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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874)

ist. An den vier Kanten desselben und an der kuppelartigen Spitze sind große goldene Kugeln angebracht, welche mit dem Halbmond geschmückt sind. Unter diesem Baldachin oder Zelt befindet sich Niemand. Das Machmal, welches leer nach Mekka geht und leer zurückkehrt, wird heutzutage blos mitgenommen, um der Ceremonie größeres Gepränge zu verleihen.

Als ich aber die verzückten Muslimen gewahrte, wie sie sich sicherem Zerquetschen aussetzten, nur um die Hand über das goldene Zelt zu streifen, die sie dann mit Küssen bedeckten und über die Stirn strichen, wobei ihr Gesichtsausdruck eine Seligkeit verrieth, gleichsam als ob sie Ambrosia genossen, als ich den unvergeßlichen Ausdruck der Augen der Frauen sah, wie sie die Schleier und Kopftücher zu den Fenstern hinunterließen, um das Zelt damit zu berühren, da sagte ich mir: Dieser Fanatismus kann nicht aus Liebe zu Prunk entstehen; ein goldenes Zelt kann auch in dem schausüchtigen Volke keine solche Vergötterung hervorrufen. Es muß ein religiöser Glaube dahinter stecken.

Vergebens suchte ich bei den Arabern Auskunft. „Das Machmal? Ach! Das ist etwas sehr Heiliges.“ Man verdrehte die Augen und – Punctum. Auch in den Reisebeschreibungen ist es mir nicht viel besser ergangen.

Ueber keinen Gegenstand ist wohl noch so viel gefaselt worden, wie über das Machmal. Der Eine sagt, es habe die Bestimmung, die Kaabah zu bedecken, der Andere, es gehöre auf das Grabmal Mohammed’s etc. Der unübertreffliche Lane erzählt, daß Scheger ed-Durr, die Favoritin des Sultans Es-Saleh-Negm-ed-Din, die Erste war, welche unter einem Machmal nach Mekka wallfahrte. Die Frauen der Khalifen sollen für einige Zeit dasselbe gethan haben; später wären sie fein zu Hause geblieben und hätten blos ihr Zelt mit der Pilgerkarawane nach Mekka geschickt. Seit der Zeit werde es als Symbol königlicher Würde mitgenommen. Auch Burckhardt ist dieser Meinung. Lane giebt indeß zu, daß er niemals hätte ausklügeln können, aus welchem Grunde die Muslimen für’s Machmal so fanatisch sind.

Trotz der Meinungsverschiedenheit oder vielmehr der Unkenntniß der Sache sind sämmtliche Reisende in Einem einig, nämlich, daß auf dem Machmal zwei Koranexemplare befestigt sind, und dies hat nach zur Ueberzeugung geführt, daß Alfred von Kremer den richtigen Ursprung des Machmals gefunden hat. „Geht ein Beduinenstamm in’s Gefecht,“ erzählt besagter Autor, „so pflegt man das schönste und muthigste Mädchen des Stammes in eine Sänfte zu setzen, die von einem Kameel getragen wird, das man in’s dichteste Kampfgewühl leitet. Während die Feinde sich der schönen Beute zu bemächtigen suchen, wird sie von den Ihrigen vertheidigt. Sie spricht denselben Muth ein, belobt tapfere, vor ihren Augen vollführte Thaten und verspricht dem Tapfersten der Tapferen ihre Hand; so wird dann der Kampf um sie herum am heftigsten. Auf diese Sitte gründet sich auch der Gebrauch, daß bei der Pilgerkarawane der Koran unter einem Zelt von einem edlen Kameel, das kostbar aufgeputzt ist, getragen wird. Man nennt dies das Machmal. Dasselbe soll der Sammelpunkt sein, um den sich im Fall des Angriffs der Karawane die Kämpfenden zu schaaren haben, um ihr Heiligstes zu vertheidigen.“

Anfangs sahen die frommen Muslimen beim Anblick des Machmals nur den Koran, von dessen Göttlichkeit sie bekanntlich Alle überzeugt sind; der Fanatismus wurde von Vater auf Kind überliefert, bis zuletzt die Verzückung beim Erscheinen des heiligen Zeltes eingeboren ward und des Muslimen Eifer nicht mehr dem Koran, sondern dem Machmal galt. Das Curiose bei der Geschichte ist aber, daß das Machmal in der That jetzt keinen Koran trägt. Ich habe den Chef selbst gefragt, und er antwortete mir: „Koran? Ich weiß von keinem Koranexemplar. Wißt Ihr Etwas davon?“ frug er seine Leute. Jeder schüttelte den Kopf und sagte. „Wasisch Koran,“ was auf Deutsch so viel als „Nix Koran“ heißt. Man hat den Koran also vergessen. Armer Islam! hohl sind die Feiern deiner einst so getreuen Muslimen; die noch bleibenden Zeloten hangen blindlings an dir. Oeffnet ihnen die Augen, und sie werden zu Skeptikern!

Jetzt wollen wir wieder zur Feier zurückkommen. Der Sitte gemäß, bleiben die heiligen Decken zwei Wochen in der Moschee Hassanin, wo das Haupt Hussein’s, des Enkels Mohammed’s, aufbewahrt wird. Hussein wurde in der Ebene von Kerbela auf des Khalifen Jezid’s Befehl getödtet. Er starb also nach den Mohammedanern den Tod eines Märtyrers und wird von diesen als solcher verehrt. Diese Moschee, das größte Sanctuarium Aegyptens, ist äußerst schön. Um Vieles höher als unsere Kirchen, ist sie durch Riesensäulen von grauem Marmor und mit goldenen Sprüchen aus dem Koran geziert. Den Boden decken farbenreiche, werthvolle Teppiche. Die grünen Thore des Sanctuariums sind mit silbernen Verzierungen beschlagen. In dieser Moschee wurden die Teppiche verpackt, auf Kameele geladen, um am 20. Schewwal (12. December 1873) nach dem unmittelbar außerhalb der Stadt gelegenen Sandfelde von Abbassijjeh gebracht. Am folgenden Morgen findet die Uebergabe der Machmalschnur statt.

Alle Jahre meldet sich freiwillig ein höherer Officier, das Machmal durch die Wüste zu geleiten und die Machmalsgarde zu befehligen. Früher war dies eine hohe Ehre, und man riß sich darum. Heute mögen die Jüngeren von dieser Strapaze nichts mehr wissen, und es bewerben sich nur noch alte Zeloten um die heilige Mission. Auch jetzt ist der Emir der Pilgerfahrt ein alter Mann, Namens Manuch-Aga. Diesem Manne überreichte der Kronprinz – der Vicekönig mag von solchen Geschichten nichts wissen – die Schnur des Machmals. Dasselbe war durch Soldaten dreimal um den mit Infanteristen und Cavalleristen besetzten großen Plan geführt und dann vor das prächtige Zelt des Kronprinzen geleitet worden, in welchem nebst demselben die Großen des Reichs saßen. Tewsik-Pascha legte die besagte Schnur in Manuch-Aga’s Hände, der Scheich el Bekri, ein Nachkomme Abu Bekr’s und als solcher Haupt sämmtlicher Derwische Aegyptens, sprach ein Gebet und somit war die Ceremonie beendet. Man hatte mich auf langes Beten, wie es die feierliche Gelegenheit heischte, vorbereitet, doch das Gebet des Scheichs el Bekri mußte von sehr kurzem Inhalt gewesen sein, wenn überhaupt eins ausgesprochen worden, sintemalen es keine Secunde dauerte.

Mäßigen Schrittes, von Kanonen und Soldaten gefolgt, trug das edle Kameel das Machmal nach Abbassijjeh. Hier wurde der Baldachin auf den Sand gesetzt und mit einer grünen, mit weißen Schnörkeln benähten Decke, die wieder mit farbigen Lettern (Anpreisungen Allah’s und Mohammed’s) ausgestattet war, verhüllt, damit die Farbe des Machmals nicht unter den glühenden Strahlen der Sonne verschieße. Rings um dasselbe wurde ein grünes Paravent (Windschirm) aufgestellt, durch Stricke befestigt, die schräg in den Sand liefen. Neben dem Machmal stand das Zelt des Chefs aufgeschlagen. Ringsum, in einiger Entfernung, sah man die Zelte der Soldaten, der Proviantmeister, der Schneider und der übrigen Handwerker. Die Karawane nimmt nämlich Leute von jedem Handwerk mit, um allen Bedürfnissen Genüge zu leisten. Ich sah sogar kleine Stiefelputzer.

Drei Tage pflegt die Karawane in Abbassijjeh zu lagern, um die zur Wüstenreise nöthigen Vorbereitungen zu treffen. Am Abende des dritten Tages schlossen sich ihr die Pilger an, die sämmtlich die Nacht daselbst verbrachten, um am folgenden Tage beim Aufbruche der Karawane an Ort und Stelle zu sein.

Da ich den Abzug sehen wollte, bestellte ich gestern meinen schönen Esel, der mich denn heute früh abholte. Sein liebliches Geschrei weckte mich gegen vier Uhr aus den süßesten Träumen. Im Nu war ich angekleidet. In einen dicken Mantel gehüllt – denn hier ist es Morgens und Abends kalt –, schwang ich mich auf das kühne Eselchen. Der Treiber schrie: „Uau!“ und fort ging’s in Galopp durch die engen Gäßchen Kairos. Die Esel vertreten hier die Stelle der Droschken; sie sind hierzulande kräftiger und schöner als irgend anderswo und leisten die trefflichsten Dienste.

Es wurde mir eigen zu Muthe, als ich so durch die dunklen Gassen zwischen hohen Häusern ritt, die das Mondlicht nicht einließen, die hohe Gestalt des dunklen Aegypters an meiner Seite mit seinem schlichten Gewande, das bei jeder Bewegung das Ebenmaß der Glieder verrieth, in der Hand die ägyptische Laterne mit den farbigen Glasscheibchen. Er erzählte mir wundersame Dinge, Alles mit dem gläubigsten Tone, als ob er die Richtigkeit des Behaupteten verbürgen könnte. Wie er einen „Hund von Christen“ vor einigen Tagen einlud, mit ihm zu essen. „Ich bin ein armer Mann,“ sagte er, „aber ich kann nicht essen, wenn der Beistehende nicht mein schlichtes Mahl

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874). Leipzig: Ernst Keil, 1874, Seite 27. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1874)_027.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)