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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872)

zischelte es wie von tausend und tausend spitzen Zungen: „Du Narr, Du blöder Thor, Du dummer Hans, der Du Dich anführen läßt, einmal, zweimal, so oft sie will, so oft er will – was weiß ich!“

Und er brach in ein Gelächter aus, und während er noch lachte, quoll es in seiner Brust auf, heiß und heißer; er hätte viel darum gegeben, wenn er hätte weinen können. Aber weinen konnte er nicht, weinen wollte er nicht. Es war noch nichts entschieden, trotz alledem; es war noch nichts verloren, trotz alledem, trotzdem es so dunkel nächtig in seiner Seele war, wie um ihn her dunkle Nacht die Erde bedeckte. Kein Stern durch den Graus schwarzer jagender Wolken, nach Westen kaum der matteste Schimmer einer Helligkeit. Und doch – dieser matte Schimmer kam von der Sonne, die untergegangen war und morgen wieder aufgehen würde; er war der Bürge, daß die finstere Nacht nicht ewig dauern würde. Und auf seinen Lippen schwebte noch ein Etwas von dem Hauch ihres Mundes, von der Gluth ihres Kusses. Nein! nein! es konnte keine Trennung für immer sein! es konnte diese Qual nicht ewig dauern!




20.


Die hübsche Rieke war länger im Spielzimmer festgehalten worden, als ihr lieb war. Der Pastor hatte sein Schenkenamt nur mit unsicherer Hand geübt, und noch dazu mit langathmigen, einigermaßen confusen Reden begleiten zu müssen geglaubt; desto schneller aber hatten die Herren am Spieltische getrunken und ungeduldig nach mehr verlangt, bis Rieke zuletzt, des Hin- und Herlaufens, das kein Ende nehmen wollte, müde, kurz entschlossen den Schenktisch mit der Bowle zum Spieltische trug und es so dem dienstwilligen Pastor möglich machte, die Gläser, die er gefüllt, auch selbst zu credenzen. Dann hatte sie, sich über Hans Redebas’ Stuhl beugend, noch ein paar Augenblicke dem Spiele zugeschaut und war dann schnell aus dem Zimmer geschlüpft.

Es verlangte sie, das Gespräch mit Gotthold fortzusetzen. Sie hatte den schönen, stillen Mann eigentlich immer gern gehabt und die Aufpasserrolle, welche ihr Brandow zur Pflicht gemacht, weniger aus Liebe zu ihrem Herrn als aus Eifersucht gegen ihre Frau, der sie den stattlichen Fremden nicht gönnte, mit solcher Emsigkeit betrieben. Nun hatte sie heute Morgen sein überreichliches Geschenk einigermaßen gerührt, ja stutzig gemacht, und die Freundlichkeit, die er ihr eben bezeigt, hatte sie vollends entwaffnet. Natürlich war er nur der Frau willen zurückgekommen; aber ihrem leichtbeweglichen Herzen war es durchaus kein unlösbares Räthsel, wie man das Eine thun könne, ohne das Andere zu lassen. Sie wollte ihm sogar behülflich sein, wenn er jetzt sehr, sehr freundlich zu ihr war, und eigentlich war es ja doch nur ihr Vortheil, wenn schließlich der fremde Herr mit ihrer Frau davonlief.

Aber sie fand ihn nicht an der Hausthür, wo sie ihn verlassen. Die Hausthür war auch kein geeigneter Ort, das interessante Gespräch fortzusetzen: es konnte jeden Augenblick Jemand kommen; ebenso bedenklich war der Flur. Vielleicht war er im Speisesaale. Er war nicht dort; im Garten, in den sie einen Blick warf, schüttelten sich die Bäume gar zu unwirsch. Wo konnte er geblieben sein? wo anders als auf seinem Zimmer, nach den Sachen zu sehen, die er dort zurückgelassen! Sie mußte ihm doch dabei helfen; er konnte ja in der Dunkelheit sich gar nicht zurechtfinden.

Die hübsche Dirne athmete tief und war dann im Nu unhörbaren Schrittes die Treppe hinauf über den Bodenraum nach dem Giebelzimmer gehuscht, das Gotthold während seiner Anwesenheit bewohnt. Hier blieb sie stehen, die Hände gegen die brennenden Wangen und gegen den wogenden Busen drückend, und öffnete dann nach leisem Klopfen, auf das sie kein Herein erwartete, wie schüchtern zögernd, die Thür. Ihre Wangen hatten vergebens gebrannt, ihr Herz hatte vergebens gepocht – das Zimmer war leer. Sie trat an das Fenster und sofort wieder zurück. Da, dicht unter ihr, in dem Spielgarten war er ja, den sie suchte, vorsichtig langsam sich den Fenstern nähernd, aus denen ein schwaches, wechselndes Licht auf die Baumstämme fiel; und dann war er verschwunden – wohin anders als durch die Kinderstubenthür zu ihr! Das hatte sie den beiden Scheinheiligen nicht zugetraut; sie wußten sich selbst zu helfen, wahrhaftig! es war zu frech! Dann mochte ja auch wahr werden, was er ihr schon ein paar Male gesagt und sie eigentlich nicht geglaubt, daß er sie zu seiner Frau machen wolle, wenn die Andere erst fort sei. Erfahren sollte er es jedenfalls; die Beiden verdienten es nicht besser.

„Was soll denn das heißen?“ rief Hans Redebas, als Brandow mit einer flüchtigen Entschuldigung, da eben die Taille zu Ende war, sich von dem Tische erhob.

„Ich komme sofort wieder,“ sagte Brandow.

„Das wollten wir uns auch ausgebeten haben,“ schrie Hans Redebas. „Pastor, noch ein Glas!“

Brandow verließ den Tisch nur ungern; er hatte wiederum sehr bedeutend gewonnen, und sein Spieleraberglaube sagte ihm, daß er dem Spiele nicht den Rücken wenden dürfe; aber die Rieke hatte ihm über Hans Redebas’ schwarzhaarigen Kopf weg ein Zeichen gemacht – es mußte etwas ganz Besonderes geschehen sein.

Er folgte dem Mädchen auf den Flur, von dort in die Wohnstube linker Hand, wo sie ihm durch Zeichen bedeutete, leise aufzutreten, bis sie zu der schmalen Thür gelangten, die in Cäciliens Schlafzimmer führte. Unter der Thür weg durch die Ritze fiel ein schwacher Lichtstreif. Das Mädchen kauerte sich auf die Schwelle und drückte das Ohr an die Thür; Brandow stand über sie hingebeugt, ebenso lauschend. Man konnte wohl hören, daß Jemand sprach, aber nicht wer oder was. Wozu auch? Mit wem konnte sie hier sprechen als mit ihm? Was konnten sie sprechen, als was sie nicht hören lassen durften? Und jetzt wurde der Lichtschein stärker – man war in die Schlafstube getreten. Brandow bebte am ganzen Leibe vor eifersüchtiger Wuth. Sollte er hineinstürzen und das verbuhlte Paar erwürgen, der öffentlichen Schande preisgeben? Aber Gotthold war nicht mehr der schwächliche Knabe von ehemals; der Ausgang des Kampfes mit ihm, Mann gegen Mann, war mindestens zweifelhaft, und – er hatte ja schon die Bezahlung erhalten! Die Schande blieb bei ihm, und – es war zu spät! Das Bellen des Hundes, das ihn und seine Helfershelferin von der Thür zurückfliegen machte, mußte auch sie gewarnt haben; er würde das Nest leer finden. Mochte es sein; er hatte genug gehört.

„Nun?“ sagte Rieke, als sie durch das Wohnzimmer zurückgeschlichen waren und wieder auf dem Flur standen.

„Geh’ hinein und sag’, ich käme gleich,“ erwiderte Brandow.

Der Ton, in welchem er das sagte, weissagte Schlimmes; Rieke that beinahe leid, was sie gethan. „Er ist nicht so wie Sie,“ sagte sie entschuldigend und aus wirklicher Ueberzeugung.

Brandow lachte höhnisch. „Mach’, daß Du hineinkommst,“ wiederholte er dann, mit dem Fuße stampfend.

Das Mädchen ging; Brandow trat in die offene Hausthür und starrte in den dunklen Hof nach den Ställen hinüber. Der Regen schlug ihm in’s Gesicht und mit dem Regen der süßliche Rauch des heimischen Tabaks. Links, unmittelbar unter ihm, vor der steinernen Bank, glühte ein feuriger Punkt, und eine rauhe Stimme fragte:

„Nun, wie ist es mit dem Anspannen?“

Es war Der, nach dem er eben ausgeschaut, auf den er bei der Ausführung des Racheplanes, der dunkel in seiner Seele gährte, gerechnet hatte, ja der, wie er sich jetzt einbildete, den ersten Keim zu diesem Plane in seine Seele gelegt hatte. Es sollte also sein.

„Er wird jetzt nicht mehr fort wollen, und wäre es auch blos des schlechten Wetters wegen.“

„Die Anderen müssen doch auch fort.“

„Sie sind oft genug hier geblieben.“

„Schicken Sie sie fort!“

Brandow dachte einen Augenblick nach. „Wenn ich noch ein paar Hundert gewinne, gehen sie von selbst,“ murmelte er. „Aber Du mußt es ihm gründlich eintränken, Hinrich, gründlich.“

„Wo kein Grund ist,“ sagte Hinrich.

Durch Brandow’s Seele zuckte es wie ein blutrother Blitz über einen nächtigen Himmel. Das war es! Das!“

„Und ich gebe Dir, was Du verlangst!“ sagte er mit heiserer Stimme, sich in den Qualm niederbeugend, der aus Hinrich’s Pfeife aufstieg.

„Umsonst ist der Tod; und das vorhin mit dem Brownlock

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