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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872)

Mondlichte gar zauberisch erglänzten. Tiefer Friede ruhte über der stillen Landschaft; kein Windhauch regte sich; man hörte nichts als die Bewegung der Räder des schnell dahinrollenden Wagens.

Emmy war müde – so hatte sie der Tante gesagt –, und beide Frauen lehnten sich schweigend in die weichen Polsterkissen des Reisewagens. Wieder hob Emmy das Köpfchen, als man Charlottenhof sich näherte. Alle Bewohner des großen Gebäudes schienen der Nachtruhe zu pflegen, nur die Zimmer Löbau’s im ersten Stock waren noch beleuchtet. Ein schwerer Seufzer entrang sich der Brust des jungen Mädchens. Wenige Schritte hatten sie das Herrenhaus hinter sich gelassen, als plötzlich ein wunderbarer Lichtglanz durch die Wagenfenster drang. Der Anblick, welcher sich den beiden Frauen bot, war in der That märchenhaft, und eine ungeahnte Ueberraschung sollte ihnen bereitet werden.




Unmittelbar vor der großen Gutsscheune lag ein kleiner Teich, um welchen Löbau vor drei Jahren auf den Rath des Inspectors hatte Eschen pflanzen lassen. Zwischen die mit glänzenden Eiskrystallen bedeckten Bäume waren jetzt buntfarbige, reichverzierte Lampions gehängt, deren schimmerndes Licht im Verein mit den Mondesstrahlen die spiegelblanke Fläche des Weihers zauberhaft beleuchteten. Als der Wagen der Landräthin sich vis-à-vis dem Weiher befand, rief eine energische Stimme dem Kutscher ein „Halt“ zu, die Pferde standen, die Wagenthür wurde geöffnet und – Löbau trat an den Schlag.

„Gnädige Frau,“ sagte er sich ehrfurchtsvoll vor der Landräthin verbeugend, „gestatten Sie, daß ich Ihnen ein glückliches neues Jahr wünsche.“

Die erstaunte, nur vor wenigen Augenblicken aus einem Halbschlummer erwachte Dame erwiderte einige Worte des Dankes.

Löbau gab nun ein Zeichen, und aus der geöffneten Scheunenthür ertönten, von einer kleinen Capelle ausgeführt, die Melodien eines beliebten Walzers.

„Fräulein von Rohr,“ wendete sich nun Löbau artig an Emmy, „darf ich um den ersten Walzer bitten?“

„Herr von Löbau,“ entgegnete Frau von Herbeck, „was hat diese seltsame Aufforderung zu bedeuten?“

„Gnädige Frau, es traf sich gestern Abend für mich so unglücklich, daß Ihr Fräulein Nichte den Walzer, um welchen ich sie bat, nicht mit mir tanzen konnte. Ich hoffe bestimmt jetzt keine Fehlbitte zu thun.“

„Herr von Löbau, dies kann wohl nur ein Scherz sein, und ich finde die Tageszeit dazu nicht ganz passend.“

„Gnädige Frau, ich gab mir das Wort, Fräulein von Rohr würde einen Walzer mit mir tanzen, ehe sie ihr Haus betreten hätte, und ich habe noch stets ausgeführt, was ich mir in solcher Weise vorgenommen. Für Musik und Beleuchtung ist gesorgt, der kleine Teich ist eben wie das schönste Parquet eines Ballsaales; die Nacht ist wunderbar mild und Teppiche bedecken die kurze Strecke bis zu der Eisfläche. Fräulein von Rohr, ich bitte nochmals um den Walzer.“

„Liebe Tante,“ sagte Emmy, „ich könnte es mir nie verzeihen, wenn ich durch meine Weigerung Dich noch einen Augenblick länger der Nachtluft aussetzte. Herr von Löbau, ich werde Ihrer Aufforderung Folge leisten.“

Mit der größten Artigkeit half Löbau dem jungen Mädchen aus dem Wagen, schloß die Wagenthür und führte Emmy über die ausgebreiteten Teppiche zu dem improvisirten Tanzplatz. Emmy war gekleidet wie bei der Hinfahrt; Löbau trug einen Paletot und eine niedrige Jagdmütze. Mit festem Arm hielt er das Mädchen auf der spiegelglatten Fläche; unter den Klängen des Strauß’schen Walzers „Das Leben ein Tanz“ und bei dem Glitzern der herrlich leuchtenden Himmelskörper tanzten sie zweimal um die Rundung des kleinen Weihers. Als Emmy wieder den Fuß auf die Teppiche setzte, sagte Löbau: „Indem ich Ihnen, Fräulein, den besten Dank abstatte, gebe ich mir zugleich die Ehre, mich Ihnen zu empfehlen; ich reise mit dem Morgenzuge nach der Residenz.“

„Wohl eine Vergnügungsfahrt, Herr von Löbau?“

„Nein, Fräulein, ich werde für immer in der Residenz bleiben.“

„Ach –“

„Was ist geschehen, Fräulein?“

„Ich vertrat mir den Fuß –“

„Stützen Sie sich fester auf meinen Arm, Fräulein!“

„Ich muß einen Augenblick stehen bleiben! – Herr von Löbau, ich möchte Sie sprechen, ehe Sie abreisen.“

„Das wird kaum möglich sein, Fräulein! Der Zug geht um sieben Uhr ab, und ich habe noch Manches zu ordnen.“

„Ich darf die Tante nicht länger warten lassen, allein, ich wiederhole es, ich möchte Sie noch sprechen, bevor Sie Charlottenhof verlassen. Hier liegt mein Shawl –“ Emmy knüpfte den rothen Shawl los, den sie um die Taille geschlungen, und ließ ihn niedergleiten – „besteigen Sie ein Pferd, sagen Sie unseren Dienstleuten, daß Sie meinen Shawl gefunden haben und mir denselben persönlich übergeben wollen!“

„Ich werde sofort Ihren Befehl ausführen, Fräulein!“

Schweigend legten Beide die wenigen Schritte bis zu dem Wagen zurück, in welchen Löbau seine Tänzerin hob. Dann verabschiedete er sich von der Landräthin, als wäre nichts Ungewöhnliches vorgefallen.

Frau von Herbeck befand sich in der höchsten Aufregung. Kaum war die Wagenthür geschlossen und die Pferde hatten sich in Trab gesetzt, als sie Emmy fragte, ob irgend etwas sich zugetragen habe, das dieses extravagante Benehmen Löbau’s zu entschuldigen im Stande wäre. Emmy küßte die Hand der Tante und bat, sie möge augenblicklich nicht weitere Auskunft verlangen, morgen werde sie berichten, was sie wisse. Da heiße Thränen auf die Hand der Landräthin fielen, so schwieg die Dame, obwohl sie gern Klarheit in der Sache gehabt hätte. – Die Landräthin und Emmy hatten eben die Reisekleider abgelegt, als Katharina melden kam, daß Herr von Löbau zu Pferde angekommen sei. Derselbe habe den Shawl von Fräulein von Rohr gefunden und wünsche, ihn dem Fräulein selbst abzugeben.

„Liebe Tante,“ fiel Emmy ein, ehe Frau von Herbeck eine Antwort geben konnte, „gestatte, daß ich Herrn von Löbau empfange, ich komme sogleich wieder zu Dir herauf.“

„Zünden Sie die Lampe in dem Balconzimmer an, führen Sie Herrn von Löbau hinein und melden Sie, daß meine Nichte erscheinen werde,“ sagte die Landräthin zu der alten Dienerin.

„Emmy, das ist doch unerhört –“

„Geliebte Tante, gönne mir diese kurze Frist! Du sollst bald Alles hören!“ bat das Mädchen.

Emmy hüllte die schönen Schultern in eine Mantille, schlang ein leichtes Tuch über das Haar und ging dann nach dem Balconzimmer, in welchem Löbau sie erwartete.

Ihr reizendes Gesicht trug nicht jenen schelmischen Ausdruck, der es sonst so bezaubernd machte; die blauen Augen blickten ernst, und die liebliche Stimme zitterte, als sie den jungen Mann anredete.

„Herr von Löbau, ich habe gegen Sie gefehlt, und Sie haben nach Ihrem Ermessen mir eine Strafe auferlegt, unsere Rechnung könnte also geschlossen sein; allein ich mußte meiner geliebten Mutter einst als Kind versprechen, daß ich mich nie zur Ruhe legen würde, wenn ich für eine begangene Unart nicht um Verzeihung gebeten hätte, nicht in Frieden mit mir und allen Menschen einschlummern könnte. Darum will ich vor Ihrem Scheiden Ihnen sagen, daß ich – gleich nachdem Sie mich auf dem Balle verließen – es herzlich bereute, Sie verletzt zu haben. Nicht wahr, Sie zürnen mir nicht mehr?“

In der Brust Löbau’s wogte und stürmte es; sollte er Emmy’s Hand ergreifen und gestehen, was er gefühlt und gelitten? Nein, Schmerz und Grimm, welche in ihm getobt, siegten, und er sagte artig: „Ich danke Ihnen für Ihre gütigen Worte, Fräulein, und werde mich nur an diese erinnern.“

Allein seine Augen ließen sich nicht zügeln, wie die Worte, und Emmy mußte vor dem feurigen Strahl, der sie traf, erröthend die ihrigen senken.

„Herr von Löbau,“ sagte sie wieder zu ihm aufblickend, „wollen Sie mir noch eine Frage offen und wahrheitsgetreu beantworten?“

„Ich verspreche es, Fräulein!“

„War es bereits Ihre Absicht, nach der Residenz zu reisen, als Sie gestern den Ball besuchten?“

„Erlassen Sie mir die Antwort – –“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872). Leipzig: Ernst Keil, 1872, Seite 652. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1872)_652.jpg&oldid=- (Version vom 7.1.2019)