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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872)

zwei alten Gegensätze, die uns hier vor Augen treten: ängstliche Frömmigkeit knechtischen Befangenseins einerseits und heitere Religiosität kindlicher Freiheit andererseits. Welch ein fröhliches thätiges Leben würde in alle Kinderbewahranstalten einziehen, wenn in jeder derselben eine tüchtige Kindergärtnerin angestellt würde!

Welch schönes Bild edler Menschlichkeit und wahrhaft religiöser Lebensgemeinschaft wäre es ferner, wenn die erwachsenen Töchter vornehmer Familien, anstatt ihre reichliche Muße nur mit elendem Putze und nichtigen Gesellschaften oder Romanen zu vergeuden, oder anstatt, wie es von Seiten der besseren zum Theil jetzt geschieht, in Kinderbewahranstalten die Kleinen im Stricken zu unterweisen, wenn diese die Kinder zu den geistweckenden, die Lust am Schaffen nährenden und sittliches Leben in heiterer Freiheit begründenden Beschäftigungen und geselligen Spielen des Kindergartens anleiteten! Wie zauberisch fördernd und hebend müßte die aus höherer ästhetischer Bildung und feineren socialen Verhältnissen herstammende äußere Idealität solcher freiwilligen Hülfstanten – denn Tanten heißen die Kindergärtnerinnen bei ihren Zöglingen – auf die Kinder einwirken! Und wäre bei den Jungfrauen, die solcher Aufgabe in der rechten Gesinnung und Weise sich unterzögen, blos der äußere Schein der Idealität vorhanden? Nein! Zu den Edelsten ihres Geschlechts würden sie gehören; die äußere süße Weihe, die sie umgäbe, wäre nur der einfache, natürliche Ausdruck des innern Adels ihrer Seele. Um aber so wirken zu können, um des höchsten, bisher ungenossenen Glückes und Vortheils ihrer Stellung theilhaft zu werden und um einst ihrer zu erwartenden köstlichen Bestimmung, der Erfüllung mütterlicher Erziehungspflichten, würdig entgegenzugehen – dazu müßten diese erwachsenen Töchter vor Allem eine Zeitlang einen guten Kindergarten beobachten und daneben ein geeignetes Buch studiren.

Zu einiger Bekanntschaft mit der Kindergartenpädagogik sollte aber auch schon den älteren Schülerinnen der Volksschulen dadurch Gelegenheit gegeben werden, daß man sie, etwa je Zwei und Zwei, einige Zeit einen solchen als Gäste besuchen ließe, damit sie zum Mindesten ein deutliches Bild vernünftigen Umganges mit Kindern und wenigstens einige Kenntniß der wichtigsten Kinderbeschäftigungen erlangten. In Ermangelung besserer Unterweisung, welche freilich die Schule gewähren sollte, würde schon dies ungemeinen Nutzen stiften, da solche Mädchen zunächst als Kinderwärterinnen und später als Mütter mit Kinder umgehen müssen, ohne eine andere deutliche Vorstellung von Erziehung zu haben als die, welche ihrer eigenen höchst mangelhaften entspricht. Für die Aufnahme und möglichste Unterweisung solcher Gäste auf Seiten der Kindergärtnerinnen müßte diesen letzteren allerdings von der Behörde eine Entschädigung gezahlt werden. Es könnte hier ein Magistrat mit wenigen Thalern sehr, sehr viel Gutes stiften. Dabei ist es eine für die Dauer unabweisbare Forderung der Pädagogik, jeder Volksschule einen Kindergarten organisch einzufügen, eine Maßregel, die für die ganze Schule von heilsamstem Einflusse sein muß, und zwar ganz besonders auch dadurch, daß sie die Keime der Kindergartenpädagogik auf dem Felde der Schule entwickeln helfen wird. Heil den Obrigkeiten, die ihre Ehre auch darein setzen, solcher Forderung entgegenzukommen!

Auf der andern Seite ist aber nicht außer Acht zu lassen, daß zu Unterweisung sowohl der älteren Schülerinnen der Volksschule, wie der erwachsenen Töchter vornehmer Familien nur wirklich gute Kindergärten gewählt werden dürfen, das heißt nur solche, die von Damen geleitet werden, welche für ihren Beruf begabt sind und tüchtige Ausbildung genossen haben. Denn es giebt allerdings auch minder gute Kindergärten und Kindergärtnerinnen, die ihren Namen kaum verdienen, Anstalten, wo entweder todte Faulenzerei und blind tappende Unwissenheit, oder peinliche, ewig am Kinde herumarbeitende Schulmeisterei herrscht, bei der die Kinder immer im Trabe und Athem erhalten und von einem Spiele zum andern, von einer Beschäftigung zur andern förmlich gejagt werden und wo man die Kinder in schulmäßig lehrhafter Manier über Dinge unterrichtet, die noch gar nicht für sie passen. Die Hauptsache, das Eine und Alles ist hier die Persönlichkeit der Kindergärtnerin selbst, ihr eigenstes Wesen, ihr Gemüth und ihr Verstand, ihre Gesinnungsart und Gefühlsweise. Alles, was sie ist, wird sich, zum großen Theile ihr selbst unbewußt, den Kindern gegenüber offenbaren und am meisten und wirksamsten, wenn sie mit denselben sich allein befindet.

Aus dem Gesagten ergiebt sich aber auch, daß die Kindergärten einer geeigneten Inspection unterworfen, die guten anerkannt, die üblen mit Stillschweigen übergangen und möglichst beseitigt werden sollten. Daß freilich die Kinderbewahranstalten zu einer öffentlichen pädagogischen Inspection und Umgestaltung noch weit mehr herausfordern, das liegt auf der Hand.

Inzwischen giebt es aber viele Eltern, welche, ohne die Hülfe einer Kinderbewahranstalt beanspruchen zu mögen, dennoch, des Kostenaufwands wegen, nicht im Stande sind, ihre Kinder einen Privat- oder Bürgerkindergarten besuchen zu lassen. Es sind daher hier und da, besonders in Berlin, durch Vereine Volkskindergärten gegründet worden, das heißt Kindergärten, die durch den geringen Honorarsatz von monatlich fünf Groschen auch den ärmeren Eltern es ermöglichen, ihren Kindern den Segen einer besseren frühen Erziehung zukommen zu lassen. Auch Leipzig hat bereits seinen ersten Volkskindergarten aufzuweisen (Braustraße), die erste Frucht seines „Vereins für Volkskindergärten“. Daß die Eltern die Bedeutung dieses Instituts, das am 15. Mai d. J. eröffnet wurde, sehr wohl erkannten, beweist die Thatsache, daß binnen wenigen Tagen die Zahl der Anmeldungen von Kindern bis auf fünfundsiebenzig stieg, so daß der Verein entschieden auf Erweiterung der Localität Bedacht nehmen mußte. Das neue „Haus zum Volkskindergarten“ ist heute, wo wir diesen Bogen zum Druck abgeben, mit der, nach guter alter Sitte, aus Tannenzweigen und Blumen gewundenen Krone des sogenannten „Richtfestes“ geschmückt und durch eine recht würdige Feier zum Asyl für Kinder armer Eltern geweiht worden.

Möchten sich – man muß dies im Interesse des ganzen deutschen Volkes dringend wünschen – in allen Städten dergleichen Vereine bilden und in ihrem Bemühen von den Behörden und Regierungen kräftig unterstützt werden. Je früher die Kinder der Armen bauen und schaffen und mit Lust und Liebe arbeiten lernen, desto weniger werden sie einst geneigt sein, sich der pessimistischen Partei fanatischer Niederreißer und Zerstörer anzuschließen, desto mehr werden sie einst im Stande sein, den kostspieligen und nichtsnutzigen Genüssen des Rauchens, des unmäßigen Trinkens von Spirituosen und des Kartenspielens zu entsagen und ihre Freude in der Arbeit zu finden und an Schöpfungen des Geistes.

Möge mir gestattet sein, zum Schluß noch einer deutschen Frau zu gedenken, deren Namen kein Freund der Kindergärten ohne das Gefühl freudigster Bewunderung und tiefster Hochachtung zu nennen vermag. Es ist die Frau Baronin Bertha von Marenholtz-Bülow in Berlin, die mit unermüdlicher Ausdauer durch persönliche Bemühungen und theoretische und praktische Anregungen aller Art in den verschiedensten Orten und Ländern die Gründung von Kindergärten bewirkt hat. Nicht geringes Verdienst erwarb sie sich außerdem durch die Schrift „Die Arbeit und die neue Erziehung nach Fröbel’scher Methode“, die wir hiermit ernstlicher Beachtung dringend empfehlen. Als Lehrbücher der Kindergartenpädagogik und insbesondere der Beschäftigungen sind vorzugsweise zu nennen die Schriften von Goldammer in Berlin, Köhler in Gotha und von Seidel und Schmidt in Weimar.




Ein preußischer Bischof als Teufelsbanner.


Einer der hellsten Sterne am ultramontanen Himmelsgebäude Aachens ist Herr Laurent, Bischof von Chersonesus in partibus infidelium. In einem Dorfe der Gegend geboren und von seinem Vater zum Grobschmied herangebildet, hatte er schon so manches Stück Eisen auf dem Ambos verarbeitet, als der Beruf in ihm erwachte, mit dem Werkzeug der Kirche menschliche Seelen krumm zu schlagen und Geister platt zu hämmern. Rheinischen Jüngern der Kirche, welche den Weg der Gymnasialbildung, besonders die Mathematik und die deutschen Aufsätze zu schwierig oder zu ketzerisch finden, bietet sich, um zu den ersehnten sieben

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872). Leipzig: Ernst Keil, 1872, Seite 740. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1872)_740.jpg&oldid=- (Version vom 7.1.2019)