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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874)

No. 8.   1874.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Herausgeber Ernst Keil.

Wöchentlich bis 2 Bogen.    Vierteljährlich 16 Ngr. – In Heften à 5 Ngr.



Die zweite Frau.
Nachdruck verboten und
Uebersetzungsrecht vorbehalten.
Von E. Marlitt.


(Fortsetzung.)


„Ich muß etwas zur Sprache bringen, was mich tief verlegen macht,“ fuhr der Hofmarschall affectirt zögernd fort – er räusperte sich und strich mit der Hand über die Oberlippe, als wolle er in seiner Verlegenheit einen Bart streichen, der nicht vorhanden war; dabei aber funkelten seine kleinen, geistvollen Augen die junge Frau fest und gleichsam behexend an wie die furchterweckenden Lichter des heimtückischen Katzengeschlechts. „Uebrigens sind wir ja ganz unter uns, meine beste kleine Frau, und es wird nie über diese Wände hinausdringen, daß Sie sich in einem kleinen Irrthume befunden haben – wie ich vermuthe.“ Langsam griff er in die Brusttasche seines Fracks und nahm eine kleine Schmuckkapsel heraus. „Dieser Gegenstand fiel mir entgegen, als ich, ärgerlich über die Ungeschicklichkeit unserer Leute, das Kistchen ein wenig zu hastig aufnahm.“ Sein feiner Zeigefinger mit dem tief einwärts gekrümmten bleichen Nagel drückte auf die Mechanik und der atlasgefütterte Deckel sprang auf. Ein schöner Amethyst, von kleinen Brillanten umgeben, ließ sein rothblaues Feuer aufsprühen. Die Steine waren in Rosettenform gefaßt, um als Brosche oder auch am Halsbande getragen zu werden.

„Verzeihen Sie, wenn ich mich irre,“ sagte er, ihr den Schmuck hinhaltend, fast sanft, „aber ich wollte d’rauf schwören, daß ich diese hübsche, kleine Rosette oft am Halse meiner Tochter gesehen habe – ist es nicht ein Stück aus Raoul’s Familienschmucke?“ –

„Nein,“ versetzte Liane vollkommen ruhig und nahm die Rosette von der dunkeln Sammetunterlage – sie schob die Goldplatte auf der Rückseite weg. Das Wappen Fürsten von Thurgau kennen Sie jedenfalls, Herr Hofmarschall – haben Sie die Freundlichkeit, sich zu überzeugen, daß es hier im Innern der Rosette eingravirt ist. Ich habe sie von meiner Großmama, väterlicherseits, geerbt – Sie werden sich dabei sagen müssen, daß dem Enkelkinde dieser Prinzessin von Thurgau ein derartiger Mißgriff, oder, wie Sie ‚vermutheten‘, Irrthum, ganz unmöglich ist …“

„Um Gott – liebe, kleine Frau,“ rief er, jetzt mit einer wirklichen Verlegenheit ringend, „habe ich mich denn so ungeschickt ausgedrückt, daß Sie mich so total mißverstehen konnten? Unmöglich! Man kann doch nicht etwas aussprechen, woran die Seele nicht denkt. Uebrigens hatte ich ja immerhin Recht, wenn ich an einen Irrthum, das heißt eine Verwechselung glaubte – in unserem Hause existirt in der That dasselbe Schmuckstück.“

„Ich weiß es – der Koffer mit Raoul’s Familienschmucke steht in meinem Ankleidezimmer; ich habe bald nach meiner Hierherkunft die einzelnen Stücke mit dem Verzeichnisse verglichen.“

„Das heißt, Sie haben sofort Besitz ergriffen, was ich Ihnen keinen Augenblick verdenke, meine Gnädigste. Angesichts dieses Reichthums haben Sie ferner vollkommen Recht, wenn Sie die Brosamen einstiger Herrlichkeit an Ihr Haus, respective an Ihre Schwester Ulrike zurückverschenken – Sie brauchen sie nicht mehr, und ihr werden sie willkommen sein.“

Eine grenzenlose Erbitterung lag in diesen Tönen, der abscheulichste Hohn in dem Lächeln, das die Lippen des alten Herrn häßlich verzog. Liane rang hart mit sich selbst, um keine Thräne im Auge ankommen zu lassen – sah er diesen Zeugen einer inneren Niederlage, dann war sie verloren. Sie nahm das Kistchen vom Fußboden und stellte es auf den Rococoschreibtisch „mit den Raritätenkästen“, neben welchem der alte Herr saß.

„Sie irren, Herr Hofmarschall,“ erwiderte sie, ihm fest in das Gesicht blickend, „ich werde das Andenken Ihrer Frau Tochter ehren und die Juwelen, mit denen sie sich geschmückt hat, nie tragen. Ich habe sie nur revidirt, weil ich für ihre Vollständigkeit einstehen muß. … Sie irren ferner, wenn Sie meinen, ich schicke den Schmuck nach Rudisdorf, um mit ‚diesen Brosamen einstiger Herrlichkeit‘ meine Schwester zu schmücken – meine Ulrike, wie würde sie lächeln bei diesem Gedanken!“ – Sie stemmte ein auf der Tischplatte liegendes Papiermesser zwischen das Kistchen und den Deckelrest und hob den letzteren ab. Mit hastigen Händen nahm sie einen Stoß Fließpapier voll getrockneter Pflanzen heraus und legte ihn seitwärts, ebenso einen in Seidenpapier gehüllten flachen Gegenstand, anscheinend ein Bild – dann drehte sie das leere Kistchen um und klopfte mit der Hand leicht auf den Boden desselben. „Außer dem Erbstücke von meiner Großmama enthält es nichts von klingendem Geldeswerthe,“ sagte sie herb, mit fliegendem Athem, und sah stolz auf den Mann mit der ordinären Denkweise nieder, dem jetzt doch ein leichtes Roth der Beschämung über die fahlen Wangen huschte – diese Züchtigung hatte er vollkommen verdient.

Gott im Himmel, wozu diesen Beweis?“ rief er. „Soll ich um Vergebung bitten, wo es mir nicht eingefallen ist, zu beleidigen? Wie könnte ich mir je anmaßen, Zweifel in Ihre Wahrhaftigkeit zu setzen! … Ich glaube Ihnen stets auf’s Wort, meine Gnädigste, glaube Ihnen Alles, selbst wenn Sie

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874). Leipzig: Ernst Keil, 1874, Seite 121. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1874)_121.jpg&oldid=- (Version vom 31.1.2019)