, durchaus nicht vor, die Waffe, welche ihm Max Daveland wider den alten Herrn ausgeliefert, ungenützt zu lassen!

Aber wohin war der unglückliche, von einer tückischen Schickung just hierher in’s Land geworfene Deutsche von Valentine nur geführt worden? Sie hatte verrathen, daß sie um die Besetzung des Weges nach Void durch einige der Arbeiter gewußt. Dann hatte sie ihn also nicht da hinaus führen können. Er hatte durchaus nicht daran denken können, mit Vermeidung der gebahnten Straße querfeldein in der Richtung nach Void zu schreiten und es zu erreichen – das wäre am Tage bei hellem Sonnenlicht möglich gewesen; in einer solchen völlig dunklen und regenfeuchten Nacht war es unmöglich. Oder hatte er sich nach der andern Seite, südlich und das Maasthal aufwärts, zu retten versucht? Auch das war undenkbar; er wäre da nur immer weiter in eine ihm völlig fremde Gegend gerathen, in eine in der Nacht höchst mißliche Lage, die nach Tagesanbruch dann nur noch mißlicher geworden wäre, wenn er, fern von den Seinigen, sich da führerlos und allein tief im feindlichen Lande wiedergefunden hätte! Nein, es war viel wahrscheinlicher, daß Valentine ihm einen Zufluchtsort gezeigt – einen Zufluchtsort, nicht in der Ferme selbst, denn Gaston hatte ja ihr regenfeuchtes Haar bemerkt, sie war längere Zeit im Freien gewesen; sie hatte am Ende – die Vermuthung lag zu nahe, als daß Gaston nicht hätte darauf kommen sollen – ihn nach der Höhle der Jungfrau gebracht! Gaston hielt seinen Schritt an, als dieser Gedanke in ihm aufstieg, schlug die Arme übereinander und sann nach. Was beginnen, wenn dem so war? Sollte er eilen, der längst abgezogenen Arbeiter wieder habhaft zu werden, und sie zu einem neuen Versuche, ihr Vorhaben durchzuführen, versammeln … oder erst selbst zur Höhle gehen, um sich zu überzeugen, daß seine Voraussetzung richtig – dann vielleicht den Deutschen überreden, ihn nach Givres zu begleiten, und dort …?“

Sein grübelnder Gedankengang wurde durch das Geräusch von leichten raschen Schritten unterbrochen, die vor ihm auf der Höhe der Straße vernehmbar wurden … die näher und endlich so nahe kamen, daß Gaston eine vor ihm aus dem Dunkel auftauchende Gestalt unterscheiden und zugleich auch wahrnehmen konnte, wie der Kommende jetzt ihn wahrnahm, und einen Augenblick den Schritt anhielt – dann sich wieder näherte – bis er abermals stehen bleibend in französischer Sprache ausrief:

„Wer ist da?“

„Ah – Sie sind es – Herr von Daveland!“ rief höchst überrascht Gaston aus, sofort auf ihn zueilend. „Sie finde ich hier … Sie kommen … von der Höhle der Jungfrau her …“

Gaston sprach die Worte langsam, wie tastend und unsicher – desto rascher fiel ihm Max in’s Wort:

„Das wissen Sie?“

„Sicherlich weiß ich es, Valentine hat es mir gesagt,“ rief Gaston, der jetzt im Augenblicke übersah, wie er dies Zusammentreffen zu benutzen habe, aus. „Valentine hat mich von Givres herüberrufen lassen, in großer Sorge um Sie, und nachdem ich diese Sorge beruhigt, habe ich den Auftrag von ihr erhalten. Sie aus Ihrer unerquicklichen Lage zu befreien und nach Givres zu führen, um dort den Rest der Nacht geschützter und bequemer zuzubringen.“

„In der That? Nun, Sie sehen, ich habe schon selbst jener unerquicklichen Lage, die obendrein begann, mir ein wenig lächerlich vorzukommen, ein Ende gemacht. Die dunkle feuchte Höhle schien mir doch ein gar zu schlechtes Bivouac, und so gerührt ich auch Fräulein Valentinens Sorge um mich anerkannte, zog ich doch vor, den Heimweg zu suchen, so gut es gehen wolle. Ich bin durch das Thal oder die Schlucht, in der ich mich befand, vorwärts geschritten; da ich die Richtung dieser Straße, auf der wir uns befinden, ungefähr kannte, wußte ich ja, daß ich sie erreichen müsse, und als ich sie eben etwa zehn Minuten weiter aufwärts in der That erreicht hatte, war meine Absicht, auf ihr bis zur Ferme zu gehen und dort zu recognosciren, ob ich mich wieder in den Besitz meines Pferdes setzen könne, um auf ihm nach Void zu entkommen oder sonst zu Fuße mich dahin durchzuschlagen. Es mag das schwierig sein, aber in einer so dunklen Nacht kann bei solch einem Rückzuge nichts Gefährliches sein; es ist ganz unmöglich, Jemanden wahrzunehmen, der sich verborgen halten will, und träfe ich auch auf ganze Bataillone Ihrer liebenswürdigen Franctireurs von Neufchateau, sie würden mich nicht fangen; ich würde in jedem nächsten Gebüsche einen Schutz finden, ein Versteck, gerade so gut wie diese romantische Höhle der Jungfrau von Arc!“

„Sie können in der That ganz ruhig sein, Herr von Daveland,“ antwortete Gaston. „Es ist Niemand, der Ihre Sicherheit bedroht, und am wenigsten die Franctireurs von Neufchateau … die ganze Hetze, die Ihren Schlaf gestört hat und nebenbei auch den meinigen, ist nichts als ein Hirngespinnst. Eine halbe Stunde von der Ferme des Auges liegt ein Eisenhammer, der etwa dreißig Arbeiter beschäftigt. Unglücklicher Weise hat Valentine, als Sie zur Ruhe gegangen waren, von einem ihrer Mädchen erfahren, daß einer der Knechte der Ferme noch spät am Abende sich zu diesem Hammer begeben – ihre mädchenhafte Phantasie hat darin ein Complot erblickt, die Absicht, die wüsten und rauflustigen Eisenarbeiter herbeizuholen, um Sie aufzuheben oder gar um’s Leben zu bringen; sie hat einen Boten an mich abgeschickt, um mich als den Brodherrn jener Arbeiter zum Schutze da zu haben, und in ihrer Angst ist sie sogar so weit gegangen, Sie zur Flucht aufzufordern, und hat Sie in jener Höhle geborgen. Thorheit das Alles! Meine Arbeiter denken nicht daran, die Ferme des Auges wie Räuber zu überfallen, und liegen in ruhigem Schlafe; es ist mir bald gelangen, Valentinen ihre chimärischen Befürchtungen zu nehmen, und ein wenig beschämt hat sie mich eben entlassen mit dem Auftrage, Sie aus Ihrem romantischen ‚Bivouac‘ zu befreien und mit mir nach Givres zu nehmen – es war das Herrn d’Avelon’s Wunsch, der, sehr unwillig über die nächtliche Störung, Ruhe verlangte, hinter mir seine Thüren verriegelte und mich verantwortlich dafür machte, daß Sie in Givres ein ruhiges Nachtquartier bekämen. Wenn Sie jedoch darauf bestehen, will ich Sie wieder nach der Ferme bringen. Freilich habe ich, wie Sie begreifen, nicht große Lust dazu; ich müßte dann den Weg noch einmal da hinab und wieder hinauf machen und hätte noch einmal die Ferme aus der Nachtruhe zu stören; ich sehne mich nach der Ruhe, nach meinem guten Bett in Givres, und Sie werden dort ein ebenso hübsches Fremdenzimmer ganz bereit finden, Sie aufzunehmen. Außerdem haben Sie den Vorzug, dort sich in der Morgenfrühe über die uns Beiden am Herzen liegende Affaire mit meiner Mutter selber besprechen zu können. Es ist besser so; kommen Sie, wir haben bis Givres nur noch eine sehr geringe Strecke.“

Gaston begann bereits weiterzuschreiten; Max wandte sich und folgte ihm ein wenig unschlüssig … aber er konnte ja nicht wohl anders; er konnte nicht füglicher Weise in dieser Nachtstunde zur Ferme zurückkehren; sich, wie er beabsichtigt, den Weg nach Void weitersuchen, war in der Dunkelheit sehr wenig verlockend; was Gaston de Ribeaupierre vorschlug, war offenbar das Zweckmäßigste; und gewiß dann, wenn er überhaupt noch Werth legte

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872). Leipzig: Ernst Keil, 1872, Seite 433. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1872)_433.jpg&oldid=- (Version vom 27.8.2018)