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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874)

No. 6.   1874.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Herausgeber Ernst Keil.

Wöchentlich bis 2 Bogen.    Vierteljährlich 16 Ngr. – In Heften à 5 Ngr.



Die zweite Frau.
Nachdruck verboten und
Uebersetzungsrecht vorbehalten.
Von E. Marlitt.


(Fortsetzung.)


9.


„Mama,“ sagte Leo und reckte seine kleinen Arme schmeichelnd zu ihr empor, „ich will artig sein und nie wieder nach der Berger schlagen, aber lasse mich auch neben Dir sitzen!“

Sie nahm ihn an ihre Seite, unbekümmert um den Zornblick, der vom Kamin herüberfuhr, und machte ihm das Frühstück zurecht. Da trat Baron Mainau durch die gegenüberliegende Thür ein. Er blieb einen Augenblick mit sichtlicher Befriedigung an der Schwelle stehen. So war es recht, so hatte er die neue Herrin von Schönwerth gewünscht. Da saß sie, im züchtig am Halse schließenden Battistkleide, unscheinbar, auffallend blaß und farblos neben dem prächtig blühenden Knabengesicht, und von dem hellen Wandgetäfel hob sich das Haar roth, entschieden roth ab. … Gestern hatte ihm die imposante, anspruchsvolle Erscheinung förmlich bange gemacht. Die reizvolle Gestalt mit dem selbstbewußt getragenen, goldflimmernden Köpfchen und den entschiedenen Worten auf den Lippen hatte ihn erschreckt; sie war nichts weniger als der hochaufgeschossene, unbedeutende Rothkopf, jenes stille Mädchen mit dem furchtsamen Gemüth gewesen, wie er es für sich und die ganzen Verhältnisse in Schönwerth als einzig passend ausgesucht. Diese unliebsame Entdeckung hatte ihm bereits schwer zu schaffen gemacht und ihn bis zu diesem Augenblick mit geheimem Verdruß und Aerger darüber erfüllt, daß er doch wohl von der alten, geriebenen Erlaucht in Rudisdorf überlistet und nun an eine hochmüthige, anspruchsvolle Frau gebunden sei, die, auf ihre lange Ahnenreihe und äußere Vorzüge pochend, ihm seine sorglich reservirte Freiheit verkümmern könne. … Nun sah er sie wieder in Amt und Würden als Hausfrau von so bescheidenem Aeußern, daß selbst die durchaus nicht hübsche Gouvernante ganz passabel neben ihr erschien. … Sie hatte seinen Knaben an ihrer Seite, und der grillige Onkel schien gut verpflegt zu sein.

Mit heiterem Morgengruß kam er rasch näher. Es war, als ströme die ganze Farbengluth und Frische des jungen Sommertages mit ihm herein, so übermüthig, kraft- und lebenathmend schritt der schöne Mann durch den weiten Saal. Niemand empfand das wohl tiefer, als der kranke Mann im Rollstuhl; er zog die feinen Brauen tief zusammen, und ein schmerzlicher Seufzer hob seine Brust – seine gallige Laune wurde dadurch sicher nicht gebessert.

„Nun, Raoul, wie viel von Deinen gerühmten Prunus tribola-Stämmchen stehen noch in den neuen Anlagen?“ fragte er spöttisch nach dem Neffen hinüber, der eben die Hand seiner jungen Frau leicht mit den Lippen berührte – ein Schatten flog über seine breite, weiße Stirn, dann aber lachte er.

„Diese Schlauköpfe – ‚nur ein Häuschen‘ haben sie bauen wollen, und dazu waren ihnen meine prächtigen Prunus gut genug,“ sagte er mit leichtem Humor. „Sie sind glücklicher Weise in dem Moment erwischt worden, als sie Miene machten, das stattlichste Exemplar, meinen Liebling, zu annectiren – der Schaden ist im Ganzen unbedeutend –“

„Er ist nicht unbedeutend, und wenn sie auch nur einen Zweig abgeknickt hätten,“ unterbrach ihn der Hofmarschall heftig. „Es ist weit gekommen. So lange ich auf den Füßen stand, hätte Keiner gewagt, auch nur ein Blatt anzurühren – diese freche Brut mußte gestraft werden, exemplarisch gestraft werden. … Ich hätte die Reitpeitsche in der Hand haben müssen.“ …

„Ich habe keinen Genuß dabei, solch ein heulendes, kleines Ding zu schlagen, und der Junge war mir zu blaß,“ sagte Baron Mainau langsam und nachlässig, wobei er in eines der Fenster trat – welch ein Contrast zwischen dem angenommenen Phlegma des sonst so ungestümen Mannes und dem sprudelnden Grimm seines Onkels! … Tiefgereizt wandte der alte Herr den Kopf nach dem Neffen, der mit den Fingerspitzen leise auf den Scheiben trommelte.

„Das sind so humane Anwandlungen, die von Gevatter Schneider und Schuster wüthend applaudirt werden – mit ihnen wird man allerdings über Nacht populär – bei seinen Standesgenossen macht man sich einfach lächerlich,“ warf der Hofmarschall hin.

Baron Mainau ließ die Finger auf den Scheiben weiter spielen; aber das Blut stieg ihm in das Gesicht.

„Mein lieber Raoul, als ich vorhin die allerliebste Scene im Hofe mit ansah, da kam mir mit lebhaftem Erschrecken der Verdacht, es sei doch wohl wahr, was man Dir nachsagt.“

„Und was sagt man mir nach?“ fragte Baron Mainau, indem er sich umwandte.

„Eh – nicht heftig werden, mein Freund!“ begütigte der Onkel – der schöne Mann dort stand plötzlich so gebieterisch und Rechenschaft heischend im Rahmen der Fensternische. – „Deine Ehre schädigt es weniger, Du verfällst – wie gesagt – einfach dem Fluch der Lächerlichkeit, wenn Du einen notorischen Verbrecher aus Humanitätsrücksichten entwischen lässest – dem Strolch, dem Hesse, der seit Jahren den Schönwerther Forst

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874). Leipzig: Ernst Keil, 1874, Seite 89. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1874)_089.jpg&oldid=- (Version vom 30.5.2018)