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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874)

No. 14.   1874.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Herausgeber Ernst Keil.

Wöchentlich bis 2 Bogen.    Vierteljährlich 16 Ngr. – In Heften à 5 Ngr.



Die zweite Frau.
Nachdruck verboten und
Uebersetzungsrecht vorbehalten.
Von E. Marlitt.


(Fortsetzung.)


Diese ausdrucksvoll verächtliche Geberde Mainau’s war nicht zu ertragen – der Hofprediger erhob sich mit hervorbrechendem Ungestüm, aber der alte Herr umklammerte mit beiden Händen seinen Arm und versuchte, ihn wieder an seine Seite niederzuziehen.

„Raoul, ich begreife Dich nicht! Wie kannst Du den Hofprediger so beleidigen, und noch dazu in Gegenwart Ihrer Hoheit, der Frau Herzogin?“ rief er mit halberstickter Stimme.

„Beleidigen? … Habe ich denn von gefälschten Wechseln oder dergleichen gesprochen? … Ich frage Dich selbst: lehrt der orthodoxe Theologe die Dinge, wie sie sind? Muß er nicht Vieles – das so sonnenklar ist, wie der Satz, daß zweimal zwei vier ist, und in alle Ewigkeit bleiben wird – hartnäckig verneinen, wenn er auf seiner Basis bleiben will? Läßt er nicht Weltenkörper unverrückbar feststehen, die nach des ewigen Schöpfers Willen und Gesetzen gehen müssen? Läßt er nicht Weltereignisse, die durch den kraftvollen Geist und Willen Einzelner und das Gesammtwirken von Völkerschaften nothwendig heraufbeschworen werden, durch übersinnliche gute und böse Dämonen bewerkstelligen? Stellt er nicht den heiligen Hokuspokus der Bittgänge und Wallfahrten über alle Wirksamkeit des denkenden Arztes, über die vom Allerschaffer uns verliehenen heilsamen Mittel, ja, über Gottes Weisheit selbst, dem er eine Veränderung seiner ewigen Maßregeln abzuzwingen vorgiebt?“ –

Der Hofmarschall schlug sprachlos die Hände zusammen und sank in seinen Stuhl zurück. „Um Gotteswillen, Raoul, ich habe Dich noch nie in der Weise vorgehen sehen.“

„Ach ja“ – versetzte Mainau die Achseln zuckend – „Du hast Recht; ich habe mich eigentlich nie in diese Dinge gemischt. Man ärgert sich nur über die schwachen Argumente und Waffen des Gegners, der in der Bedrängniß hinter seinen Schild mit der Devise ‚Bei Gott ist kein Ding unmöglich‘ – im Siegesbewußtsein flüchtet; und schließlich, wer läßt sich wohl gern die schwarzen Wespen um die Ohren summen, wenn er Gottes schöne Welt liebt und sie – genießen will? … Aus dieser Friedfertigkeit bin ich nur ein wenig aufgerüttelt worden durch das Hexenvernichtungsproject im indischen Garten, das meinem Kind um ein Haar das Augenlicht gekostet hätte. Ich hege Mißtrauen gegen den Religionsunterricht, bei welchem derartiges Unkraut so lustig fortgedeihen kann, und meine, mit der Radicalcur müsse man schleunigst bei den jungen Köpfen anfangen, denn die alten, die noch zu vielen Tausenden die schöne Erde verderben sind doch nicht mehr zu bessern.“

„Wie ungerecht, Baron Mainau! so denken Sie in Wirklichkeit über die heilige Einfalt?“ rief die bigotte Hofdame, die nicht länger an sich zu halten vermochte. „Haben Sie nicht neulich selbst gesagt, daß Sie dieselbe an den Frauen lieben?“

„Das sage ich heute noch, meine Gnädige,“ entgegnete er, in seinen leicht frivolen Ton verfallend. „Eine schöne, glatte, weiße Stirne unter seidenem Lockenhaar, die nicht grübelt, ein süßer, rother Mund, der harmlos plaudert – wie bequem für uns! … O ja, ich liebe diese Frauen, aber ich – bevorzuge sie nicht.“

„Und wenn das seidene Lockenhaar erbleicht und dem süßen, rothen Mund das kindlich ausdruckslose Lächeln nicht wohl mehr anstehen will, dann legt man das Spielzeug in die Ecke – wie, Baron Mainau?“ fragte die Herzogin scharf – sie ließ mit nachlässiger Grazie die Reitgerte figurenzeichnend über die Tischplatte hingleiten, wobei die brillantenen Tigeraugen farbige Blitze umherschleuderten.

„Wollen es diese Frauen anders, Hoheit?“ fragte Mainau kalt lächelnd zurück.

„Ei, da wird man schleunigst sein Latein, seine botanischen und chemischen Studien, mit denen man in der Backfischzeit wahrhaft gepeinigt worden ist, hervorsuchen müssen,“ lachte die fürstliche Frau hart auf. „Man sagt mir nach, daß ich rasch und leicht auffasse – vielleicht hat sich auch mit den Jahren der innere Trieb eingestellt – es käme auf einen Versuch an. … Was meinen Sie dazu, Baron Mainau, wenn ich Sie bei Ihrer Rückkehr aus dem Orient mit einer lateinischen Anrede begrüßen und dann in mein Laboratorium führen würde, um Sie mit allen möglichen gelehrten Experimenten zu regaliren?“

„Hu, ein Blaustrumpf in salopper Toilette, mit ungeordnetem Haar!“ rief Mainau in ihr Spottgelächter einstimmend. „Hoheit, diese Antipathie wurzelt unausrottbar in meiner Seele – ich bilde mir aber plötzlich ein, es könnte Frauengeister geben, die mit einigem Verständniß den Spuren der Natur nachzugehen und deren Wunder, gleich den Männern, aufzuschließen suchen, die bei klarem Blick den unüberwindlichen Trieb haben, selbstständig, ohne das Gängelband der Tradition, zu denken und den Erscheinungen und Dingen auf unserem Planeten bis auf den Grund zu folgen – wobei sie diesen Trieb jedoch erst in

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874). Leipzig: Ernst Keil, 1874, Seite 219. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1874)_219.jpg&oldid=- (Version vom 30.5.2018)