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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874)

Blätter und Blüthen.


Kirchenrock und Soldatenrock. Indem ich bei der Jahreswende mein Kriegstagebuch durchblättere, werde ich wieder lebhaft an eine Begebenheit erinnert, die zu erfahren vielleicht Manchen freuen dürfte.

Vor Straßburg ist’s. Schöne mondhelle Nacht. Kugeln fliegen aus der Stadt und in dieselbe, und Brände zeigen die entsetzlichen Wirkungen. Ich stehe auf Posten; neben mir ein stattlicher Grenadier mit mächtigem Barte, von dem sich bei mir erst schüchterne Versuche zeigen. Natürlich bewegt sich die Unterhaltung in Wünschen und Vermuthungen einer baldigen Uebergabe. Während des Gesprächs nun bemerke ich, wie mein unbekannter Waffengefährte mich beständig scharf prüfend ansieht; auffallend ist noch, daß er den ihm gleichgestellten Cameraden mit ausgesuchter Höflichkeit behandelt. Endlich, nachdem er mit seinen Betrachtungen zu einem Resultate gelangt zu sein scheint, sagt er in seinem Pfälzer Dialekt:

„Erlaawe Se gütigst – ich maan als, ich sott Ihne kenne.“

„Nun ja, mag wohl sein. Woher denn?“

„Ich getrau’ mer’s fast nit zu sage.“

„Immerzu, frisch!“

„Sein Se vielleicht im Unnerland bekonnt?“

„Allerdings!“

„Nu, sein Se nit der Herr Vicar von Schwetzinge?“

„Das war ich in der That, nun aber, wie Sie sehen, Soldat, und zwar Freiwilliger.“

„Ach Gott, Herr Vicar, do hewe Se jo mai Kind gedaaft!“ und die hellen Thränen liefen bei diesen Worten dem harten Krieger von den Wangen, und mir selber schlich Wehmuth in’s Herz hinein. Er drückte mir die Hand und meinte, nun habe er keine Sorge mehr, wenn auch „der Herr Vicar“ mitgehe; er wolle es gleich seiner „Fraa“ schreiben, damit sie beruhigt sei.

Die Ablösung kam. „Gewehr auf! Rechtsum! Marsch!“

„Adjes, Herr Vicar!“ ruft es noch von der andern Seite. Ich kroch in die Wachhütte und träumte wirr von vergangenen und gegenwärtigen Zeiten.

Mein Kriegsgefährte hat somit den Lesern verrathen, wer ich bin. Ein halbes Jahr vor Ausbruch des Krieges, als ich über jede Examenpein schon erhaben war, begann ich in dem badischen Städtchen Schwetzingen als Vicar meine theologische Laufbahn. Als der Ruf zum Kampfe ertönte, ließ es auch mir keine Ruhe zu Hause. Noch zu jung zum Feldprediger, wollte ich doch nicht müßig bleiben und stellte mich mit noch manchen Universitätsfreunden zur Einreihung in das Kriegsheer. Ich achtete es nicht für einen Raub an der Würde meines Berufs, den Kirchenrock mit dem Waffenrocke zu vertauschen, und machte bald in dem reizenden an der Mündung der Tauber in den Main gelegenen Städtchen nach Commando rechtsum und linksum, bis ich so glücklich war, zum eigentlichen Heere in’s Feld zu kommen. Ich hatte noch studentischen Humor genug, in das Lagerleben mich zu finden.

Zum ersten Male wurde ich durch die eben erzählte Begegnung an meine einstige Lebensstellung erinnert und allmählich lernte ich eine Anzahl früherer Zuhörer meiner Kanzelreden kennen, die nicht wenig erstaunt waren, mich nun in gleicher Uniform mit ihnen zu finden, denen ich als letztes Abschiedswort von der Kanzel zugerufen: „Und wenn die Welt voll Teufel wär’, und wollt’ uns gar verschlingen, so fürchten wir uns nicht so sehr – es muß uns doch gelingen!“

Meinen Freund aber von jener Nachtwache fand ich trotz allem Suchen lange nicht mehr. Da kam der für uns Badenser so blutige Tag von Nuits. Des anderen Morgens zogen wir uns auf Dijon zurück. In einem Dorfe war ich so glücklich, ein Stück Brod für meinen Hunger zu erhaschen. Als ich eben mit Behagen dasselbe verzehren will, sieht gar begierig ein Grenadier darnach; natürlich gebe ich ihm ein Stück. Er stutzt; ich kannte ihn im Augenblick nicht, und mein Bart hatte unterdessen höchst kanzelwidrige Fortschritte gemacht.

„Weeß Gott, glaab gar, Sie sinn widder der Herr Vicar.“ – Wie oft er nach mir gespäht und am gestrigen Tag an mich gedacht habe, und wie seine „Fraa“ mich grüßen lasse, das konnte er mir nur in Hast mittheilen. Ein Händedruck und Gott befohlen!

Ich hatte mit ihm schon in anderem Gewande bei feierlichem Anlaß das „Brod gebrochen“, ob nicht auch in diesem Augenblick ein unsichtbares Gotteshaus sich über uns wölbte? Wir lebten noch, und er hatte Weib und Kind zu Hause.

„Friede, Friede!“ – das war Aller Wunsch. Endlich kam er; aber mich sollte die frohe Botschaft im Lazareth treffen. Nach meiner Genesung eilte ich, die alten Freunde in Schw. zu besuchen; nicht zum Mindesten lag mir daran, zu erfahren, was aus dem biedern Grenadier sammt Weib und Kind geworden. Als Munition zur Eroberung des Kindesherzens versah ich mich mit Zuckerbrod. Große Freude! Er lebte noch, war aber noch nicht zu Hause.

Meine Stunden waren gezählt und mußten zwischen so vielen Freunden getheilt werden. Da siehe! wer kommt? Eine Uniform, die wurstförmig aufgebauschten Unterhosen mit den wenigen Habseligkeiten umgehangen. – Er ist es, derselbe! Liebende Arme empfangen ihn in seinem Hause. – Ich selbst kehre freudig zu meinem Beruf zurück, mit doppeltem Eifer nach dem Krieg das Evangelium des Friedens verkündend.

Der ehemalige Grenadier ist für seine patriotischen Verdienste zum Waldhüter ernannt. Ich weile als einsamer Pfarrer in einem schönen Schwarzwaldthale, und wenn ich den hinter meinem Hause sich erhebenden Berg von fast dreitausend Fuß besteige, sehe ich hinaus in die Rheinebene nach dem Straßburg, das wieder unser ist, und denke mit Freuden: „Auch dabei gewesen!

Th. Fingado, Pfarrer.




Ein Vorschlag. Wir erhalten aus Wien folgende Zuschrift, die wir vorläufig ohne alle Weiterbemerkung der Oeffentlichkeit übergeben.

Hochgeehrte Redaction!

Es ist leider eine unleugbare Thatsache, daß jedes Jahr die gräuliche Anarchie in der deutschen Orthographie größere, bedauerlichere Fortschritte macht; die Klagen der Erzieher, Professoren, Literaten sind nicht minder an der Tagesordnung als die Beschwerden des großen Publicums, welches fast bei jedem Autor, bei jeder bedeutenden Zeitung verschiedene, oft ganz willkürliche Systeme nicht nur der Orthographie, sondern auch zuweilen der Grammatik angewendet findet, ohne bisher eine Autorität als allein maßgebend in diesem Wirrwarr zu kennen.

Es ist wahrlich die höchste Zeit, daß dieser schnöde Makel von unserer herrlichen Sprache genommen und auch in dieser hochwichtigen Angelegenheit die Gemeinschaft, die Einigung des glorreichen Deutschlands angestrebt und errungen werde.

Wo es sich um die Ehre Deutschlands handelte, hat die „Gartenlaube“ stets mit Energie entweder selbst den Impuls gegeben oder es verstanden, zur Durchführung einer volksthümlichen Reform, kraft ihrer Verbreitung und ihres gewaltigen Ansehens, thatkräftigst mitzuwirken.

Ich glaube nur das Echo der meisten Ihrer Leser und Millionen Deutscher zu sein, wenn ich die Bitte vortrage:

„Die löbliche Redaction der Gartenlaube möge es für gut finden, mit consequenter Energie dahin zu wirken: daß seitens der kaiserlichen deutschen Reichsregierung eine Commission berufener Professoren und sonstiger Gelehrten, Mitglieder der Akademien etc. aus allen Stämmen (Universitäten) Deutschlands mit der Aufgabe betraut werde, mit thunlichster Beschleunigung eine endgültige, für alle Schulen Deutschlands streng maßgebende grammatikalisch richtige Orthographie aufzustellen, welche, wie es bei der Académie française und der bekannten Sprachreinigungsgesellschaft Crusea in Florenz der Fall war, unbedingte Gesetzkraft für alle öffentlichen Schulen im ganzen Reiche und bei allen Behörden zu erlangen hat.“

Vielleicht wäre auch dadurch eine Präcedenz gegeben zur Errichtung der schon so lang ersehnten allgemeinen deutschen Akademie.

Die kaiserlich-königlich österreichische Regierung, welche mehr als zwanzig Millionen deutsch sprechende oder wenigstens verstehende Einwohner zählt, wäre einzuladen, sich diesem Congreß und seinen Bestimmungen anzuschließen, und dürfte mit Freuden die Gelegenheit benützen, dem schauderhaften Chaos der Orthographie-Usancen in ihren Schulen ein Ende zu machen.

Genehmigen Sie die Versicherung meiner hochachtungsvollsten Ergebenheit.

Wien, 7. Januar 1874.

M– H–.




Kein Hasenherz! Der Hase steht, wie männiglich bekannt ist, bezüglich seines Muthes in nicht sonderlich gutem Rufe, und seinen lateinischen Beinamen, timidus, in der Zoologie verdankt er ja seiner eben nicht geringen Furchtsamkeit; daß aber auch er im Stande ist, furchtlos und muthig aufzutreten, wenn es die Vertheidigung seines theuersten Besitzes gilt, dürfte der nachstehend mitgetheilte Fall zur Genüge zeigen.

Einsender dieses war vor einigen Jahren in einem kleinen Dörfchen an dem östlichen Abhange des Westerwaldes in der Nähe des gewerbreichen Städtchens Haiger als Lehrer in Thätigkeit; die freien Nachmittagsstunden benutzte er meistentheils zu Spaziergängen in der nicht uninteressanten Umgebung und richtete dieselben so ein, daß er unterwegs mit einem Freunde, der als Geometer mit der Consolidation der Gemarkung des Dörfchens beschäftigt war, zusammentraf. Wir Beide, mein Freund und ich, waren denn eines Nachmittags aus ganz geringer Entfernung Zuschauer eines Kampfes, der zwischen einem Hasen und einem Raben auf freiem Felde entbrannte. Der Rabe umkreiste beständig die Stelle, in deren Besitz sich der Hase befand und an deren Eroberung ihm außerordentlich viel gelegen schien; der Hase, als Inhaber der gewünschten Position, schien aber nicht gewillt, dieselbe aufzugeben. Die größtmöglichsten Anstrengungen wurden von dem Raben gemacht, den Hasen zu vertreiben, über ihn wegfliegend, ihn dicht umkreisend, suchte er ihn durch Flügelschläge und Schnabelhiebe zur Flucht zu bewegen; mit der größten Gewandtheit und Kaltblütigkeit parirte der Hase und behauptete den Plan.

Nachdem dieses Kämpfen einige Minuten gedauert hatte, schien der Rabe die Erfolglosigkeit seiner Bemühungen einzusehen und ließ vom Kampfe ab, aber nur, um mit List Das zu erreichen, was er durch Gewalt nicht erlangen konnte. Er setzte sich, nicht weit von dem Lager des Hasen entfernt, auf die Erde, zu welchem Zwecke, sollten wir gleich sehen. Hatte sich nämlich der Hase bisher blos auf die Vertheidigung beschränkt, so ging er jetzt – wir trauten unseren Augen kaum – zum Angriffe über, offenbar willens, seinen lästigen Feind ganz aus dem Felde zu schlagen. Der Rabe, dessen Absicht augenscheinlich erreicht war, flog auf und war blitzschnell an dem von dem Gegner so sehr vertheidigten Punkte; letzterer aber, ebenso schnell hinter ihm drein jagend, hatte ihn rasch wieder vertrieben. Dieses aufregende Schauspiel hatte beinahe zehn Minuten Zeit in Anspruch genommen; da gab der Rabe den Kampf auf und ließ den Meister Lampe als Sieger auf dem wohlvertheidigten Schlachtfelde zurück. Und was war es, das den schwachen Hasen für einige Zeit alle Furcht bei Seite setzen ließ und ihm die Kraft gab, mit einem überlegenen Feinde siegreich zu kämpfen? Die Liebe zu seinen Jungen, denn diese waren es, die er gegen einen frechen Räuber vertheidigte.

Bad Ems.

Wilh. Eberling.


Verantwortlicher Redacteur Ernst Keil in Leipzig. – Verlag von Ernst Keil in Leipzig. – Druck von Alexander Wiede in Leipzig.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874). Leipzig: Ernst Keil, 1874, Seite 52. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1874)_052.jpg&oldid=- (Version vom 28.10.2018)