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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872)

Ein so überwältigender, keine Rücksichten mehr auf Alles, was uns umgiebt, auf die anerzogenen Vorstellungen von dem, was schicklich, auf die Gesetze der jungfräulichen Zurückhaltung, auf die ganze übrige Welt nehmender Ausbruch des Gefühls hat etwas, das mit einer gewissen scheuen Ehrfurcht erfüllt. Wer wagt da noch, Einspruch zu thun, wer denkt an Widerstand? Es ist das Aufflammen eines Blitzes, in dem sich der lange angehäufte Zündstoff eines moralischen Gewitters entladet, ein Auflodern einer großen Seelenflamme, die plötzlich von dem heiligen und göttlichen Feuer in der Menschenbrust Kunde giebt, von seinem uralt heiligen Rechte auf den Sieg über jede feindliche Macht des Erdenlebens, von dem alten Erstgeburtsrechte, das auf Erden dem Idealen geworden. Es verstummen scheu davor selbst die, welche es nicht verstehen – wie der Löwe zurückweicht vor dem Strahle des Menschenauges, das er nicht versteht.

Vielleicht hätte auch Herr d’Avelon wie ein zorniger Löwe es aufgenommen, wenn ihm in anderer Weise kund geworden, wie seine Tochter für den fremden Officier fühle. Diese Art, wie sich ihm Valentinens Gefühl offenbarte, ließ ihn schweigen. Er sah stumm und ernst auf die Gruppe nieder, die ihm nichts übrig ließ, als: was nun einmal war, wie ein Verhängniß anzunehmen. Auch die Cameraden Max Daveland’s standen stumm und betroffen umher; sie verbargen unter einem ein wenig verlegenen Lächeln ihr inneres Ergriffensein – Sontheim rief endlich wie im Gefühl, daß er seine Anwesenheit hier jetzt besser abkürze, Merwig zu:

„Gehen Sie, unsere Leute nach Void zurückzusenden, Lieutenant Merwig; wir sind ja Alle zusammen nicht mehr nöthig hier – gehen Sie nur, ich folge Ihnen, sobald ich Herrn d’Avelon um Entschuldigung gebeten habe, daß wir durch unsere Pflicht gezwungen waren, uns in seinem Hause in etwas zu mischen, was sich doch nun ganz als seine – Familienangelegenheit erweist!“

Während Merwig ging, sagte d’Avelon, mit einem ernsten Lächeln die Verbeugung erwidernd, die ihm Sontheim bei seinen letzten Worten gemacht hatte:

„Die Noth und Seelenangst, welche Sie über uns gebracht, Herr Hauptmann, kann uns nicht so blind machen, Ihnen dabei eine persönliche Verantwortlichkeit zuzuschieben. Und wäre dies auch der Fall, so haben wir jetzt, wie Sie sehen, einen uns Beiden so nahe stehenden Vermittler in Ihrem Cameraden hier“ – Herr d’Avelon blickte mit einem Lächeln, in welchem eine eigenthümliche Mischung von Resignation, Ironie und Rührung lag, auf Max und Valentine – „daß eine Feindschaft gar nicht aufkommen kann.“

„Gewiß nicht bei der edeln und großherzigen Weise, wie Sie die Sache aufnehmen, Herr d’Avelon,“ antwortete Sontheim, dem alten Herrn bewegt die Hand reichend. „Nehmen Sie mir nicht übel, wenn ich Ihnen darüber meine aufrichtige Bewunderung so gerade in’s Gesicht sage; auch danke ich Ihnen …“

Max hatte sanft Valentine in ihren Sessel zurückgelegt, er war aufgesprungen und beide Hände d’Avelons ergreifend, rief er jetzt aus: „O Sontheim, nehmen Sie es nicht mir, der Erste zu sein, der diesem edlen theuren Manne dankt …“

D’Avelon erstickte Maxens weitere Worte, indem er ihn an seine Brust zog.

„Was danken Sie mir!“ sagte er. „Ich habe ja eben nur zu deutlich gesehen, daß mir nichts übrig bleibt, als gute Miene zum bösen Spiel zu machen – zu diesem bösen Schachspiel, wobei ich Ihnen die Königin raubte, und Sie mir dafür die Tochter nehmen!“

„Um sie wie eine Königin auf Händen zu tragen!“ fiel Max gerührt ein, nach der Hand Valentinens fassend, die eben herantrat, um ihren Vater zu umarmen.

„Wo Sie die Nacht hindurch gesteckt haben,“ warf jetzt der Hauptmann dazwischen, „werden wir in dieser Stunde schwerlich von Ihnen erfahren, und meine dienstlichen Verweisreden würden noch schwerlicher mit der respectvollen Aufmerksamkeit und innerlichen Gemüthszerknirschung, die sich gebührte, von Ihnen angehört werden, Daveland – also verschieden wir das, bis Sie sich in Void wieder zum Dienst melden, was ich doch bis heute Abend erbitte! Und damit Gott befohlen!“

Er reichte d’Avelon zum Abschied die Hand, verbeugte sich kurz und eilte, den auf die Ferme des Auges gelegten Belagerungsstand durch den Abzug seiner Mannschaft aufzuheben. Diese stand, von Hartig gesammelt, schon zum Abrücken bereit im Hofe – Merwig war, als der Hauptmann zu ihnen trat, just sehr lebhaft beschäftigt, Hartig mitzutheilen, was sich eben drinnen im Salon zugetragen.

„Wunderbarliche Geschichte!“ sagte Hartig trocken. „Und wo dieser unsichere Cantonist die Nacht gesteckt hat, haben Sie nicht erfahren? Wie viel das zu denken giebt! Wo steckt ein verliebter Mensch, wenn seine Truppe Nachts die Fühlung mit ihm verliert? Thun die Herrn mir einen Gefallen … ja? Lassen Sie es mich der blonden Nicaise erzählen, wenn wir heimgekommen …“

„Glauben Sie, die blonde Nicaise wüßte das Räthsel zu lösen?“

„Nicht deshalb. Ich denke: Exempla trahunt! Beispiele ziehen!“

„Bisher war sie freilich gegen Sie mitunter noch ungezogen!“ lachte Merwig.

„Ziehen Sie lieber ab, Hartig,“ fiel Sontheim ein, „als Merwig’s schwache Versuche im Wortwitz anzuhören.“

„Achtung … Schultert’s Gewehr … Rechts schwenkt, marsch!“ commandirte Hartig jetzt mit bewunderungswürdigem militärischen Aplomb – und bald darauf war die letzte preußische Uniform von der Ferme des Auges verschwunden.

Die letzte – bis auf eine, die in diesem Augenblicke neben dem Stuhle Valentinens sich im Salon behauptete. Max hielt mit der einen Hand die Valentinens, die lauschend zu ihm aufschaute, fest, während er die andere auf die Lehne ihres Sessels gestemmt hatte, und so erzählte er alle seine Erlebnisse in der Nacht, seine Entfernung aus der Höhle, seine Begegnung mit Gaston, dessen Auslegung von der grundlosen Befürchtung, der sich Valentine hingegeben habe, seine Wanderung nach Givres, sein Entkommen von da; und entrüstet vernahm er aus d’Avelons Munde, was in der Nacht auf der Ferme stattgefunden, was Gaston dort unternommen, womit, in Folge davon, dann d’Avelon und die Seinen durch Max Daveland’s Cameraden bedroht worden seien. Das Alles wurde rasch und in geflügelten Worten gegenseitig ausgetauscht, erörtert und durchsprochen, während Miß Ellen, ihr Ergriffensein durch alle diese Vorgänge nur durch eine ein wenig bleichere Farbe ihrer starren Züge verrathend, sich mit eigenthümlicher Gemüthsruhe schon ihrer häuslichen Pflichten wieder erinnert hatte und ab und zu ging, um die Tagesordnung und das gewohnte Geleise des häuslichen Lebens herzustellen und zunächst für Herrn d’Avelon’s Frühstück zu sorgen. Sie ließ ein anderes für Max und Valentine in den Salon bringen – Herrn d’Avelon führte sie, leise ihre Hand auf seinen Arm legend, in das Speisezimmer und schloß dann die Thür hinter sich.

„Ah,“ sagte Herr d’Avelon, bei dieser Vorsicht lächelnd zu ihr aufblickend, „Sie denken, Ellen, wir müßten die beiden jungen Leute jetzt ein wenig allein und sich selber überlassen? Sie haben Recht; an so etwas denkt doch nur eine feinfühlige Frau, wie Sie, Ellen!“

„Sie mißverstehen mich, wenn Sie bei mir so zarte Rücksichten auf diese ‚jungen Leute‘ voraussetzen, Herr d’Avelon …“

„Ah, wie mißvergnügt Sie das aussprechen und wie unzufrieden Sie aussehen, Ellen … was ist Ihnen … was mißfällt Ihnen? Daß ich meine Einwilligung gegeben habe, da ich mit meinen eigenen Augen sah, daß es längst zu spät war, sie nicht geben zu wollen? Ich denke, auch Ihnen kann es einerlei sein, ob dieser Deutsche, der, unter uns gesagt, mir weit mehr nach dem Herzen ist, als der kühle, blasirte Bursche, der Gaston, mein Schwiegersohn wird, oder ob es der Andre wird. Unter uns ändert es nichts!“

„Es ändert sehr viel, Herr d’Avelon,“ versetzte Ellen, „und eben um Sie darüber keinen Augenblick länger im Unklaren zu lassen, habe ich die Thür geschlossen. Man betrügt Sie, Herr d’Avelon …“

„Herr d’Avelon, Herr d’Avelon – Sie haben es mir jetzt in einer Minute schon dreimal an den Kopf geworfen – also man betrügt mich, Miß Ellen Stoughton? Wer betrügt mich?“

„Dieser Deutsche – sie sind Alle Heuchler, diese ehrlichen, biederen Deutschen, und er ist einer der schlauesten und kecksten!“

„Ah, er ist ein Heuchler? und weshalb?“

„Er ist ein armer Teufel, der …“

„Ein armer Teufel? Nun, bei Gott, ich habe lange Zeit das Vergnügen gehabt, dasselbe mir nachsagen lassen zu müssen, und ich versichere Sie, das Handwerk ist nicht so schlimm, ja, später

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