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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872)

„Ich bitte Herr Sch., nicht so, sondern so an mir vorüberzuschreiten, wobei ich diese Stellung nehme.“

Es versteht sich von selbst, daß erklärende Bewegungen seitens Dawison’s diese Rede unterstützten.

„Schön, Herr Dawison,“ dröhnte ehrerbietig der Vertreter des Contra-C.

„Also ich verlasse mich darauf.“

Der Vorhang hob sich, und unser tiefes „Doch“ hatte bei einigen Seideln Bier das gegebene Versprechen vollständig vergessen. Oder hatte er aus dem Lethe getrunken? Genug, er schreitet zu Dawison’s Entsetzen „ganz anders“ vorüber.

Nach dem ersten Act stürzt Dawison auf den Unglücklichen zu.

„Herr, schämen sollten Sie sich –“

„Wie so?“ haucht der Geist von Hamlet’s Vater.

„Sie – Sie – haben mir gar nicht gefallen!“

Drauf antwortetest Du, ehrwürdiger Sänger der Tiefen, mit trockener Ruhe, wie sie nur Eigenthum eines serieusen Basses sein kann:

„Ja, glauben Sie denn, Herr Dawison, Sie haben mir gefallen?“

Sprach’s und kehrte sich ab.

Wir aber weinten nicht dazu, sondern lachten unbändig über die trockene Ruhe des Schuldigen. Dawison selbst lachte herzlich mit uns.

Am andern Morgen reiste er ab. Er hatte dem obenerwähnten Fritze ein sehr anständiges Honorar überreichen lassen. Fritze versicherte daher:

„Er war ein sehr excentrischer Mensch, der Dawison, aber nobel war er auch gegen uns!“

Arno Hempel.




Doch nach Canossa!


Die Leser der Gartenlaube haben neulich die Spuren unserer großen Kaisergeschlechter des Mittelalters im Herzen des Vaterlandes selbst verfolgt, im freundlichen Thale der Unstrut wie auf dem bewaldeten Hügelrücken des Kyffhäusers; heute mögen sie uns über die Alpen begleiten in’s sonnige Welschland hinein, um auch dort einmal auf den historischen Spuren derselben gewaltigen Fürsten zu wandeln, ob es gleich vornehmlich wehmüthige Erinnerungen sind, die sich daran knüpfen; liegt doch auch für ein ganzes Volk so gut wie für den einzelnen Menschen ein eigener Reiz in der Betrachtung vergangener Leiden und überstandener Gefahren. Unsere Historiker und Politiker haben in der jüngsten Zeit lebhaft darüber gestritten, ob unsere Ottonen, Salier und Staufer weise oder unweise gehandelt, als sie sich so tief in die italienischen Verhältnisse einließen, als sie in immer wiederholten Römerzügen die tüchtigsten und streitbarsten Männer aus dem deutschen Adel und Volk erbitterten Kämpfen und einem aufreibenden Klima entgegenführten. Von nationaldeutschem Standpunkte aus wird man eine solche nach fernen, stets weiter hinauslockenden Zielen trachtende Politik ohne Zweifel beklagen müssen: wie manches dringendere Werk in der Heimath ward darüber versäumt, und wie bald war, was jenseits der Berge gewonnen schien, auch wieder zerronnen! Allein jenes alte Kaiserthum war nun einmal – im völligen Gegensatze gegen unser Kaiserthum von heute – eine wesentlich internationale Würde. Als der deutsche König Otto der Große sich in Rom die Krone des großen Karl vom Papste wieder aufsetzen ließ, da übernahm er zugleich die an dieser Krone haftende Pflicht, ein Schirmherr der abendländischen Christenheit überhaupt zu sein und überall mit der unverdorbenen Kraft seiner heimischen Nation Recht und Ordnung aufzurichten, zumeist, wo es dessen so sehr bedurfte, in dem tief zerrütteten Italien. Wie in modernen Tagen unsere deutschen Auswanderer nur scheinbar dem mütterlichen Boden verloren gehen, wie sie vielmehr weit über’m Ocean durch den Fleiß ihrer Hände und das Beispiel ihrer Gesittung dem deutschen Namen Ansehen und Ehre bereiten, deren Widerschein reichlich auf das Vaterland zurückstrahlt, so haben auch die Fürsten und Reisigen deutscher Nation, die im Mittelalter so oft ihre gefürchteten Waffen in das treulose Welschland getragen, eine Culturarbeit verrichtet, aller Welt zu Nutz und dem eigenen Volke zum Ruhme; es schändet sie wahrlich nicht, wenn sie selbst darüber zu Grunde gingen.

So liegen denn die Stätten der Erinnerung an deutsche Thaten und Leiden weithin zerstreut über das herrliche Land im Süden der völkerscheidenden Alpen. Schon wo sich die Pässe des Hochgebirges hinabsenken, muß man der lauernden Lombarden gedenken, die dem verhaßten Barbarossa umsonst den Weg zu versperren suchten; in der Poebene sodann, von wieviel Schlachten und Belagerungen aus der staufischen Zeit wissen nicht diese Felder, diese Städtemauern zu erzählen! Und so geht’s fort über die ewige Stadt hinweg bis in die schmale calabrische Halbinsel, wo Otto der Zweite von den Saracenen geschlagen ward, ja bis jenseits des sicilischen Sundes, wo im Dome zu Palermo die Sarkophage Heinrich’s des Sechsten und Friedrich’s des Zweiten an die höchste Macht und den tragischen Ausgang des schwäbischen Kaiserhauses gemahnen. Es war die Kirche, wie Jedermann weiß, welche diesen Ausgang verschuldet hat; ja beinahe alle Niederlagen der deutschen Waffen in Italien bedeuteten ebenso viele Siege desselben Papstthums, das unsere Kaiser erst aus der Verkommenheit emporgerissen hatten und das bald in unersättlicher Herrschsucht diese seine Retter selbst unter die eigene Botmäßigkeit zu bringen unternahm. Die entscheidendsten aber unter diesen Siegen des Papstthums wurden nicht auf dem Schlachtfelde draußen errungen, sondern auf der unblutigen, dafür jedoch oft desto thränenreicheren Wahlstatt des Geistes. Ich spreche in einem einzigen Namen den ganzen Leidensinhalt dieser weltgeschichtlichen Kämpfe aus, wenn ich den Leser bitte, sich heute mit mir auf die romantische Wanderung nach Canossa zu begeben.

Castell Canossa stellt gegenwärtig eine Burgruine dar, wie wir deren in Deutschland, besonders in den Rheinlanden, so überaus viele besitzen. Früher ein mächtiger Adelssitz, erging es dieser Feste seit dem zwölften Jahrhundert ganz, wie so vielen anderen damals. Unfähig, in den unaufhörlichen wilden Fehden sich durch sich selbst zu behaupten, trat das Vasallengeschlecht Canossa, das die Burg mit anderen Schlössern am Abhange des Apennin an sich gebracht, in die Bürgerschaft der damals bedeutenderen Stadt Reggio in der Emilia ein, und diese Bürgerschaft war’s, die im Jahre 1255, um den Besitzern das Räuberhandwerk gründlich zu legen, mit Heeresmacht vor die alte Bergfeste zog und sie mittelst ihrer Steinwurfmaschinen, der Artillerie jener Tage, so zertrümmerte, wie wir sie nunmehr erblicken. Hätte die Burg keine größere Vorgeschichte, so würde sich’s höchstens um der Schönheit ihrer landschaftlichen Lage willen lohnen, sie heute zu besuchen. Aber auch so wäre es kein vergeblicher Gang; in aller Kürze will ich die äußeren Eindrücke schildern, die ich davon an einem Julisonntage dieses Jahres empfing; hernach wenden wir uns zu den ernsten historischen Erinnerungen zurück.

In Reggio, zwischen Parma und Modena, verläßt man die Eisenbahn, welche fast ohne Abweichung die alte ämilische Römerstraße vom Po zum Adriameer entlang läuft, und fährt im leichten Wagen auf guter, aber staubiger Chaussee gerade auf das Gebirge zu. Zur Seite hat man den Telegraphen, denn es ist die alte, nun fast unbenutzte modenesische Poststraße, die über den Apennin nach Massa und Carrara führt. Rechts und links der herrliche Anbau der Poebene, zwischen Weizen- und Maisfeldern in unabsehbaren Reihen rebentragende Ulmen und Maulbeerbäume. Von Zeit zu Zeit ein freundliches Dorf mit stattlich prangender Kirche, dann, sobald der Boden hügelig ansteigt, Villen auf der Höhe, lustig hell zwischen den Weingärten oder den Gruppen düsterer Cypressen hervorschimmernd. Traurig nimmt sich nur der Crostolofluß aus, durch dessen Thal man in’s Gebirge eintritt; es geht ihm wie allen italienischen Bächen im Sommer: wo im Frühjahr das Bergwasser sich mächtig und bedrohlich hervorwälzte, bezeichnen jetzt nur hier und da gelbliche Lachen zwischen wüstem Kalkgeröll, daß man diese festen grauen Brücken nicht ganz ohne Zweck über das breite Steinbett hingewölbt hat. Und außer dem munteren Element des Wassers vermißt der deutsche Wanderer auch das erquickende Grün der Wälder an diesen schroffen Felswänden; höchstens niedriges Buschwerk klettert

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872). Leipzig: Ernst Keil, 1872, Seite 711. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1872)_711.jpg&oldid=- (Version vom 7.1.2019)