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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872)

Eine Schwindel-Industrie.


Vor einigen Monaten wurde mir in einer Familie, mit der ich schon seit Jahren eng befreundet bin, ein älterer, vielleicht fünfzig Jahre zählender Herr vorgestellt, der, angeblich ein Amerikaner von Geburt, seit einigen Wochen erst in der Schweiz lebte und sich auf drei oder vier Monate zu seiner Erholung aufzuhalten gedachte. Man hatte die Bekanntschaft dieses der Familie wie mir früher gänzlich unbekannten Gastes bei einer kleinen Vergnügungsreise gemacht, wo er sich der Gesellschaft anfänglich gesprächsweise genähert und schließlich die Bitte geäußert, Theilnehmer an der Partie sein zu dürfen. In einer Gegend, die im Sommer von Reisenden förmlich überfluthet ist, hat ein solcher Wunsch nichts Außergewöhnliches an sich, und man war hier um so bereitwilliger darauf eingegangen, da der Fremde nach seiner Aussage völlig unbekannt mit Land und Leuten war und sich in seinem ganzen Benehmen als ein Mann von Bildung gezeigt hatte. Während der Reise hatte ihn die Familie außerdem noch als sehr unterhaltend und erfahren kennen gelernt und schließlich eben eingeladen, sie doch recht bald einmal mit seinem Besuche zu erfreuen. Da er nun in der gleichen Stadt wohnte und wegen Mangel an Freunden oder Bekannten jedenfalls sehr an Langeweile litt, machte er schon am nächsten Tage seine Aufwartung, bei welcher Gelegenheit auch ich denn, wie oben erwähnt, ihn sah.

Seiner Kleidung, wie überhaupt seinem ganzen Aeußeren nach, hätte man den Fremden für einen in sehr bescheidenen Verhältnissen lebenden Mann halten können, und doch mußte dem nicht so sein. Er logirte nicht allein in dem größten Gasthause der Stadt, sondern besuchte auch ausnahmsweise nur die feineren Vergnügungslocale, miethete sich fast täglich ein Reitpferd und rauchte Cigarren, wie sie wohl nur in den größeren Tabaksläden zu hohen Preisen zu haben sind. In seinem Auftreten war er die Artigkeit und Zuvorkommenheit selbst (Tugenden, die bei dem echten Amerikaner selten zu treffen sind!) und verstand es auch, durch die Entfaltung seiner großen Unterhaltungsgabe sich so recht zum Mittelpunkt einer Gesellschaft zu machen und dadurch das zehnfach wieder zu ersetzen, was ihm an Eleganz der Erscheinung und sonstigen äußeren Reizen abging. Als schön hatte er wohl niemals gegolten und war es jetzt erst recht nicht. Der ziemlich große, fast kugelrunde und sehr spärlich mit röthlich-blondem Haare besetzte Kopf, das aufgedunsene, pfäffisch kahle Gesicht, in welchem die Augenbrauen sich nur mit Mühe erkennen ließen und um das sich ein sogenannter Schusterbart von einem Ohre hinab, unter dem Kinn fort, bis zum anderen Ohre hinauf zog, hätten wohl schwerlich eine Sympathie für ihn erweckt, wenn nicht jene anderen Vorzüge vermittelnd hinzugekommen wären.

Da ich ihn bei meinen zeitweiligen Besuchen wiederholt antraf, bot sich auch mir Gelegenheit ihn näher kennen zu lernen und nach und nach einige Einblicke in sein Wesen und seine Verhältnisse zu thun. Er war gesprächig, erzählte vorzugsweise sehr gern von den Zuständen in seiner Heimath, und Alles, was man von ihm hörte, trug offenbar den Stempel der Glaubwürdigkeit und Wahrheit. Er übertrieb und prahlte nie und vermied es namentlich, über sich selbst und seine Verhältnisse genauere Andeutungen zu geben. Diese Verschwiegenheit wurde mir nach und nach doch etwas auffällig und ich versuchte wiederholt absichtlich das Gespräch auf das Geschäft, das er in Amerika trieb, hinzulenken. Er wich mir aus, und als ich gelegentlich meine Nachfrage ziemlich direct stellte, erklärte er wie beiläufig, daß er Fabrikant sei, mehrere Glasfabriken, Drechsler und Buchbinder beschäftige. In was das Fabrikat eigentlich bestand, zu dem diese drei Geschäfte nöthig wären, verrieth er nicht. Wie begreiflich, reizte mich diese Zurückhaltung immer mehr und ich beschloß nicht eher zu ruhen, bis ich der Sache auf den Grund sei. Bei einer weiteren Unterredung brachte ich so viel heraus, daß ich erfuhr, der Artikel, den er verkaufe, gehe eben nur in Amerika gut; trotzdem er wisse, daß in Europa wohl kein Concurrent sei, habe er doch nie den Versuch gemacht, seine Waare über’s Meer zu schicken – übrigens sei auch der Absatz drüben so stark, daß er schon auf überseeische Geschäftsverbindungen verzichten könne etc.

Ich war mit diesen Erklärungen in meinem Wissen nicht viel weiter gekommen und nahm mir jetzt vor, mich ihm näher anzuschließen; lud ihn deshalb häufig zu Spaziergängen ein und wurde bei diesen so vertraut mit ihm, daß ich einmal ziemlich offen mit der Bitte herausrückte, er möge mir doch endlich offen gestehen, was das für Fabrikate seien, die er verkaufe – ein Geheimniß könne ja doch nicht dabei sein und sicher werde er auch von mir, als Gelehrten, nicht erwarten, daß ich nach Amerika käme, um ihm Concurrenz zu machen. Er lächelte anfangs und erklärte dann nach einigem Zögern, daß er Maschinen fertigen lasse, sprach dann in sehr dunkler Weise von Gesellschaften, die dieselben zu Hunderten bestellten etc. – Seltsam! Maschinen, wozu blos Glaser, Drechsler und Buchbinder nöthig, die zu Hunderten bestellt werden und nur in Amerika zu verkaufen sind? Ich forschte weiter, bekam aber nichts weiter aus dem Geheimnißvollen heraus und mußte, wenn ich auch um so neugieriger geworden war, endlich meine Nachfragen einstellen, erhielt dagegen aber die Einladung, ihn doch einmal in seinem Hôtel zu besuchen.

Selbstverständlich ließ ich mich nicht zweimal bitten, sondern fand mich, und zwar schon am nächsten Tage, bei ihm ein, da ich zuversichtlich endlich eine befriedigende Erklärung hoffte. Er empfing mich äußerst freundlich und hieß mich ihm gegenüber an einem Tische Platz nehmen, bestellte Wein und knüpfte gleich darauf ein Gespräch über politische Dinge an, das mich, der ich immer nur das Eine im Auge hatte, eigentlich wenig interessirte. Bei einem Blick auf den Tisch, der ziemlich dicht mit englischen und amerikanischen Journalen belegt war, sah ich, daß die meisten Blätter Exemplare des „Religio-Philosophical Journal“ waren, das auf dem Titelblatt auf einer Erdkugel die Worte trägt: „Devoted to Spiritual Philosophy“. Bekanntlich ist dieses Blatt das Centralorgan der Spiritualisten (Geisterseher) im Staate Ohio und erscheint zu Chicago. Unter und neben diesen lagen dann noch mehrere die Interessen der gleichen Schwindlergesellschaft in anderen Staaten vertretende Blätter, wie das „Banner des Lichts“, das in Boston erscheint, und verschiedene Broschüren, deren Inhalt nach dem Titel das gleiche Thema bearbeiten mußte. Da der Amerikaner merkte, daß sich meine Aufmerksamkeit den Blättern zuwandte, brachte er sofort das Gespräch auf dieselben und verfiel nach und nach in eine wahre Lobeshymne auf die Spiritualisten, als deren Anhänger oder Mitglied er sich hierbei ganz unumwunden bekannte. Die Unterhaltung ging weiter und hierbei stießen wir in unseren Ansichten ziemlich hart aufeinander, denn nach seiner Ansicht war unter der Sonne nichts unmöglich – was mit Menschenhänden nicht zu erreichen war, konnte erreicht werden, indem man eben die Geister zu Hülfe rief oder doch wenigstens ihren Rath einholte.

„Glauben Sie denn,“ rief er mir unter Anderem zu, „daß die vielen Tausende, die sich in Amerika zu unserem Glauben und unseren Ansichten bekennen, so treu an der Sache bis heutigen Tages festgehalten haben würden, wenn das Ganze nicht eine wirkliche Grundlage hätte? Fast in jeder nur einigermaßen großen Stadt der verschiedenen Staaten werden Sie Gesellschaften finden, die allwöchentlich einige Abende zusammenkommen, und sich ihre neuen Erlebnisse und Entdeckungen über den Verkehr mit Geistern mitzutheilen und zu ergänzen. Sie werden demnach auch nicht an die Schreibmaschine glauben, und dennoch kann ich Ihnen selbst ganz erstaunliche Proben dieses geheimen Instrumentes vorlegen.“

Ich rückte mit allen nur möglichen Vernunftgründen in’s Feld, aber der Mann war nicht von seinem Irrthum abzubringen, und als ich schließlich den Wunsch äußerte, doch einmal eine solche Schreibmaschine zu sehen und zu untersuchen, rief er:

„Diesen Wunsch will ich Ihnen sogleich erfüllen, ich habe eine bei mir. Freilich werden Sie nichts daran entdecken, was einem Geheimniß ähnlich sieht,“ fügte er dann hinzu. „aber die Maschine selbst ist auch Nebensache; sie ist nur das irdische Werkzeug, das der Geist nöthig hat, um seine Enthüllungen auf eine für den Menschen verständliche Art klar zu machen. – Hier ist eine –“ damit stellte er das Ding vor mich hin auf den Tisch.

Als ich das Ding in die Hand nahm und mir näher betrachtete, konnte ich mich kaum eines Lächelns erwehren, denn wie unwillkürlich mußte ich an die Maschine denken, die der gute Mann seiner Angabe nach mit Hülfe des Glasfabrikanten,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872). Leipzig: Ernst Keil, 1872, Seite 604. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1872)_604.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)