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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874)

4.

Seit diesem Auftritt im Schloß Rudisdorf waren fünf Wochen verstrichen. Man machte Vorbereitungen zur Hochzeit. Vor sechs Jahren noch wäre das prächtige Schloß bei einer solchen Veranlassung ein wimmelnder Ameisenhaufen gewesen, denn die Frau Gräfin hatte es verstanden, so viel bedienende Hände um sich her in Thätigkeit zu versetzen, wie kaum ein indischer Radscha. Vor sechs Jahren noch hätten blendende Märchenpracht, licht- und lusttrunkene Wogen berauschender Feste dem Freier eine blonde Fee zugetragen – heute holte er die Braut aus verlassenen Gärten, die der Wildniß entgegenwucherten, aus dem statuengeschmückten Steinkoloß, wo die Schemen verrauschter Freuden, hinter Marmorsäulen hockend, sich von den Spinnen mit schmutzigen Schleiern verhängen ließen. … Im großen Saal hatte der Gutspächter Getreide aufgeschüttet; auf allen Fenstern lagen die weißen Läden, und wo ein Lichtstrahl eindrang, da fiel er auf ungefegtes Parquet und vollkommen leere Wände.

Es war gut, daß die erlauchten Herren, im Eisenhut und Panzerhemd oder auch das federngeschmückte Barett auf den rothhaarigen Köpfen, zwischen den glänzenden Marmorplatten der Ahnengalerie eingefügt, an den Wänden stillstehen mußten, daß ihre stolzblickenden Frauen und Töchter in Stuartkragen und starrer Goldstoffschleppe nicht hinunterrauschen konnten in den Gartensalon – sie hätten sicher den blinkenden Pfauenwedel oder die steifblätterige Rose aus den bleichen Händen fallen lassen und sie über dem Kopfe zusammengeschlagen; denn da kniete Ulrike – die echte Trachenberg, wie die Gräfin immer sagte – sie hatte die mottenzerfressenen Bezüge von den Sophas und Lehnstühlen gerissen und schlug mit eigenen gräflichen Händen die Nägel in den großblumigen Zitz, der neuglänzend die Polster deckte. Die alte Lene aber rieb und bohrte das wurmstichige Holz der Möbel, bis ein matter Glanz unter ihren Fäusten entstand und die Linien der eingefügten Prachtmuster schattenhaft hervorkamen. Dank dem rechtzeitig eingetroffenen Buchhändlerhonorar standen auch neue zierliche Sessel und Blumentische von Korbgeflecht umher. Nun stieg Epheugespinnst an den weißen Wänden empor, und aus Gruppen breiter Blattpflanzen hingen Draperien von Clematis und Immergrün auf das Parquet herab. Ein Odem von behaglicher Traulichkeit durchwehte den erst so kahlen Salon, und das war nothwendig, denn hier sollte das Hochzeitsfrühstück eingenommen werden.

Während dieser Vorkehrungen schweifte Liane mit Botanisirbüchse und Grabscheit an der Seite ihres Bruders durch Wald und Feld, als habe sie mit der ganzen Angelegenheit nichts zu schaffen. Der Bruder vergaß über allen Wundern der Schöpfung, daß sein kleiner Famulus am längsten mit ihm zusammen gelebt und gestrebt habe, und von den Lippen der Schwester kamen geläufig lateinische Namen und kritische Bemerkungen, nie aber auch nur der Name des fernen Verlobten. Es war ein seltsamer Brautstand.

Im Elternhause hatte Liane wohl manchmal die Mainaus nennen hören – ein Lutowiski hatte eine Mainau heimgeführt – aber nie hatte ein persönlicher Verkehr mit den entfernten Verwandten stattgefunden. Da waren plötzlich Briefe aus Schönwerth an die Gräfin Trachenberg eingelaufen, die eifrig beantwortet wurden, und eines Tages kündigte Ihro Erlaucht der jüngsten Tochter kurz und bündig an, daß sie über deren Hand verfügt und sie dem Vetter Mainau zugesagt habe, wobei sie jeden etwaigen Widersprach mit der Bemerkung abschnitt, daß sie genau auf dieselbe Weise verlobt worden und dies die einzig standesgemäße Form sei. … Dann war der Bräutigam unerwartet gekommen, Liane hatte kaum Zeit gefunden, ihr von Wind und Gesträuch zerwühltes Haar unter den berüchtigten Sammetschleifen zu verbergen, da war sie schon in das Zimmer der Mutter befohlen worden. Wie dann Alles gekommen, wußte sie selbst kaum. Ein schöner großer Mann war ihr aus der Fensternische entgegengetreten; hinter ihm hatte die volle glühende Frühlingssonne durch die Scheiben gefunkelt und sie gezwungen, die Augen niederzuschlagen. Darauf hatte er fast väterlich freundlich zu ihr gesprochen und ihr schließlich seine Hand hingehalten, in die sie auf Befehl der Mutter, noch mehr aber auf die vorhergegangenen geheimen und inständigen Bitten Ulrikens hin, die ihrige gelegt. Er war sofort wieder abgereist, zur unaussprechlichen Erleichterung der Gräfin Trachenberg; denn wie aufgescheuchte Gespenster waren ihre Gedanken während der Verlobung durch die öden Kellerräume, oder die todeseinsamen Johannisbeersaftetiquetten hingeirrt, und die alte Lene hatte drunten in der Küche ihr Gehirn zermartert, wie sie wohl mit den letzten fünf Eiern und einem Restchen Kalbsbraten ein gräfliches Diner herrichte.

Alles die Hochzeit Betreffende wurde zwischen dem Bräutigam und der Mutter schriftlich vereinbart, und nur dem Brautgeschenke hatten einige Zeilen für Liane beigelegen, Zeilen voll ausgesuchter Höflichkeit und Galanterie, aber auch fremd und förmlich – sie wurden mit kalten Augen gelesen und lagen seitdem unberührt bei dem Schmuck im Kasten. Es war dies Alles aber so „prächtig standesgemäß und aristokratisch steif“ und das „Hineinfinden“ Lianens, ihre widerspruchslose Ruhe befriedigten die Gräfin Mutter so sehr, daß sie sich einige Tage nach der stürmischen Scene wieder herbeiließ, mit ihren Kindern zu essen und dann und wann ein gnädiges Wort an sie zu richten. Sie wußte freilich nicht, daß das junge Mädchen unter dem Trennungsschmerze bereits unsäglich litt – das aber erfuhren ja selbst die Geschwister nicht. …

Der Hochzeitsmorgen war da – ein kühler, grauverhangener Julimorgen. Nach trockenheißen Tagen tröpfelte ein sanfter Regen durch das Gehölzdickicht, und draußen auf den großen ausgedörrten Staudenblättern der Rasenflächen klatschte er in leisem unermüdlichem Ticktack und sammelte sich zu rollenden Silberperlen. Aus Busch und Baum und von den Dachrinnen herab zwitscherten und schrieen jubelnd die Vögel, und die alte Lene sah von ihren schmorenden Pfannen hinweg in das graue Geriesel hinein und freute sich, daß es der Braut in den Kranz regne.

Ein einziger Wagen rollte in den Schloßhof, noch dazu ein Miethwagen von der nächsten Eisenbahnstation. Während er in einer der ungeheuren leeren Remisen verschwand, stiegen die zwei Angekommenen langsam die Freitreppe des Schlosses hinauf. Baron Mainau zeigte sich auf die Minute pünktlich; er traf der Verabredung gemäß genau eine halbe Stunde vor der Trauung ein.

„Daß Gott erbarm’ – das will ein Hochzeiter sein!“ seufzte die alte Lene betrübt auf und trat vom Küchenfenster zurück.

Droben flog die Glasthür weit auf und die Gräfin Trachenberg eilte heraus. Die Regentropfen sprühten auf ihre dunkelviolette Sammetschleppe und glitzerten in den schwarzen Scheitelpuffen neben einigen aus dem Schiffbruche geretteten Brillanten. Schmachtend und mit sanfter Anmuth streckte sie begrüßend die feinen Hände aus den reichen Spitzenärmeln – wer hätte ihnen zugetraut, daß sie einen schweren Gegenstand mit der Kraft der Furie zertrümmernd durch die Glasscheiben schleudern konnten!

Man flüchtete vor dem Regen in das Wohnzimmer der Gräfin, und Baron Mainau stellte seinen Trauzeugen, Herrn von Rüdiger, vor. Zwischen die leichte Plauderei, die sich an die Vorstellung knüpfte, kreischte ein Ara in der Fensternische, und auf dem verblichenen Fußteppich balgten sich knurrend zwei schneeweiße Exemplare einer kleinen Pudelrace. … Hätte die alte Lene nicht eine dicke Guirlande über die Glasthür gehängt, durch welche der Bräutigam kommen mußte, und wäre nicht die effectvolle, königlich stolze Toilette der Gräfin gewesen, es hätte Niemand einfallen können, an einen bevorstehenden feierlichen Act in diesem Hause zu denken, so banal und obenhin plauderte die Dame, so gleichmüthig und unbewegt stand die elegante schwarzbefrackte Gestalt des Bräutigams am Fenster und sah in den stäubenden Regen hinaus, und eine so tiefe Stille und Oede lag seit dem Verrollen der vier Wagenräder wieder über dem weiten, verlassenen Schlosse. Herr von Rüdiger wußte, daß es sich bei dieser Vermählung wie um ein Geschäft handelte; er war selbst zu sehr Weltmann und Cavalier, um ein solches Uebereinkommen nicht ganz in der Ordnung zu finden; aber die spukhafte Einsamkeit ging dem kleinen Beweglichen denn doch „über den Spaß“ – es lief ihm fröstelnd über den Rücken, und er athmete ängstlich auf, als endlich die Flügel der gegenüberliegenden Thür feierlich langsam zurückgeschlagen wurden.


(Fortsetzung folgt.)


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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874). Leipzig: Ernst Keil, 1874, Seite 24. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1874)_024.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)