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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874)

den Winden ausgesetzte und daher kältere Tafel abscheidet, und den häufigeren, wo sich der Dampf in Masse als Flüssigkeit niederschlägt und erst dann gefriert. Im ersteren Falle, der nur in ungeheizten Zimmern bei stärkerer Kälte eintritt, gleichen die Krystallbildungen dem Reife, zierliche Bäumchen auf trockenem Glasgrunde bildend. Im zweiten häufigeren Falle sind die Eisblumen glasiger und aus längeren Nadeln gebildet. Man sieht dieselben häufig auf dem feuchten Grunde ziemlich schnell vorwärtswachsen, und kann hier recht studiren, wie die ersten Krystallnadeln die Lage und Richtung der folgenden bestimmen. Da diese Krystallisation gewöhnlich am untern Fensterrande, wo sich die erste Feuchtigkeit sammelt, beginnt, so wachsen die Eispflanzen hübsch vom Grunde aus, wie es sich gehört, und nicht von den Seiten, und obwohl es nicht ein und dieselben Krystallnadeln sind, die vom Grunde bis zum obern Rande der Scheibe wachsen, so scheinen sie doch alle von diesen untern auszustrahlen, da sie von ihnen in ihrer Bildung und Lage bestimmt wurden. Daraus entstehen dann oft überraschend schöne Palmen- und Schilfdickichte, der Traum des Winters vom Frühling, wie Gaudy singt:

Der Blumen Dolden schmiegen sich an’s Fenster
Starr, wunderseltsam, silberhell am Saum,
Sie sind der todten Blüthen Eisgespenster,
Sie sind des Frühlings, des verschlafnen, Traum.

Oder wie es ein österreichischer Dichter ausgedrückt hat:

Der Schmuck, den unsrer Fenster
Befrorne Scheiben tragen,
Das sind der Blumen Gespenster,
Die ihren Mörder verklagen.

Man hat diesen Schmuck so schön gefunden, daß es in Mode gekommen ist, statt der Fenstervorsetzer, die untern Scheiben mit künstlichen Eisgespenstern zu verzieren, die im Sommer aushalten. Das Geheimniß besteht darin, eine starke Auflösung von Glaubersalz in Wasser, der etwas Dextrin und Glycerin zugesetzt wird, auf die Scheibe zu gießen, und dann abtropfen und krystallisiren zu lassen. Trifft man das Verhältniß gut, so kann man eine solche Scheibe von einer echten gefrorenen gar nicht unterscheiden, und man sieht den Krystallisationsproceß in wenigen Minuten vollendet.

Carus Sterne.




Blätter und Blüthen.


Ablieferung des Beichtzettels. Unser Bild stammt aus deutschem Alpenlande. Der Gebirgler hält Alles fester in seinem vom Weltsturmlauf abgeschlosseneren Leben, die Sitten und Gewohnheiten des Alltags, die durch den Glauben geweihten Gebräuche der Kirche, ja das Leben selbst mit seiner Gesundheit in frischer Berg- und Waldesluft. Die Erfahrung lehrt, daß dieses in unserem Landvolke allgemein herrschende conservative Element unter bestimmten Umständen eine große Tugend sein kann; wie sehr es aber auch dem Mißbrauche bloßgestellt ist, das lehrt sie auch.

Die Nothwendigkeit der Beichte vor dem Abendmahle ist ein altchristlicher Glaubenssatz, an welchem nur wenige Confessionen und Secten gerüttelt haben, wie die englische Episkopalkirche, die schottische Presbyterialkirche, Herrnhuter, Socinianer etc. Luther verwarf zwar die Ohrenbeichte, behielt aber die Privatbeichte, als biblisch begründet, ebenso bei, wie er dem Predigtamte „die Gewalt der Schlüssel“, das heißt die Macht der Sündenvergebung wahrte. Dagegen erklärte er die Ablegung der Beichte vor dem Genusse des Abendmahls als nicht für absolut nothwendig. Auffällig ist, daß er, der durch Tetzel’s Ablaßeinnahmen zur Reformation hingerissen wurde, selbst das Beichtgeld (Beichtgroschen, Beichtpfennig) nicht abschaffte, obwohl er es, wie in der alten Kirche, auch nur als freiwillige Gabe angesehen wissen wollte. Allerdings war dieses Beichtgeld für die kümmerliche Stellung vieler Pfarrer eine unentbehrliche Einnahme, und es ist noch heute – die reformirte Kirche hat es längst abgeschafft – in einzelnen Ländern lutherischer Confession ein nicht zur Ruhe gebrachter Verhandlungsgegenstand.

In der römisch-katholischen Kirche ist jeder Gläubige verpflichtet, wenigstens ein Mal des Jahres, und zwar in der österlichen Zeit, vom Aschermittwoch bis zum dritten Trinitatisfeste, zu Beicht und Abendmahl zu gehen. Früher gehörte auch da das Beichtgeld zu den Stolgebühren oder geistlichen Accidenzien, und da es Uebung wurde, sich vom Geistlichen die Ablegung der Beichte schriftlich bezeugen zu lassen, so verband man mit der Ablieferung dieser Beichtzettel die Ablieferung des „Ostergroschens“ oder „Osterpfennigs“, womit häufig zugleich die Abgabe des Zehnten verbunden worden sein mag. Zehnten und Beichtgeld als Stolgebühr sind in der katholischen Kirche längst abgeschafft; aber das fromme Volk auf dem Lande und in den Bergen behält den Ostergroschen als freiwillige Gabe bei und entrichtet ihn nach alter Gewohnheit auch in der Form von Naturalgaben. Bestimmung der Kirche ist es, daß alle diese freiwilligen Opfer nicht von den Geistlichen für sich, sondern ausschließlich zu „Almosen“ verwendet werden sollen.

Unserem Künstler stand offenbar nicht diese ernste Belehrung vor Augen, als er die Gestalten unseres Bildes entwarf. Der eingangs angedeutete Mißbrauch mit des Volkes Festhalten am Gewohnten mag ihm eine wohl häufig wiederkehrende Scene vor Augen geführt haben, angesichts welcher er nicht hat unterlassen können, den sprüchwörtlich „guten Magen der Kirche“ dem an Gut und Geist so armen Volke gegenüber recht anschaulich zu machen.




Literarisches der Gartenlaube. Marlitt’s neueste Erzählung „Die zweite Frau“ ist heute schon in das Holländische und Französische übersetzt; englische und italienische Uebertragungen werden vorbereitet. Drei dramatische Bearbeitungen desselben Romans sind der Redaction der Gartenlaube bereits angezeigt; wie viele unangezeigte noch außerdem verarbeitet werden, können wir natürlich nicht verrathen. Von derselben Verfasserin erschienen vor Kurzem die vielbegehrten Romane „Gold-Else“, „Alte Mamsell“ und „Gisela“ in neunter, sechster und vierter Auflage. – Den vielen Freunden der Werner’schen Erzählung „Glück auf“ dürfte es von Interesse sein, zu erfahren, daß vorige Woche die Buchausgabe dieses Romans auf den literarischen Markt gekommen ist. – Auch von dem Hillern’schen Romane „Aus eigener Kraft“ erscheint im Laufe dieses Jahres eine französische Uebersetzung.




Kleiner Briefkasten.


M. M. in Pest. In der Gartenlaube selbst können wir derartige Geschäftsangelegenheiten nicht verhandeln. Geben Sie Ihre genaue Adresse an, und wir werden Ihnen dann das Nöthige mittheilen.



Verantwortlicher Redacteur Ernst Keil in Leipzig. – Verlag von Ernst Keil in Leipzig. – Druck von Alexander Wiede in Leipzig.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874). Leipzig: Ernst Keil, 1874, Seite 186. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1874)_186.jpg&oldid=- (Version vom 7.11.2016)