Seite:Die Gartenlaube (1874) 026.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1874)

Nach Mekka!


Der Auszug der Pilger in Kairo.


Gewiß haben viele Leser der Gartenlaube in der Wiener Weltausstellung das großmächtige vom Vicekönig von Aegypten angekaufte Bild des Florentiners Ussi gesehen, den Ausgang der Pilger nach Mekka darstellend. Niemand wird dem italienischen Maler nachsagen können, daß sein Bild nicht trefflich gemalt, das Wesentliche dieses charakteristischen Zuges nicht in bunten, reichen Farben auf der Leinwand wiedergegeben sei, doch giebt diese Darstellung von der Wirklichkeit keinen klareren Begriff als ein Wassertropfen von der ungestümen See mit ihren windgepeitschten Wellen, dem Getöse ihrer Brandung, ihrem Sausen und Brausen. Man muß dieses merkwürdige Fest vom Anfang bis zum Ende durchgemacht haben, man muß wissen, daß die fanatischen Söhne Mohammed’s in ihrer religiösen Verzückung gleich Riesen heulen und mit solcher Riesenkraft auf Pauken und Trommeln schlagen, daß die Fenster der Häuser klirren, man muß wissen, daß sie jauchzen und beten, jubeln und stöhnen, daß sie die tollsten Sprünge aufführen, all Das muß man wissen, um sich von diesem eigenthümlichen Feste einen Begriff machen zu können.

Es ist über dieses größte und merkwürdigste Fest Kairos schon Manches geschrieben worden, allein ich habe noch in keinem Buche, selbst nicht in der unübertrefflichen Lane’schen Schilderung ägyptischen Lebens, den ganzen Hergang der Feier gelesen, wodurch dem fremden Leser das Verständniß derselben ermöglicht würde. Ehe ich in dieses Land kam und sah und forschte, hatte auch ich durch all die vorhandenen Schilderungen von der Mekka’schen Pilgerfahrt einen ganz verwirrten Begriff bekommen. Ich will sie den Lesern der Gartenlaube jetzt schildern, wie ich sie gesehen habe.

Jedem Mohammedaner ist bekanntlich als Religionsgebot vorgeschrieben, ein Mal im Leben nach Mekka zu pilgern. Dort, im heiligen Tempel von Haram, steht die Kaabah, jenes anfangs durch die Engel dem Throne Allah’s nachgebaute, später durch Adam, Abraham und verschiedene Khalifen und Sultane restaurirte heilige Gebäude. Die Muselmänner erzählen, daß die Kaabah einst eine große Lücke hatte, welche auszufüllen Abraham nicht vermochte, so daß ihm der Herrgott zu Hülfe kam, indem er ihm durch den Erzengel Gabriel einen großen schwarzen Stein sandte, der gerade in besagte Lücke hineinpaßte. Der Stein, welcher heute an der südlichen Ecke der Kaabah eingemauert ist, soll noch immer der gottgesandte sein, allein bei all den geschichtlich bekannten Restaurationen und Wiederaufbauten dürfte wohl von den sämmtlichen Steinen, welche jene ehrwürdigen Herren im grauesten Alterthum aufhäuften, auch kein einziger mehr vorhanden sein. Wie Dem auch sei, so ist doch die Kaabah für jeden Muslim der heiligste Fleck der Erde; dorthin richtet er beim Gebet seinen Blick.

Die Monate der Wallfahrt sind gemäß der Vorschrift die drei letzten des Jahres, das heißt Schewwal, Dsulkade und Dsulhedsche. Indeß ziehen viele Pilger vor, den Ramadhan, nämlich den Fastenmonat, der vor den ersten der drei genannten fällt, in den heiligen Städten von Mekka und Medina, in welcher letzteren der große Prophet begraben liegt, zuzubringen. Viele langen daselbst auch in den drei dem Fastenmonat vorhergehenden Monaten an, so daß die Zeit der Pilgerfahrt eigentlich einen Zeitraum von sieben Monaten umfaßt.

Der Auszug der Pilger findet aber in Kairo immer an einem bestimmten Zeitpunkt statt, nämlich vom zwanzigsten bis fünfundzwanzigsten Schewwal, dem zehnten Monat der mohammedanischen Zeitrechnung. Mit diesem Auszug hängt die Sendung der jährlich zu erneuernden, den heiligen Grabmälern und der Kaabah bestimmten Ueberzüge und Decken zusammen, die in Kairo auf Kosten der Regierung verfertigt und alle Jahre mit Kanonen und Cavallerie nach Mekka und Medina gesandt werden. Diese Cavallerie, aus vierhundert Mann bestehend, wird von der Regierung das ganze Jahr hindurch lediglich darum unterhalten, daß sie jährlich diesen heiligen Decken durch die Wüste das Geleit gebe, freilich eine vierzig Tage dauernde saure Arbeit, während welcher viele Pferde umkommen und auch zuweilen die Reiter.

Besagte Decken sind sämmtlich aus schwerem schwarzem Brocate, mit goldenen Arabesken in hohem Relief ausgeschmückt und mit farbigem Tuche benäht, auf welches wieder goldene Koransprüche gestickt sind. Diese Stickereien beschäftigen etwa hundert eigens dazu angestellte Schneider vollauf sieben Monate; diese müssen die Arbeit dem Gouverneur der Stadt in den ersten Tagen des Monats Schewwal vollendet überliefern.

Zunächst werden die gestickten Decken in einem Saal des Regierungsgebäudes ausgehängt. Priester müssen die Nacht hindurch in diesem Gemach beten. Es ist dies eine geisterhafte Ceremonie, die bis auf diesen Tag exclusiv islamisch war, indeß jetzt, und zwar auf Antrieb des Vicekönigs, der seinem intoleranten Volke etwas Toleranz einbleuen möchte, einen Christen als Beobachter geduldet hat. Und dieser Christ war ich.

Die Feier fand in einem geräumigen, länglichen Gemache statt, um welches ringsherum weiche Kissen lagen. Längs den mit den goldenen Decken behängten Wänden der einen Hälfte des Gemachs saßen die Eingeladenen mit gekreuzten Beinen, in der anderen Hälfte, welche ein persischer Teppich schmückte, kauerten die Priester. In der Mitte des teppichbedeckten Raumes steht eine Art Katafalk, dem Grabmal Abraham’s bestimmt, durch einen brocatenen, mit den zierlichsten Stickereien in Gold ausgestatteten Ueberzug bedeckt; derselbe war von vier Riesenkerzen, die ein flackerndes, unstetes Licht auf die Versammlung warfen, umgeben.

Jetzt stimmt einer der Priester einen Koranspruch an; er singt ihn nach üblicher Weise, mit klagender, auf gewissen Noten lange anhaltender Stimme; dabei wiegt er den Leib unausgesetzt hin und her, was in den Pausen besonders unheimlich aussieht.

Den Eingeladenen wurde nach Landessitte duftender Mokka in niedlichen Schalen gereicht, auch die Priester genossen von demselben, wie ich überhaupt bemerkte, daß diejenigen, welche mit dem Beten nicht gerade beschäftigt waren, gar nicht der Welt entrückt zu sein schienen und unter einander gar munter plauderten. Sobald der eine mit seinem Spruch fertig war, fing gleich ein anderer Beturbanter zu singen an, und zwar noch klagevoller als der Vorhergehende, gleichsam als ob er die Steine mit seinem Gesange rühren wollte.

Unten im Hofe ließ ein Scheich seinen Derwischen den sogenannten Zikr beten, ein Gebet, das mir jenes Kinderspiel in’s Gedächtniß rief, bei welchem Eines voranmarschirt und allerlei dumme Bewegungen macht, welche die ihm in der Reihe Nachfolgenden genau nachahmen müssen. Der Scheich befiehlt nämlich seinen umstehenden Getreuen, zu springen, zu kreiseln, den Kopf nach hinten oder vorn, links oder rechts zu werfen, wozu der Name Gottes gebrüllt werden muß. Ich glaube nicht, daß ein Mensch jemals mehr entwürdigt aussehen kann, als wenn er den Zikr betet. Die von Minute zu Minute rascher und gewaltsamer werdenden Bewegungen und das unaufhörliche Allahrufen haben eine berauschende Wirkung, die sich durch Stöhnen, Röcheln und Schnauben Luft macht; der Schaum tritt an die Lippen … Es war ein empörender Anblick, bei welchem dieselbe Wehmuth über mich kam, welche mich einst im Irrenhaus zu Reggio beschlich.

Am darauf folgenden Morgen brachte man die Decken mäuschenstill, um kein Aufsehen zu machen, durch Seitengäßchen in die Citadelle. Von dort aus müssen sie unter großem Gepränge in die Moschee Hassanin transportirt werden. Um acht Uhr Morgens und schon vorher waren alle die Straßen, durch welche der Zug kommen sollte, die Dächer der Häuser, die Fenster der Kaufläden von Menschen dicht angefüllt. Unter Kanonendonner wand sich der Zug aus der Citadelle heraus. Nach einer unabsehbaren Linie von Militär kamen die vier Theile des Kaabahüberzuges zum Vorschein, die zusammengerollt auf hölzernen Bahren lagen, von brüllenden Muselmännern getragen. Um das Machmal taumelten die religionstrunkenen Pilger, die heulenden Derwische mit ihren Bannern und Schäften.

Bevor ich fortfahre, muß ich zum besseren Verständniß des Nachstehenden vom Machmal sprechen. Es ist dies ein von einem reich aufgeschirrten Kameel getragener goldener Baldachin, dessen Grundfarbe, der vielen Goldstickereien halber, nicht mehr zu erkennen

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1874). Leipzig: Ernst Keil, 1874, Seite 26. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1874)_026.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)