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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872)

Jetzt war er ein großer Mann geworden. Wäre er ein ebenso schlauer Politiker gewesen, als er ein geschickter Parteiführer war, so hätte er nun diplomatische Verhandlungen mit einem der Fürsten, die sich in die Herrschaft von Habesch theilten, anknüpfen müssen, den Einen anerkennen, um dadurch dessen ganzen Anhang zu Freunden zu gewinnen, und nur dem Andern gegenüber fortfahren, sich als Rebell zu geriren. So machten es die anderen Rebellen, und dadurch wurden sie in den Stand gesetzt, sich eine Zeitlang zu halten. Aber Aba Kaissi war kein Diplomat. Er hatte den Geist Ismaels in sich, Seine Hand war gegen Jedermann und Jedermanns Hand gegen ihn. Er war zugleich der Feind Kassa’s, des Fürsten von Tigré, und Woronya’s, des Herrschers von Amhara. Anstatt ein Schildträger des mächtigen Kassa zu werden, bekämpfte er nicht nur diesen gewaltigen Fürsten, sondern zugleich auch dessen Feinde, wodurch er sich selbstverständlich in eine gefährliche Zwischenstellung brachte. In offener Feldschlacht wurde er fast immer geschlagen. Aber er erholte sich jedesmal wieder in dem kleinen Guerillakriege, bei nächtlichen Ueberfällen, plötzlichem Eindringen in das Land des Feindes, durch Ueberlistung, Hinterhalt, Verrath. Für diesen Krieg war er wie geschaffen, für den großen nicht. Aber bewundernswerth war die außerordentliche Elasticität, mit der er nach jeder Niederlage sich wieder erholte.

Er soll wohl achtzehn Mal, wie man zu sagen pflegt, „vernichtet“ worden sein, das heißt seine Armee wurde aufgerieben, zerstreut und er selbst rettete sich mit wenigen Getreuen in die Einöde. Seine Feinde glaubten ihn schon erdrückt. Aber kaum war ein Monat vergangen, so stand er wieder ebenso mächtig da, wie vorher. So lange er seine Provinz noch nicht verloren hatte, fand er stets einen Rückhalt, Proviant, Schießbedarf und selbst Leute, die er im Nothfall für seine Armee preßte. Aber dies war selten nöthig, denn an Strolchen fehlte es fast nie, die, angelockt durch das lustige Beuteleben, das man bei ihm führte, in Schaaren unter seine Fahnen eilten. Die Bauern seiner Provinz hatten es freilich sehr schlecht. Sie wurden ausgepreßt wie Citronen. Aber dennoch waren sie ihm treu. So oft nämlich ein Feind in die Provinz eindrang, fand er nichts zu essen. Das Vieh war weggetrieben, die Speicher leer, die Methfässer ausgeschlagen, so daß der Hunger ihn bald zurück trieb. Furcht war natürlich das Motiv dieser anscheinenden Treue. Bei Manchen auch Interesse, denn die kräftige Jugend sah bald ein, daß es vortheilhafter sei, mit Aba Kaissi die Nachbarländer auszuplündern, als von ihm zu Hause ausgeraubt zu werden. Viele ließen Haus und Hof stehen und wurden Raubsoldaten.

Man erzählt sich viele Anekdoten von Aba Kaissi. Folgende ist recht charakteristisch für abessinische Zustände. Wie alle Abessinier, so ist auch Aba Kaissi ein strenggläubiger Christ, der zuweilen das Bedürfniß empfindet, sich fromm zu zeigen und sich Absolution für seine vielen Sünden zu holen. Letzteres Bedürfniß war eines Tages so stark bei ihm geworden, daß es ihn sogar mitten in des Feindes Gebiet trieb, nämlich nach Axum, der kirchlichen Hauptstadt von Habesch, die zum großen Theile von Geistlichen bewohnt ist, von welchen einige in hohem, abergläubischem Ansehen stehen. Bei einem solchen wollte er sich die Freisprechung von seinen Sünden holen. Er kam mit wenigen Getreuen und unter Bewahrung des Incognito, so gut dies eben gehen wollte, in Axum an. Der Weg war natürlich für ihn ein sehr gefährlicher gewesen. Aber einmal in Axum, riskirt er nichts mehr. Dies ist eine geheiligte Freistadt, wo Niemand verfolgt werden darf. Er fand sich bei dem Geistlichen ein und beichtete. Als Dieser das enorme Sündenregister vernahm, weigerte er sich anfangs, die Absolution zu ertheilen. Indeß, in der koptisch-abessinischen Kirche herrscht der schöne Brauch, daß man die Absolution kaufen kann. Es hat sich sogar ein Gewohnheitsrecht ausgebildet, wonach jede Sünde ihren bestimmten Preis hat. Der Mord ist sehr teuer. Für Diebstahl wird je nach der Höhe der gestohlenen Summe gezahlt. Gewöhnlich nimmt man ein Drittheil derselben als Sühnung an; dann darf aber der Dieb das Uebrige mit gutem Gewissen behalten. Die frommen Diebe gehen deshalb gewöhnlich gleich nach vollbrachter That zum Beichtvater und kaufen sich dort das Recht, einen Theil des Gestohlenen als ihr rechtmäßiges Eigenthum zu betrachten. Aba Kaissi hatte nun so viele Menschen beraubt und umgebracht, daß der Geistliche sich in seinem Gewissen gedrungen fühlte, eine recht hohe Summe als Absolutionspreis zu verlangen. Es wurde gehandelt, gefeilscht, wie es immer in solchen Fällen geschehen soll. Endlich kam man überein und zwar für tausend Maria-Theresia-Thaler. Wenig genug im Vergleich zu den Sünden Aba Kaissi’s, aber ein nettes Sümmchen für den Priester, den es nur Ein Wort kostete. Der Rebell hatte das Geld nicht bei sich, gab aber einen Zettel für die Summe, und der Priester vertraute der „Ehrenhaftigkeit“ des Banditen. Schließlich kam jedoch Aba Kaissi noch mit einer kleinen Privatsünde zum Vorschein.

„Hochwürdiger, ich habe noch ein schweres Verbrechen auf dem Gewissen. Während ich nämlich neulich zur Beichte bei einem reichen Geistlichen war, ließ ich unterdessen durch meinen Diener dessen ganze Kirche mit all ihren goldenen und silbernen Gefäßen ausplündern und auch noch den Privatschatz aller Priester der Kirche, der sich in der Sacristei befand, rauben.“

Dem Beichtvater standen die Haare zu Berge bei Anhören dieses Verbrechens, dessen Opfer er ja am Ende auch hätte werden können. Indeß Aba Kaissi war so reumüthig, zeigte so tiefe Zerknirschung, daß er sich endlich bewegen ließ, auch diese Sünde für einen Zuschlag von fünfhundert Thalern abzuwaschen. Er gab also die Absolution. Beide Theile waren sehr zufrieden. Der Priester hatte ein schönes Geschäft gemacht. Ein noch besseres aber war das gewesen, welches Aba Kaissi zu Wege gebracht hatte. Denn als der Priester bald darauf in seine Sacristei kam, fand er dieselbe völlig ausgeleert. Aba Kaissi’s Spießgesellen waren mit dem Kirchenschatz und dem Gelde der Geistlichen entflohen, und das Schlimmste bei der Sache war, daß sie dies nun Alles behalten durften, denn Aba Kaissi hatte ja schon für das Verbrechen gezahlt, das während seines Beichtens im Werke gewesen war. Der Priester war in seine eigene Schlinge gefallen. Sein Vertrauen auf die Ehrenhaftigkeit Aba Kaissi’s wurde übrigens nicht getäuscht, denn einige Tage später erhielt er richtig die tausend Thaler und auch die fünfhundert, den Preis für seine eigene Beraubung, nebst einem freilich etwas ironischen Dankschreiben seines unvergeßlichen Beichtkindes. Er soll seitdem sehr vorsichtig geworden sein, so oft ein Rebell sich bei ihm zur Beichte einfand.

Aba Kaissi hatte bei dieser Handlungsweise zwei arabischen Sprüchwörtern Recht gegeben. Von einem Betrüger sagt man: „Betrügerischer als ein Wolf“, und dennoch heißt es vom Wolfe: „Selbst der Wolf, wenn er versprochen hat, hält sein Wort.“

Wie von Schinderhannes und anderen Idealen des Räuberthums, so erzählt man sich auch von Aba Kaissi einige wohlthätige Handlungen. Einstmals kam eine arme Frau zu ihm und klagte ihm ihr Leid. Ihr Mann, einer der Unterhäuptlinge Aba Kaissi’s, hatte sich plötzlich von ihr geschieden, ohne ihr die in solchen Fällen übliche Entschädigungssumme zu geben. Aba Kaissi sagte der Frau: „Nun warte, ich werde Dir zu Deinem Recht verhelfen.“ Als nun wieder ein Beutezug glücklich ausgefallen war, ließ er die Frau kommen und schenkte ihr den Beuteantheil ihres geschiedenen Mannes. Als dieser sich einstellte, erfuhr er, daß sein Antheil bereits weggegeben war. Er konnte sich nicht beklagen, denn Aba Kaissi hatte im Einklang mit abessinischer Sitte gehandelt. Er wurde aber sein schlimmster geheimer Feind und hat ihn später auch verrathen. Aba Kaissi hatte gänzlich das orientalische Sprüchwort vergessen: „Ein Spitzbube kann nicht ungestraft den Tugendhaften spielen“ oder „Wenn Du redlich bist, so sei es in Allem; wenn Du aber ein Spitzbube bist, so sei es auch in Allem.“

Ergötzlich ist auch die Geschichte, wie Aba Kaissi sich die Geschenke, welche ein reicher Engländer an Kassa schickte, zu verschaffen wußte. Dieser Engländer hatte gegen Kassa, den jetzigen abessinischen Kaiser, Verpflichtungen, da ihn dieser bei einem Jagdzug wirksam beschützt und sogar einmal aus Lebensgefahr errettet hatte. Dafür sandte er ihm nun als Zeichen seiner Erkenntlichkeit eine ganze Karawane mit Geschenken, worunter auch viele europäische Schießgewehre nebst Munition, in Habesch stets die gesuchtesten Artikel Diese Karawane, welche ein Diener des Engländers, selbst ein Brite, begleitete, wurde nun von ihrem richtigen Wege abgeleitet, ihre Führer theils bestochen, theils durch Drohungen zum Schweigen gebracht. Kurz, der Engländer kam mit den Geschenken statt in dem Feldlager Kassa’s

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872). Leipzig: Ernst Keil, 1872, Seite 637. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1872)_637.jpg&oldid=- (Version vom 7.1.2019)