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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874)

hatte, schien es mit dem Boden gleichsam verwurzelt. Schließlich reifte die Ueberzeugung, das Thier nicht anders als in geschlossenem und zwar elephantenfestem Behälter der Verschiffung aussetzen zu können, wollte man nicht leichtsinnig in den Kauf nehmen, daß hier der Elephant, zwischen Bergen von Kisten, Möbeln und Fässern, einer ganzen Reihe von Rindvieh hinstürmend, Schaden erleidet wie das jüngst erst mit einem dem Thierhändler Hagenbeck in Hamburg gehörigen weit kleineren Elephanten geschehen ist, daß das Thier über Bord gehe oder auf Ordre des Schiffstyrannen im Oceane unschädlich gemacht werde. Das waren vielleicht die geringsten Bedenken; aber daß an Schiff und Ladung so und so viel Schaden angerichtet, Menschenleben gefährdet werden konnten, daran dachte man freilich in meiner Heimath nicht, wenigstens nicht ernstlich und nicht allerwegen. Man ließ eben einfach den gewichtigsten Factor, den Elephanten selbst, gerade das unbekannte X, außer Rechnung. Freilich mit solchen Größen zu rechnen, ist nicht Jedermanns Sache. Und nicht allein darum handelte es sich, das Thier zur Stelle zu schaffen, was Nichtkennern vielfach Hauptaufgabe dünken mochte; denn ein erwachsener Elephant ohne vertrauten oder doch geschulten Wärter ist unbrauchbar, wenigstens dann, wenn er ein handlicher Bewohner des Gartens sein und bleiben soll.

Ganz unbekümmert um die sich überstürzenden Urtheile der Menge Ungeduldiger, lediglich gestützt auf den Beirath der anerkanntesten Sachverständigen, zog ich, wiewohl schweren Herzens, von London ab, beschaffte in Hamburg einen Elephantenwagen und einen Mann dazu, dem die Aufgabe gestellt wurde, sich auf englischem Boden mit unserem Theodor vertraut zu machen und dann dessen Transport nach Breslau zu leiten. Alles Das ging aber nicht schnell genug, wenigstens nicht nach Wunsch schnell genug. Da – es war gerade an dem Tage, wo der Verabredung gemäß der Elephant in London eingeschifft werden sollte – erreichte uns ein Schreiben der Verwaltung des dortigen Gartens mit der Anzeige, daß der von Hamburg angelangte Wärter von dem Thiere an die Wand gerannt worden, nicht unerheblich beschädigt, doch wiederum auf dem Wege der Besserung, daß aber bei dem Widerwillen, den das Thier gegen den Mann gefaßt, es gerathen sei, an Ersatz zu denken. Solches Hinderniß fehlte eben noch. Die Ungeduldigsten wurden geradezu unwillig und darum ungerecht. Ich selbst wußte mir kaum Rath; von allen Seiten stürmten Vorschläge in so großer Menge, wohlgemeint, aber wohlfeil, auf uns ein, daß, um endlich über das Stadium der Redensarten hinauszukommen, ein Aufgebot sich nothwendig machte.

„Freiwillige vor, die Klügsten voran!“ hieß es; Niemand aber meldete sich, und so waren wir wieder auf uns selbst angewiesen. Wir gehen einen Schritt weiter. Der Wagen wird durch den Elephanten erprobt; unter seinen Füßen prasselt der Boden; derselbe muß erneuert werden. Auch das noch! Nunmehr wird von den dortigen Sachverständigen ein zweiter Begleiter gewünscht, und dieser wird von hier aus nachgesandt. Endlich ist Alles zur Abfahrt bereit, da weigert sich das Dampfschiff, den Passagier mitzunehmen, weil er sich durch seinen Eigensinn in den Geruch der Bösartigkeit gebracht hatte. Durch nochmalige Vorstellung bei der Gesellschaft gelang es, deren Zusage zu gewinnen. Wieder ist Alles in Vorbereitung, da stellt sich heraus, daß der am Ladeplatze des Dampfschiffes arbeitende Krahn nicht Kraft genug hat, um den hundertvierzig Centner schweren Elephanten nebst Wagen an Bord zu heben, und weil ein anderer passender in der Nähe nicht zu haben war, hieß es wiederum auf Verladung des Thieres verzichten. So langte ein Schiff nach dem andern an, immer aber ohne unsern Elephanten. Endlich verhandelte man mit dem Stettiner Dampfer, und auf diesem ging nunmehr die Verschiffung glücklich von Statten.

Nach ziemlich stürmischer Ueberfahrt und darum etwas verspätet traf der Dampfer „Norman“ in Stettin ein. Endlich, am 14. September, standen wir voller Erwartung auf dem Perron des Posener Bahnhofes. Das Signal ertönt, da erscheint am Ende des langen Zuges hoch emporragend ein Bau, der sofort sehr richtig als der Salonwagen unseres Gastes gedeutet wurde. Wir begrüßten denselben unwillkürlich mit einem herzhaften Hurrah. Der Schah von Persien hatte unser Breslau verschmäht, dafür empfingen wir heute eine andere asiatische Größe und zwar nicht zum Besuche blos, vielmehr als hoffentlich recht ständigen Gast.

Jetzt hält der Zug; der Adjutant öffnet die Thür eben weit genug, daß der hohe Herr seine allerdings mehr als landesüblich lange Nase den auf dem Perron Versammelten entgegenstrecken kann. Ehrfurchtsvoll treten wir in gemessene Ferne abseit, weniger jedoch um der wunderbarlichen Begrüßung mittelst der Nase willen, die uns ja von anderen Asiaten her nicht ganz fremd ist, als vielmehr wegen des unerwarteten Trompetenwillkommens in Antwort auf unser Hurrah. Alsbald zog sich der hohe Reisende zurück, und hinter ihm schloß sich der Salon. Schon warten acht Pferde, mit Laub und Kränzen geschmückt, der Abfahrt. Der Reisewagen rückt zur Rampe; die Pferde werden vorgelegt. Der Uebergang des ungewöhnlich hohen Gebäudes auf die abschüssige und obendrein einseitig abfallende Rampe war ein sehr bedenklicher Augenblick, vor dem, ohne daß der theure Gast eine Ahnung davon hatte, uns Umstehenden recht bangte. Jetzt – die Pferde ziehen an – ein kräftiger Ruck – wir halten den Athem an – der Koloß setzt sich in Bewegung – uns versagt der Puls – eben gleitet Theodor die schiefe Ebene abwärts, glücklich, ohne Unfall – da erst athmen wir auf. Die Tour nach dem zoologischen Garten, unter Begleitung Tausender von Menschen zum Triumphzuge werdend, wurde ohne Störung und Hemmniß zurückgelegt. Die Häuser der vom Zuge berührten Straßen waren dicht belagert, und hätte man überhaupt dem seit vielen Monaten bereits und leider allzu säumigen Freunde solch überraschende Eile zu guter Letzt noch zugetraut, die Ziegel auf den Dächern würden sicher nicht verschont geblieben sein.

Sofort nach Einfahrt in den Garten mußten die Thore gegen die anstürmende Menge geschlossen werden. Im Trabe eilte man mit dem für unsere Gartenwege ungewohnt schweren Gefährte bis nahe dem zur Aufnahme des Gastes bestimmten Palais neuindischen Stils. Hier aber strebte die Last sinkend dem Mittelpunkte der Erde zu. Der Wagen stand, wo er stand, und, wohl oder übel, Theodor mußte sich zum Aussteigen bequemen. Die Thür öffnete sich; Kenner aber nur gewahrten, wie dabei Theodor’s Hinterfront zum Vorscheine kam, und mancherseits wurde deren Anhängsel als vermeintlicher Rüssel, seiner Unansehnlichkeit wegen, stark bemängelt. Rückwärts nämlich mußte er und blindlings den ihm gänzlich fremden Boden betreten; an ein Umdrehen im Wagen war nicht zu denken. Obwohl der Abstand von den niedrigen Hinterrädern bis zum festen Grunde nicht übermäßig groß war, so trug der wohlbeleibte Herr doch Bedenken, in’s Ungewisse hinauszutappen. Mehrmals versuchend, zog er immer wieder sein gewichtiges Pedal aus Mangel an Vertrauen zurück. Der Aufenthalt in dem Reisewagen mag für Theodor, wiewohl er aus den Tropen gebürtig, wegen der Enge des Raumes und der dadurch bedingten Hitze und Stickluft recht beschwerlich gewesen sein. Durch die offene Hinterpforte herein fühlte er sich von kühlenden Lüften angenehm umweht; er vernahm des Kornaks ermunternden Ruf, der Peitsche knallende Mahnung – da entschloß er sich endlich, nochmals einen herzhaften Tritt zu wagen, und siehe der Boden widersteht seiner Wucht; der andere Fuß folgt nach, der Rumpf, die Vorderfüße auch; jetzt erscheint der Kopf. Zu beiden Seiten werden Balken parallel gehalten, um ihm den Weg zu bezeichnen, den er zu gehen hat. Geschickt sich wendend, schreitet er dem Kornak innerhalb eines enggeschlossenen Menschenspaliers nach, geruhig, wahrhaft grandios in seinen Park hinein und von da weiter in seinen Wohnraum.

Ein Hurrah der Anwesenden schloß das hochinteressante Schauspiel. Zunächst schien dem Thiere Ruhe unerläßliches Bedürfniß; denn neun volle Tage hatte es in der engen Zelle auf schwankem Schiffe und polternder Eisenbahn verbracht. Nach und nach erst überwand es die furchtbaren Strapazen der Reise.

Noch geraume Zeit beherrschte ihn eine heimwehartige Stimmung; die Sprache, in der wir mit ihm verkehrten, war ihm fremd. Genossen suchte er auch vergebens; unser Heu mundete ihm nicht, unser Brod nicht. Jetzt hat er sich bereits in der neuen Welt eingelebt und Tag um Tag die Besucher mit immer neuen Belegen seiner Intelligenz überrascht, bis wir schließlich ganz und voll das Thier wiedererkannten, welches er im Regentspark

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874). Leipzig: Ernst Keil, 1874, Seite 217. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1874)_217.jpg&oldid=- (Version vom 27.8.2018)