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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874)

Vom Gewürzkrämer zum Künstler.


In der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts stand es bekanntermaßen mit den zeichnenden und malenden Künsten recht schlimm. Nicht als ob es den damaligen Künstlern an technischer Gewandtheit und an akademischen Studien gefehlt hätte. Im Gegentheil, aber die Unnatur, die Hohlheit und Affectation der Zopf- und Rococozeit hatten das Gefühl für die naive Wiedergabe der Natur und das Verständniß für das eigentlich Seelische verloren gehen lassen. Zwar gab es einzelne Künstler, die den ernsten Willen hatten, sich von der Geschmacklosigkeit ihrer Zeit loszusagen, so der talentvolle Dietrich, der theoretisch und praktisch tüchtig geschulte Raphael Mengs, die begabte Angelika Kaufmann und einige Andere. Aber theils fehlte es ihnen an eigenartiger schöpferischer Kraft, theils waren ihre Vorstellungen denn doch immer noch zu befangen von dem Einflusse ihrer Zeit. Nur einer, Daniel Chodowiecki, der lange Zeit die Kunst nur als dilettantische Nebenbeschäftigung übte, erkannte mittelst seines feinen künstlerischen Gefühls, daß in der naiven, ungezierten und ungeschminkten Auffassung der Natur und des seelischen Ausdrucks nicht nur ein großer Reiz, sondern auch der Kernpunkt jedes wahren künstlerischen Strebens liege. Wenigstens in allen seinen Darstellungen aus dem wirklichen Leben bleibt er dieser Erkenntniß mit hingebender Innigkeit treu. Und Diese sind es denn auch, an denen sich heute noch alle Kunstfreunde und -Kenner ergötzen.

Daniel Chodowiecki wurde zu Danzig am 16. October 1726 geboren, verlebte auch dort seine Jugendzeit bis zu seinem siebenzehnten Jahre. Sein Vater war Kornhändler, muß aber kein gewöhnlicher Kornhändler gewesen sein, denn er ertheilte seinem Sohn den ersten Unterricht im Zeichnen. Auch ist es für seinen altbürgerlichen, patriarchalischen Charakter bezeichnend, daß er bei der Geburt seiner beiden Söhne für jeden einen Baum vor seiner Hausthür pflanzte und diese Bäume wie seine Söhne taufte, den einen Gottfried, den anderen Daniel. Sie standen noch, frisch und kräftig, als Daniel bereits ein Fünfziger war. Ueberhaupt muß in der ganzen Familie ein sinniges Wesen und eine künstlerische Neigung obgewaltet haben. So unterrichtete Daniel’s Tante, eine Schwester seiner Mutter, ihn und seinen Bruder Gottfried in der Emailmalerei. Doch wurde diese nur als eine nicht ganz unerträgliche Nebenbeschäftigung betrieben, und nach seines Vaters Tode mußte Daniel als Lehrling in das Specereigeschäft einer Wittwe treten.

So vom Morgen bis zum Abend hinter dem Ladentisch zu stehen, bald Kaffee und Zucker, bald Grütze und Pflaumen und was Alles sonst noch abzuwiegen, scheint allerdings nicht die befriedigendste Beschäftigung für eine junge Künstlerseele zu sein. Doch Ausharren führt mitunter auch unter den ungünstigsten Verhältnissen zum Ziel und auch die prosaischste Seite des Lebens hat ihr Theilchen Seele, das sich künstlerisch oder poetisch verwerthen läßt. Das mochte auch Daniel im Stillen gedacht haben, der trotzalledem mit seiner künstlerischen Sehnsucht nicht brechen konnte. Und wirklich sprach der Beruf zu laut in ihm. Wenn endlich die Erlösungsstunde schlug, wenn am Abend der Laden geschlossen wurde und der lange Abendsegen gesprochen war, eitle er auf sein Stübchen und zeichnete so lange, bis das Talglicht niedergebrannt oder die Augen schlaftrunken den Dienst versagten. Anfangs hatte er nach Kupferstichen gezeichnet, dann aber, als diese nicht mehr zu erlangen waren, machte er sich an seine lebende Umgebung, an die Kunden des Geschäfts, denen es an Verschiedenheit und Eigenthümlichkeit der äußeren Erscheinung nicht gefehlt haben wird, auch an die Principalin selbst. Kurz, Alles wurde gezeichnet und zu zeichnen versucht, was irgend wie dazu geeignet schien. Seinem aufmerksamen, stets beobachtenden Auge entging nichts. Sogar während der Predigt in der Kirche folgte er diesem Trieb, indem er sich die Bilder an den Wänden dadurch in’s Gedächtniß zu prägen suchte, daß er ihre Umrisse mit dem Finger in der Handfläche oder auf dem Deckel des Gesangbuchs wiederholt nachahmte, um sie zu Hause aufzeichnen zu können. Ohne Zweifel haben gerade diese frühen Uebungen des Formgedächtnisses nicht wenig dazu beigetragen, seinen Blick für das Charakteristische an den Dingen zu schärfen; denn um sich eine Form einzuprägen, muß man sich zunächst Dasjenige besonders merken, was sie am meisten von anderen Formen unterscheidet, was beim Künstler bald bewußt, bald unbewußt geschieht, je nach der Eigenartigkeit der Begabung.

Ein Glück für ihn war es, daß er 1743 nach Berlin kam, wo er bei seinem Onkel Ayrer als Buchhalter eintrat. Dieser bekam alsbald eine sehr günstige Meinung von seinen künstlerischen Anlagen und gab ihm den Maler Haid zum Lehrer, unter dessen Einfluß bei ihm der Entschluß reifte, dem kaufmännischen Berufe zu entsagen und sich ganz der Kunst zu widmen – im achtundzwanzigsten Lebensjahre immerhin ein gewagter Schritt, besonders unter seinen Verhältnissen, denn die Tochter des Berliner Goldstickers Barez, die schöne Jeanne, hatte bereits sein Herz so sehr gefesselt, daß er ernstlich daran dachte, sie zum Altar zu führen. Daniel war ein energischer, beharrlicher Charakter. Er führte durch, was er sich vorgenommen. Ueber seine Liebe vergaß er nicht seine Kunst und über seine Kunst nicht seine Liebe. Den Tag über malte er lediglich für den Broderwerb Emailbilder – zum Schmuck der Dosen – und Miniaturbildnisse von zarter und sauberer Behandlung, Abends aber zeichnete er in der Privatkunstschule von Rode nach dem lebenden Modell. Und was ihm dann noch von Mußestunden verblieb, verwendete er auf seine wissenschaftliche Ausbildung und die Erlernung fremder Sprachen.

Mitten in diesem Werden und dieser vielseitigen Thätigkeit – 1755 – verheirathete er sich. Nun galt es erst recht zu schaffen und zu streben, um den vermehrten häuslichen Bedürfnissen zu genügen, ohne die höheren Ziele der Kunst darunter leiden zu lassen. Recht schwer mag ihm dies geworden sein, als im folgenden Jahre der siebenjährige Krieg ausbrach. Halbe Nächte hindurch saß er bei der Arbeit, bemüht durch verdoppelten Fleiß den Ausfall in seinen Einnahmen auszugleichen. Gewiß ist dies bei anderen Arbeiten leichter als bei künstlerischen, welcher Art von Kunst sie auch angehören mögen. Man soll ihnen nicht die Noth und Sorgen ihres Schöpfers, nicht einmal das Mühevolle ihrer Herstellung anspüren. Aus der vollen unbekümmerten Hingebung an den Gegenstand, aus der heiteren, friedensseligen Weihestunde des Geistes sollen sie hervorgegangen scheinen, und müssen es auch sein; dazu bedarf der Künstler in hohem Grade der Kraft, in den Stunden seines Schaffens nur seinem inneren Wesen zu leben und sich von Allem zu isoliren, was ihn darin stören könnte.

Daß dies oft seine argen Schwierigkeiten hat und daß der Künstler trotz seines heiligsten Strebens so gut wie andere Menschenkinder auch den maßgebenden Factoren des äußeren Lebens Rechnung zu tragen gezwungen ist, wird auch der höchstfliegende Idealist zugeben müssen, ja, er wird es in der Ordnung finden. Auch unser Daniel Chodowiecki ist ohne Zweifel oft in dieser Lage gewesen. Aber er war eine praktische Natur und wußte sich zurecht zu finden. Er hatte ja in seiner kaufmännischen Carrière Buchhalten gelernt und kannte den großen Unterschied zwischen Soll und Haben und die außerordentlich wichtige Rolle, die diese Beiden im irdischen Dasein spielen. Er zeichnete und radirte, was die Zeit brachte und wie sie es brachte, wenn es nur irgendwie ein Stück Leben eigenthümlicher Art bot. So stach er während des siebenjährigen Krieges eine Menge kleinere und größere Episoden aus den Zeitereignissen und Tagesbegebenheiten, darunter die russischen Gefangenen in Berlin, ein jetzt sehr seltenes Blatt. Aus den an sich unbedeutendsten Motiven wußte er durch seine Auffassung und geistvolle Zeichnung reizende Kunstblätter, bald gemüthlicher, bald graciöser, bald humoristischer Art, zu machen. Hier ist es ein alter lesender Bauer, dort sind es Bettelbuben und Soldatenweiber, Herumtreiber und Würfelspieler, die er uns vorführt; ein anderes Mal elegante hochfrisirte Frauen mit Reifrock in überaus zierlicher Tournüre, daneben nicht minder zierliche Herren mit Haarbeutel und Chapeauclaque; dann wieder Soldaten, Kammermädchen, Bedienten und Kinder in der Tracht seiner Zeit. Und gerade diese meist kleinen, mit der Radirnadel ausgeführten Arbeiten sind es, die ihn in sein eigentliches Gleis brachten.

Fast zehn Jahre hatte er in dieser Weise gearbeitet, als er sich zu einem Gegenstande von größerem Umfange hingezogen fühlte, der schon an sich durch das höchst Tragische und Rührende

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874). Leipzig: Ernst Keil, 1874, Seite 80. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1874)_080.jpg&oldid=- (Version vom 27.8.2018)