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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872)

der Gegend geirrt haben? – Zum Glück weidete kaum hundert Schritte von mir der Hasselfelder Kuhhirt seine Heerde, und so fragte ich hinüber: „Wo liegt denn Lange?“ „Da stehn Sie drauf, Herr!“ rief er zurück. Und wirklich entdeckte ich jetzt zu meinen Füßen noch Spuren des gepflasterten Hofes und einige Schritte weiter einiges Mauerwerk vom ehemaligen Backofen. Aber wo waren die großen Wirthschaftsgebäude geblieben? Wo der Ahnensaal mit seinen Allongeperrücken, der Informator mit seinen Zöglingen, und die junge, anmuthige Wirthschafterin? – Der alte, stattliche Fuchs, den ich bald darauf an der Bode entlang zur Trogfurter Brücke schleichen sah, mochte noch genau wissen, wann er sich vom Hofe zu Lange das letzte Hühnchen geholt; – der Hirt aber meinte, so ein halb Mandel Jahre könne es schon her sein, daß man die Gebäude hier abgebrochen habe.




Aus der Glanzzeit Pius des Neunten.
Von einem braunschweigischen Officier.
(Schluß.)


Der Papst schwieg einen Augenblick, indem er mich voll Wohlwollen anblickte. Ich glaube, es ist unmöglich, herzgewinnender zu lächeln, als er that. Bei diesem Lächeln schwand rasch alle meine Befangenheit; ich hatte das Gefühl eines unendlichen Wohlbehagens, als ich in das milde Antlitz sah und den Blick der klugen und doch so gütigen Augen auf mir ruhen fühlte. Und diese Empfindung steigerte sich noch, als Pius mit ruhigem und sanftem Tone zu mir sagte:

„Sie kommen aus Deutschland, und werden vermuthlich bald dahin zurückkehren. Ich wollte Sie nicht gern wieder abreisen lassen, ohne Ihren Wunsch erfüllt zu haben, von mir empfangen zu werden.“

Weg waren alle meine schönen Redensarten! Aber sie waren auch gar nicht nöthig. Dieser einfachen Humanität gegenüber durfte ich wirklich ohne Bedenken der Eingebung des Augenblicks folgen.

„Ich erkenne die Gnade Ew. Heiligkeit mit tiefstem Danke an, denn ich will gestehen, es würde mich tief geschmerzt haben, in die Heimath zurückzukehren, ohne persönlich den Segen des Mannes erhalten zu haben, auf den ganz Deutschland mit Ehrfurcht und voll großer Erwartung blickt.“

Dies war keine Redensart, sondern die reine Wahrheit. Mir kam es vor, als hätte ich ein Mandat von ganz Deutschland in der Tasche, Sr. Heiligkeit dies zu sagen, und eben deshalb brachte ich es auch über Erwarten fließend heraus.

„Sie werden in Deutschland Vieles verändert finden,“ fuhr Pius fort. „Die deutsche Frage ist jetzt die erste und wichtigste, welche der Lösung bedarf. Denn davon, welche Gestalt die Dinge in Deutschland annehmen, hängt das Geschick der Welt ab. Eine völlige Umgestaltung muß jetzt dort eintreten. Das bisherige Verhältniß von Oesterreich und Preußen wird sich binnen Kurzem durchaus umwandeln, und dann wird sich auch Italiens Schicksal entscheiden. Oesterreich war Italiens größter Widersacher – es ist dahin; bald wird sich zeigen, ob das übrige Deutschland Italien in seinen Bestrebungen unterstützen kann und wird.“

„An den Sympathien des deutschen Volkes für Italien wird es nicht fehlen,“ erwiderte ich; „und wenn Deutschland das Ziel erreicht, einig zu werden, so wird es voll Dankbarkeit Ew. Heiligkeit vor Allen zu Denjenigen zählen, welche dieser Idee zum Siege verholfen haben.“

„Ich bin Werkzeug in Gottes Hand,“ sagte Pius. „Die Geschichtsschreiber werden einst richten, was ich gethan habe; aber Gott wird richten, was ich gewollt habe: das Beste meines Volkes und aller Völker. Ich liebe die Deutschen. Im Mittelalter zogen sie mit den Waffen in der Hand nach Italien; ihre Kaiser ließen sich von meinen Vorgängern krönen, und zum Danke dafür verwüsteten sie oft das schöne Land. Jetzt kommen die Deutschen nicht mehr als Feinde, sondern um unsere Monumente, unsere Kunst, die Schönheit unserer Gegenden zu bewundern. Sie bringen uns dafür ihre Bildung und Wissenschaft, ja Viele bleiben hier, um nicht wieder nach dem Norden zurückzukehren. Ich weiß wohl, daß die Deutschen in weit höherem Grade Italien und sein Volk lieben, als die Italiener es ihnen zurückgeben.“

Während Pius so sprach, hatte ich Muße, ihn genauer zu betrachten. Er war von mittlerer Größe, eher etwas zur Fülle geneigt als mager. Der feine Schnitt seines edlen Gesichtes ist Jedem aus Tausenden von Abbildungen bekannt. Er hatte nichts von dem blassen, oft olivenartigen Teint der schwarzen Italiener. Ueber die glatten und weichen Wangen war vielmehr eine Frische, ich möchte sagen, anmuthige Röthe ergossen, wie man sie sonst nur bei Nordländern zu finden pflegt. Noch hatten die Sorgen und die Last des hohen Amtes von Pius’ Antlitz nicht die Rosen und den so äußerst wohlwollenden Ausdruck verscheucht. Unter dem kleinen rothen Sammtkäppchen hervor drängten sich einige braune Locken, in denen man keine Spur von Grau entdeckte, obgleich Pius damals sechsundfünfzig Jahre alt war. Er trug einen Ueberwurf von schwerer weißer Seide und darunter einen faltigen bis auf die Füße herabreichenden Rock mit weiten Aermeln, gleichfalls von weißer Seide; die Füße steckten in weißseidenen Strümpfen und Pantoffeln. Seine kleinen, aber gleichfalls etwas rundlichen weißen Hände ließ er beim Sprechen ruhig auf der Lehne des Sessels liegen, während sonst die Italiener lebhaft damit zu gesticuliren pflegen. Die Lippen waren anmuthig geschnitten, aber nicht so schmal, wie sonst häufig bei den Italienern. Um den Mund lag eine bezaubernde Herzensgüte und Freundlichkeit. Das kleine Unterkinn paßte vortrefflich zu dem Ganzen. Von welcher Farbe die Augen waren, vermochte ich nicht zu erkennen; aber sie glänzten so von Güte, Ernst und Klugheit, daß man sie stundenlang mit Entzücken hätte betrachten können. Ich glaubte vor mir das Ideal des Seelenhirten zu sehen, zu dem Christus gesprochen: „Simon Johanna, weide meine Schafe!“ Aber auch das hätte ich mir, wäre ich unbefangen gewesen, in jenem Augenblicke sagen können: dies ist nicht der Mann, der Italien zur Einheit und zur Freiheit zu führen vermag. Daß überhaupt ein Nachfolger Petri ein solches Werk nicht unternehmen konnte, ohne in den schneidendsten Widerspruch mit dem Princip der katholischen Kirche und sich selbst zu gerathen und hieran entweder als Papst oder als Fürst zu scheitern, das begriff ich zu jener Zeit ebensowenig wie das italienische Volk, so einfach es war.

„Und doch,“ fuhr Pius fort, „wird es schwer sein, zwischen der deutschen und der italienischen Nation, die berufen sind, durch feste Freundschaft miteinander verbunden zu sein, den Frieden zu erhalten.“

Hier glaubte ich nun in aller Unterthänigkeit eine Gegenvorstellung machen zu dürfen. „Das deutsche Volk,“ erwiderte ich bescheiden, aber nicht ohne einen Anflug von Festigkeit, „hält für seinen Erbfeind die Franzosen und blickt mit großen Befürchtungen gen Osten nach Rußland; aber einen Krieg mit Italien wird kein Deutscher je wünschen oder befürchten.“

„Der Krieg ist bereits eine vollendete Thatsache!“ begann Pius wieder. „Morgen wird ganz Rom wissen, daß König Karl Albert von Sardinien in die Lombardei eingerückt ist, fest entschlossen, die Oesterreicher bis auf den letzten Mann aus Italien zu vertreiben.“

Das also war es, was heute Abend den Quirinal so in Bewegung gesetzt hatte! Ja noch mehr: am folgenden Tage erfuhr ich, daß Pius, während ich in der Galerie wartend auf- und abwandelte, den Befehl gegeben, das päpstliche Heer sollte zu Karl Albert stoßen, um gemeinsam mit ihm gegen Oesterreich zu kämpfen. Dies geschah dann auch, und die beiden päpstlichen Schweizer-Regimenter schlugen sich am 10. Juni, dem blutigen Tage von Vicenza, unter dem tapfern General Durando zwar unglücklich, aber mit großem Muthe, während die italienischen Truppen großentheils das Weite suchten.

„Ich unterscheide,“ ergriff Pius wieder das Wort, „streng zwischen der österreichischen Regierung und dem deutschen Volke. Aber seit dreißig Jahren hat das deutsche Volk stets gethan, was die österreichische Regierung wollte. Das wird jetzt anders werden. Ich wiederhole, von der Haltung des deutschen Volkes, namentlich Preußens, wird es abhängen, ob wir aus dem entbrannten

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872). Leipzig: Ernst Keil, 1872, Seite 554. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1872)_554.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)