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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872)

von Thüringen. Die Ihr das Laufen verlernt habt in den großen Städten, die Ihr mit einem Fuße ein wenig zu weit im Geisterreiche steht, die Ihr an jenem Heimweh leidet, welches keine Heimath kennt – hierher müßt Ihr kommen; hier seht einmal im „Deutschen Haus“ zum Fenster heraus, versenkt Eure müden Augen in die Wälder des Domberges, welche ein einziges Riesenbouquet bilden, vertieft Euch in dieses Grün von unbeschreiblicher Frische und träumt im Anblick der alten Ottiliencapelle, die dem schönen Bilde den Charakter der Ruhe, des Beständigen giebt. Hier werdet Ihr gesunden.

In Suhl zu sein, ohne von der bedeutenden Gewehrfabrikation Notiz zu nehmen, ist rein unmöglich, und je wichtiger dieser Erwerbszweig der alten Bergstadt im Lauf der Zeit geworden ist, um so mehr zieht es uns an, zuerst die Vergangenheit desselben zu betrachten.

Genau ist zwar nicht mehr festzustellen, wie weit die Suhler Waffenfabrikation zurückdatirt, aber eine Urkunde gedenkt schon 1499 der Panzerer, Plattner und Harnischschmiede, und Süddeutschland namentlich bezog viele Rüstungen (blanche und schwartze, glatte und geriffte Kuris, Helmlin, blanche lange Stiern zu den Pferden, stehlern Achßeln, faustkolbenn), Schwerter (Rappier, Spitzschwertt, lange wehr zu beiden feusten, Jagbloz [Waidmesser], Tolg), Armbrüste (mit eyben bogen und winden), Hellebarden (Knebelspies, Eisen zum Scharfrennen, Seuschwerter, Schweinspies) und Gewehre (schwarze fuhrbüchßen, verbeinte fuhrbüchßen mit Schwalben schwentzen, birschbuchsen), Musketenzünder etc.

Im Jahre 1563 gab der gefürstete Graf Georg Ernst den Schlossern, Büchsenmachern und Windenmachern die erste Innung. Die größten hier gebauten Doppelhaken waren gegen sechs Fuß lang, schossen sechszehn Loth Blei und wogen circa fünfundvierzig Pfund. Die kleineren Haken schossen eine Bleikugel von vier Loth, mußten aber immer noch durch eine drei und einen halben Fuß hohe Gabel unterstützt werden. Im sechszehnten Jahrhundert gingen die Suhlaischen Gewehre schon in die Schweiz (Basel, Zürich, Bern, Solothurn, Genf), nach Burgund, Belgien, Tirol, Venedig mit den ionischen Inseln, Ungarn, Siebenbürgen und in die österreichischen Lande. Die Kriege gegen die Türkei wurden meist mit Suhler Feuerwaffen geführt und das polnische Zeughaus in Krakau war angefüllt mit Suhler Gewehren, ebenso das in Wilna. Die Armee des Stephan Bathori führte Gewehre aus Suhl gegen die Moskowiter. Liefland, Preußen, Danzig wurden von hier aus mit Waffen versehen, und Dänemark erhielt auf einmal sechstausend Musketen, mit dem dänischen Reichswappen verziert. Auch nach England, Irland und Spanien gingen die Gewehre. Des drohenden Türkenkrieges wegen bestellte Kaiser Rudolph der Zweite viele Tausend Musketen und sandte Boten von Prag aus hierher mit „kaiserlichen Freibriefen“, auf Grund deren die Waffen von allen Durchgangszöllen befreit wurden. In den ersten Jahren des dreißigjährigen Krieges bezogen sowohl der Graf Ernst von Mansfeld, Markgraf Georg Friedrich von Baden-Durlach, Herzog Christian von Braunschweig, der König Christian der Vierte von Dänemark wie Tilly und Wallenstein Suhler Waffen. Nach der Zerstörung Suhls durch Isolani wanderten viele Büchsenmacher aus; die kriegführenden Mächte sahen ein, wie wichtig es sei, die Waffen im eigenen Lande zu bauen, hatten auch alle Ursache genug, neue Gewerbszweige einzuführen, und von da ab entstanden nach und nach wohl die meisten deutschen Waffenfabriken. Sehr tolerant benahm sich der sächsische Hof bei Ausbruch des siebenjährigen Krieges, denn Preußen durfte von 1757 bis 1762 circa zwanzigtausend Gewehre in Suhl bauen lassen. Bald darauf bezog Sachsen selbst circa siebenundzwanzigtausend.

Bei Ausbruch der französischen Revolution waren die kleinen deutschen Fürsten fast gar nicht „mit Gewehr versehen“ und machten deshalb starke Bestellungen. Im Jahre 1804 wurden circa 16,000, 1805 circa 9000, 1815–1819 jährlich 12,000 Infanteriegewehre geliefert etc. Besonders reges Leben kam durch die Erfindung des Percussionsschlosses in die Fabrikation (1823), mehr noch aber durch die französische Juli- und die belgische Septemberrevolution. Preußen allein bestellte circa 23,000 Gewehre und Carabiner, 2000 Säbel, 4000 Lanzenspitzen, und die Regierung des Königreichs der Vereinigten Niederlande gegen 40,000 Gewehre, Büchsen, Pistolen, sowie eine bedeutende Anzahl einzelner Waffentheile, größtentheils für die ostindischen Colonien bestimmt. Die modernen Transportmittel, Eisenbahn und Dampfschiff, brachten Bestellungen aus allen Welttheilen, namentlich auch auf Galanteriegewehre. Der Naturforscher, der Afrikareisende würde mit nicht wenig Interesse die merkwürdigen, ungewöhnlich praktischen Jagdgewehre bewundern, die hier mitunter in den Comptoirs einiger Fabrikanten stehen, welche letztere selbst vielerfahrene Jäger sind: da eine auffallend lange Flinte für einen Lederstrumpf im fernen Westen Amerikas, dort eine dem Gesetz der Schwere allzu sehr nachgebende Büchse für einen Bärenjäger im hohen Norden etc. Erste Bedingung ist dabei: Alles muß im Feuer stürzen! Der Rückstoß mag dann freilich auch mitunter kolossal sein.

Mit Einführung der Hinterlader ließ Preußen die hiesigen Fabriken lange Zeit im Stich, indem es die Zündnadelgewehre theils bei dem hochverdienten Erfinder bauen ließ, statt sich durch eine angemessene Geldsumme in Besitz der Erfindung zu setzen, theils Staats- (königliche) Fabriken errichtete. Tüchtige Volkswirthe bestreiten die Rentabilität solcher Fabriken, der Fabrikant aber versichert, bessere Gewehre bauten dieselben auch nicht. Es ist nicht möglich, von den vierziger Jahren ab, die Leistungen der einzelnen großen Fabriken alle anzuführen, vielweniger die der anderen. Um aber ein herausgerissenes Blatt ihrer Geschichte zu geben, muß erwähnt werden, daß in jener Zeit allein die Fabrik von Spangenberg und Sauer für zweiundzwanzig Staaten über 200,000 neue Gewehre, Carabiner und Pistolen gebaut, nebenbei aber circa 128,000 Gewehre umgeändert hat, abgesehen von Gewehrtheilen. Rußland z. B. empfing 3,570 Schlösser zu Hinterladern. Ohne Suhler Gewehre ist kaum eine Schlacht geschlagen worden. Mit ihnen wurden auch die Bürgerkriege in Peru, Paraguay, Uruguay etc. geführt, und mit Suhler Zündnadelgewehren bewaffnet der deutsche Organisator und Instructeur Köppen die japanische Armee, während unter Anderen eben Baiern 30,000 Werdergewehre (ohne Systeme) erhalten hat, Holland 17,000 Beaumontgewehre bauen läßt und eine eigene Gewehr-Revisions-Commission in Suhl etablirte. Die neuen ausgezeichneten Revolver der preußischen Marine hat die Fabrik von E. Schmidt und Nöschel geliefert. Preußen läßt 8000 Pistolen bauen, Japan 4000 Zündnadelgewehre (letztere zum Theil in Zella).

Was nun die Fabrikation der Gewehre selbst betrifft, so kann ich mich, bei dem beschränkten Raum der Gartenlaube, speciell nur auf den wichtigsten Theil der Handfeuerwaffe, das Rohr, einlassen, in Bezug auf welches ein Correspondent der „Kölnischen Zeitung“ mit Recht sagt, daß es schließlich gleichgültig sei, ob der Schuß vermittelst einer mehr oder weniger complicirten, guten oder schlechten Mechanik, oder durch einen brennenden Fidibus abgefeuert wird. Eine eingehende Schilderung aller einzelnen Systemtheile müßte auch höchst trocken ausfallen und gehört in Fachwerke.

Bis in die neuere Zeit bestand ein Gewehr aus zwei Haupttheilen, dem Lauf, der die Ladung aufnimmt und zugleich dem Projectil die Direction giebt, und einem Feuerzeug (Schloß). Fast vier Jahrhunderte hindurch ergaben die Veränderungen der Schußwaffe, abgesehen von den Zügen, im Wesentlichen fast immer nur eine Verbesserung der Feuerzeuge. Diese führten dem Pulver das Feuer von der Seite her zu. Nach Erfindung der Hinterladungsgewehre legte man sehr bald die Zündmasse in die Patrone ein (Einheitspatrone). Da wurde das frühere Feuerzeug erst zum eigentlichen „Schloß“, denn mit dem Zündnadelgewehr wanderte dasselbe hinter den Lauf, in die Längenachse desselben, bildet seitdem einen Theil des „Verschlusses“, und die Entzündung erfolgt innerhalb der Patrone durch horizontalen Nadelstoß. Der Verschluß, aus lauter Cylindern bestehend, läßt zahllose Abänderungen zu, die sich denn auch ganz außerordentlich mehren, zum Schrecken der Fabrikanten, da sie immer neue Einrichtungen und mühsames Einarbeiten der Büchsenmacher, mehr Zeit und mehr Löhne erfordern.

Gegenwärtig beschäftigen sich sieben bis acht Fabriken mit dem Bau von Militärhandfeuerwaffen. Die bedeutendste und älteste derselben ist die der Firma Spangenberg und Sauer. Sie liegt am nordwestlichen Ende der Stadt, in der sogenannten Aue am Lauterfluß, hat bedeutende Wasserkraft und vereinigt deshalb an einem Orte alle Zweige der Fabrikation, namentlich auch die der Stahlrohre in einem ganzen Complex von zum Theil stattlichen

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872). Leipzig: Ernst Keil, 1872, Seite 485. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1872)_485.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)