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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872)

Zeitungen noch zu wissen nöthig ist, darüber bekommt er eine kurzgefaßte Uebersicht in aufgeklebten Auszügen aus denselben.

Alle Gemächer, die zu dem Appartement des Kaisers gehören, und es sind deren sieben, tragen noch in der fast schmucklosen Wandbekleidung den Stempel der Einfachheit jener Zeit, in denen sie entstanden sind. Was ihnen heut zu Tage das Gepräge des Luxus und des Reichthums giebt, und was ihnen in noch weit höherem Grade den Stempel der Individualität desjenigen, der diese Räume bewohnt, aufdrückt, das hat sich erst im Laufe der Zeit angesammelt, sei es durch Ankäufe, oder auch durch Geschenke, und so kann man wohl sagen, daß dieses Eckzimmer mit den großen Oelbildern, welche die Wände bedecken, mit den Möbeln, den Geräthen, den fast unzähligen größeren und kleineren Kunstgegenständen, welche die Tische, die Sophas, die Stühle, die Wände zieren, fast ein kleines Museum bildet, in welchem sich die Lebensgeschichte des Mannes verkörpert, dessen Dasein insofern zu einem der glücklichsten zu rechnen ist, als sich in ihm das Streben der Jugend, die Arbeit des Mannesalters noch in späten Jahren zu einem Erfolge verklärt haben, wie es vor ihm wohl nur wenigen Sterblichen vom Schicksal beschieden worden ist. Aber wie nach Schiller’s Ausspruche das Genie der Fleiß ist, so kann man in eben derselben Anwendung vom Kaiser sagen, daß das höchste Pflichtgefühl, daß unablässige Arbeit auch die Gewähr ihres Erfolges in sich tragen.

Die in diesem Zimmer befindlichen Gegenstände sind meistens Geschenke und Arbeiten der Kaiserin. Sie selbst überwacht diesen Raum mit der zarten Sorgsamkeit einer treu waltenden Hausfrau, damit nichts dem Gemahle fehle, nichts ihn störe oder unangenehm berühre. Da steht in dem Schreibgemache eine lange breite Tafel, mit Büchern, Karten, Andenken, Papieren jeder Art bedeckt; an einer Ecke ist der Platz für alle an den Kaiser gelangenden Sendungen, und es ist ein ziemlicher Stoß, der jetzt der Erledigung harrt. Auf einem einfachen ledernen Stuhle daneben sitzend, macht sich der Monarch an die Arbeit, er öffnet eigenhändig jeden Brief, ja fast jedes Packet, das seine Adresse trägt. Mit Hülfe einer Stahlbrille liest er alle an ihn gerichteten Sendungen, und macht sogleich auf den Rand der Eingaben die nöthigen Bemerkungen, in welcher Weise der betreffende Briefschreiber unmittelbar beschieden werden solle oder von den betreffenden Ministerien Recherchen anzustellen oder Berichte einzufordern sind. Auf dem Bodenteppiche liegen mehrere große, dunkle lederne Mappen, die in Messingbuchstaben die Aufschriften des Militär- und Civilcabinets und der verschiedenen Ministerien tragen. In diese Mappe legt der Kaiser die betreffenden Eingaben und verschließt dieselben. So gelangen sie an ihre demnächstige Bestimmung. Wenn diese Arbeit beendet, läßt der Kaiser den Flügeladjutanten vom Dienst eintreten. Derselbe überreicht den Rapport des Commandanten von Berlin und giebt eine Uebersicht der angesetzten Vorträge und Audienzen. Darauf bestimmt der Kaiser, welche persönliche Meldungen er von Militärs im Laufe des Vormittags entgegennehmen will.

Gegen ein halb zehn Uhr ist die Zeit, wo die Kaiserin ihren Morgenthee einnimmt, und das ist der Moment, wo sich das kaiserliche Ehepaar seinen Morgengruß bietet. Von der Bibliothek führt eine äußerst kunstvoll construirte eiserne Wendeltreppe in die Beletage, in die Appartements der Kaiserin. Auf diesem Wege begiebt sich der Gemahl in die obern Gemächer und verweilt bei der Kaiserin, während sie ihr Frühstück einnimmt. Es werden da, wie in jedem andern Hause, häusliche Angelegenheiten besprochen. Der Haushofmeister, der Castellan treten ein. Ersterer bringt das Menu für die Tafel, die Kaiserin sieht dasselbe durch, setzt hinzu und streicht, giebt Anordnungen etc. Ist dies geschehen und sind beide Ehegatten allein, dann liest die Kaiserin ihrem Gemahl aus Zeitungen oder Büchern vor, und darauf machen beide Herrschaften zusammen einen Gang durch die ganze Front der nach der Lindenseite gelegenen Gemächer, oft kommen auch der Kronprinz oder die Kronprinzessin dazu, und so lange bleibt der Kaiser bei seiner Gemahlin, bis der Adjutant durch das Sprachrohr, welches von den untern in die obern Gemächer geht, ankündigt, daß der Vortrag da sei. Dann geht der Kaiser hinab, und unten in der Bibliothek warten seiner schon der Ober-Chef und Hausmarschall Graf Pückler und der Hofmarschall Graf Perponcher. Den Vorträgen dieser obersten Beamten des kaiserlichen Haushalts reihen sich andere an, Audienzen etc. Die betreffenden Persönlichkeiten halten sich in dem Adjutantenzimmer, dessen Fenster rückwärts nach dem Hofe gehen, und welches den einzigen Zugang zu den übrigen Gemächern des Kaisers bildet, so lange auf, bis die Reihe an ihnen ist, und sie durch den Flügeladjutanten angemeldet werden. Auf dem braunen doppelsitzigen Ledersopha in der Mitte desselben mag schon Manchem das Herz gepocht haben in Erwartung des gewichtigen Momentes, wo der Officier vom Dienste vor ihn hintrat mit der Aufforderung, ihm zu folgen, indem der Kaiser ihn erwarte, zu einer Entscheidung vielleicht, die für das Schicksal des Einzelnen, wie für den Staat von tief eingreifender Bedeutung war.

Für die militärischen Meldungen, für die Audienzen ist ein Salon bestimmt, in den man unmittelbar vom Adjutantenzimmer aus eintritt; er ist nach den Linden hinaus gelegen, und seine Fenster sind die ersten beiden links vom Portale des Palais. Hier sind auch die Fahnen und Standarten der Berliner Garnison aufgestellt. In dem zunächst gelegenen Salon ist auf einem Tische ein Tableau des Schlachtfeldes von Königgrätz ausgebreitet, auf einem anderen großen Tische nahe am Fenster eine Sammlung der verschiedensten Gegenstände aus lapis lazuli aufgestellt, vom größten bis zum kleinsten, vom Petschaft bis zum Armleuchter und zur Pendule aus diesem Stoffe angefertigt – eine äußerst kostbare Sammlung, die der Kaiser so nach und nach zusammengebracht hat, und die wieder seine Vorliebe für die blaue Farbe und speciell für das Königsblau bekundet. Das ist das Vortrags-, gewissermaßen das Amtszimmer des Kaisers, während das vorhin geschilderte Eckzimmer sein Privatarbeitszimmer genannt werden kann. Der Kaiser selbst hält diesen Unterschied ziemlich strict inne; in seinem Privatzimmer nimmt er z. B. die Vorträge der Würdenträger seines Hauses und Hofes entgegen, wie z. B. des Oberstkämmerers Grafen Redern, des Ministers des königlichen Hauses Freiherrn v. Schleinitz, des General-Intendanten des Hoftheaters v. Hülsen, etc., in dem Vortragszimmer jedoch arbeitet er mit den Organen der Staatsgewalten, und zwar zunächst mit denen, durch deren Vermittelung ihm alle Entscheidungen aus den Ministerien vorgelegt werden, also mit dem Chef des Civilcabinets, dem Geheimen Cabinetsrath v. Wilmowski, dem Chef des Militärcabinets, dem Obersten v. Albedyll, wohl auch zuweilen mit den Ministern selbst. In der Mitte des Salons steht ein ziemlich großer viereckiger, mit grünem Tuch beschlagener Tisch mit einem großen Schreibzeug von Gußeisen; an diesem Tisch giebt der Kaiser seine Unterschriften. Hier werden die Ministerconseils abgehalten, hier wurde über alle die großen Ereignisse der jüngsten Vergangenheit entschieden, von hier aus wird Preußen, wird das Reich regiert. Während dieser Arbeiten sitzt der Kaiser, oft auch lehnt er im Fenster, und ab und zu richtet sich sein Blick über die Mousselinvorhänge hinweg hinaus auf die Straße, und so kommt es auch wohl oft vor, daß er einem oder dem andern der Vorübergehenden, der ihm persönlich bekannt ist, mit der Hand grüßend zuwinkt. Den Militärüberrock tragt er dabei offen; sowie aber draußen eine Truppe vorüberzieht, so hat diese Bequemlichkeit ein Ende; dann wird Alles strammer angezogen, die rothen Klappen übereinander geknöpft, und so steht der Kaiser im vorschriftsmäßigen Anzuge da, als ließe er die Truppe an sich vorbeimarschiren. Wenn er auch vor ihrem Auge unsichtbar bleibt, das hindert ihn nicht, der militärischen Vorschrift zu genügen, der Truppe ein Beispiel der Achtung zu geben, die er von ihr selbst verlangt. Er duldet als Militär keine Unregelmäßigkeit, erlaubt sich aber auch selbst keine, auch wenn es Niemand bemerkt.

Die Aesthetik seines Lebens ist die der Pflicht, und alles Zuwiderhandeln ist ihm verhaßt, nicht nur darum, weil es unpraktisch, sondern auch weil es in Gedanken unlauter wäre. So liegt er auch den laufenden Geschäften des Tages auf das Gewissenhafteste ob. Es mögen wohl auch bei ihm Tage kommen, wo er körperlich nicht disponirt, wo er geistig nicht gestimmt ist zum Arbeiten, aber solchen Anwandlungen giebt er niemals nach. Die Pausen zwischen den einzelnen Vorträgen und Audienzen benutzt er, um ab und zu nach seiner Bibliothek zu gehen. Dieselbe hat eine sehr ebenbürtige Nachbarin an der königlichen Bibliothek, an die sie unmittelbar anstößt. An den beiden Seitenwänden des Gemachs ziehen sich hohe Bücherschränke von hellem polirtem Holze entlang. Sie enthalten die Privatbibliothek des Kaisers, die von dem Geheimen Hofrath Schneider in Ordnung gehalten wird. Jeden Sonnabend Morgens erscheint dieser, um über die literarischen Einsendungen, über die Ankäufe Vortrag zu

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872). Leipzig: Ernst Keil, 1872, Seite 488. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1872)_488.jpg&oldid=- (Version vom 2.8.2020)