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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874)

Hexenthürme, die wir noch hier und da auf deutscher Gau finden. Angesichts derselben fühlen wir uns mit Freude und Dankbarkeit darüber erfüllt, daß wir einem aufgeklärteren Jahrhundert angehören und Kinder einer in dieser Beziehung jedenfalls besseren Zeit sind.

Ein solches Schreckensdenkmal früherer Epochen wird in einem der anmuthigsten Thäler der Wetterau, im Dorfe Lindheim, aufbewahrt. Im Lindheimer Pfarrhause beglaubigen eine alte Chronik und vergilbte Documente die vor zwei Jahrhunderten daselbst geschehenen Thaten der Barbarei. Der wundervolle Park des stattlichen Lindheimer Herrenhauses umgiebt jetzt dieses schauerliche Denkmal der Vorzeit, einen alten Hexenthurm. Wie friedlich sich auch in nur geringer Entfernung von demselben die kleine Dorfkirche erhebt, wie reizend und freundlich die ganze herrliche Umgebung, durchströmt und durchfluthet vom hellen, warmen Sonnenglanz, sich im vollen Schmuck des Sommers auch zeigt, jene düstern alten Mauern breiten über alle Pracht und allen Zauber der Natur einen finsteren Schatten, und ihr Anblick bedrückt geradezu gewaltsam Seele und Geist. Vergebens beschwören wir sie herauf, die besseren Erinnerungen, die jenes alte Herrenhaus umwehen; vergebens erzählt man uns so viel von des Schlosses früheren Besitzern, dem edlen und vortrefflichen Gutsherrn von Schrautenbach, dem Freunde und Gönner des Grafen Nicolaus von Zinzendorf, und vielen anderen berühmten Männern, die im Anfange des vorigen Jahrhunderts dort so oft weilten und deren Namen im Dorfe unvergessen blieben; vergebens nennt man uns unter jenen Gästen des Herrenhauses die Namen des berühmten Spener, der Grafen von Stolberg und Isenburg, Zinzendorf sowie Anderer – die Berichte über den Lindheimer Hexenthurm sind so furchtbar und entsetzlich, daß ich nur mit bebender Hand die trostlose Stätte gezeichnet und unter der Beschäftigung mich immer und immer wieder am Blau des Himmels, am unendlichen Reiz der ganzen poesievollen Umgebung erquicken mußte, um das alte Schreckensdenkmal nur auf’s Papier bringen zu können.

Ja, in jenem Thurme, den jetzt die Ranken des üppigsten Schlingkrauts umwinden, den prachtvolle Bäume schattend umstehen, ketteten die Gewalthaber des Gesetzes von 1663 und 1664 die Unglücklichen, die man der Hexerei beschuldigte, an den Wänden an, so daß sie in schwebender Stellung entsetzliche Qualen litten. Sie durften bei der grausamen Execution des Verbrennens keinen Boden unter den Füßen haben, weil der Ueberlieferung zufolge eine verbrennende Hexe durch Berührung der Erde neuen Zauber säete. Jenes kleine Bogenfenster in der Mauer des Thurms, das heute so romantisch in den schattenreichen Park hineinschaut, diente ehemals als Zugloch und mußte jenes furchtbare Feuer in loderndem Brand erhalten, über dem unschuldige Menschen, den Aberglauben ihrer Zeit büßend, unter Höllenqualen ihren Geist aufgaben.

Wie auf unglaubliche Geschichten, blicken wir auf die Blätter in Lindheims Chronik, die über jene Jahre berichten, wo ein Amtmann Namens Geis in dem Dorfe regierte. Dieser Blutmensch brachte, theils um sich zu bereichern, theils um persönliche Rache zu befriedigen, seine Mitbürger als der „Hexerei und Zauberei“ Verdächtige in’s Gefängniß und ließ sie foltern und verbrennen. Wohlweislich hatte er sich zu seinen Schandthaten die Erlaubniß der Obrigkeit, der Burgherren und Ganerben – d. h. der zu gemeinsamem Zwecke, zu Schutz und Trutz verbundenen Burgherren, welche die Gerichtsbarkeit in Händen hatten – von Lindheim eingeholt. Daß sie aber auf seine Eingabe und Bitte um Vollmacht eine zustimmende Antwort ertheilten, ist ein Beweis dafür, eine wie entsetzlich abergläubische Verblendung damals auch in den höheren Kreisen herrschte. Amtmann Geis sagt in jener beglaubigten Urkunde vom 31. December 1662 wörtlich: „daß das leudige Zauberwerk wiederum in Lindheim stark im Schwange sei, daß ein Schmiedsgeselle an einem Trunke gestorben, den man ihm gebracht habe“, setzt dann hinzu: „wenn die hochadligen Gestrengen Lust zum Brennen hätten, wie schon anno 1650 geschehen, die Bürgerschaft das Holz liefern würde“, und deutet an, „daß das Vermögen der schuldig Befundenen nicht nur ausreichen würde, Brücke und Kirche gut in Stand zu setzen“, sondern auch „der Gestrengen Diener besser zu besolden“. Den Schluß des interessanten Briefes, in dem keine Silbe den Gesetzen der Orthographie gerecht wird, bilden die Worte: „Erwarten derowegen von Ew. hochadlige Gestreng gnädige Einsicht und Verordnung in dieser Sachen.“

Die umgehende Antwort lautet:

„Wir Baumeister und Ganerben des Schlosses Lindheim thun kund und bekennen kraft dieser Vollmacht, daß wir unseren getreuen Amtmann Georgium Ludovicum Geisium auf sein bittliches Fürstellen, wie das leudige Zauberwerk, so wir Anno 50 mit Feuer und Schwert zu vertilgen gemeint, wiederum Ueberhand genommen, ermächtigt haben, nach Kaiser Caroli V Halsordnung zu verfahren und das Hexengeschmeiß auszutilgen. Alles zu unserer getreuen Unterthanen Nutz und zur Ehr’ des dreifaltigen Gottes.

Johann Hartmann von Rosenbach. Franz Christoph von Rosenbach. Henrich Herrmann von Oynhausen. Franz Rudolph von Rosenbach.“

Wohlthuend berührt uns in dieser Zeit der Verblendung, daß bereits Einige der Ganerben sich von einer derartigen Vollmacht ausschlossen und ihre Unterschrift versagten. Mit Bewunderung aber erfüllt uns geradezu das Benehmen Einzelner in der unglücklichen Opferschaar, der Muth, der Heroismus, mit dem sie die entsetzlichsten Qualen, den schrecklichsten Tod ertrugen, ohne ein Zugeständniß ihrer Schuld zu machen. Oft genügte schon die einfache Angabe eines Anderen, den sie der Zauberei anklagten, um sich selbst zu befreien und zu retten – dennoch starben Viele unter den Unglücklichen den Tod in den Flammen, ohne daß alle Martern sie hätten bewegen können, die eigenen Qualen den Mitmenschen aufzuerlegen.

Zu den Ganerben zählten die Familien Buches, Stockheim, Wolf von Wolfskehl, Schelmen von Bergen, Rosenbach, Pfrauenheim, Weiß von Fauerbach, von Büdingen, von und zu der Heese, Wallenstein, Reifenberg und viele andere noch jetzt in Oberhessen vertretene adelige Geschlechter. Mit besonderer Auszechnung nennt die Chronik von Lindheim indessen den Namen des Junkers Hans von Heese, welcher damals die Burg zu Lindheim bewohnte. Gleich guten Klang hat der Name seiner Tochter Bertha, von der wir später hören werden.

Durch die Vermittelung des Junkers von der Heese kam nun zwar zur Zeit von Lindheims Noth und Schrecken ein Abgesandter der Ganerben auf die Burg, um dem Unwesen zu steuern und Ungerechtigkeiten des blutdürstigen Amtmanns zu verhindern. Der Erwählte, ein Junker von Grünrodt, wurde indessen vom Amtmann gegen die Hexen und Zauberer eingenommen; er scheint alles Angeordnete gerecht und natürlich gefunden zu haben, denn den Urkunden zufolge that er keiner der Barbareien Einhalt, sah dem Foltern sogar zu, ging auf die Jagd und lachte seine einstmalige Spielgefährtin, die schöne Bertha, aus, weil sie sich die Strafe der Hexen zu Herzen nahm.

Viele Einwohner Lindheims suchten sich durch die Flucht vor dem Geschicke eines martervollen Todes zu retten, das Jeden zu bedrohen anfing, denn bald schon begnügte sich der Amtmann nicht mehr, alte Frauen zu verbrennen, nein, auch Männer wurden als Mitschuldige der Hexen erklärt, junge Mädchen und Frauen der Zauberei beschuldigt und sogar die kleinsten Kinder so lange nicht mit Foltern verschont, bis Rechtsgelehrte zu Büdingen, Fulda und Rinteln, die man über „die Gefahr, Hexenkinder zu schonen“, zu Rathe herbeizog, deren Unschuld nachwiesen und nur geboten: „durch vielstündiges Beten die List und Macht des bösen Feindes in ihnen zu brechen“. Die Lindheimer opferten nun lieber Habe und Gut, Haus und Heimath, um sich und ihre Kinder dem Amtmanne zu entziehen, und flüchteten in Berge und Steinbrüche, wo sie durch Barricaden, so gut es ging, Blut und Leben zu schützen suchten.

In dem vom damaligen Geistlichen des Orts geführten Buche befindet sich eine Stelle, die den klarsten Einblick in die Lage und Verhältnisse gewährt und über die Schreckensjahre von 1663 und 1664 berichtet. Sie lautet:

„Von der Bürgerschaft habe ich seit drei Tage Niemand gesehen; aus dem Dorfe kommt keine Menschenseele über die Brücke in die Burg, wenn nicht der Büttel eine Hexe vorüberschleppt. Sie haben schon zu Asche verbrannt Heinrich Kuhn’s Frau, den Bierbrauer und sein Weib und Wöppel. Bin nicht bei der Execution gewesen, sondern habe mit den armen Hexenleuten gebetet, ehe sie abgeführt wurden. War auch Niemand

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874). Leipzig: Ernst Keil, 1874, Seite 78. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1874)_078.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)