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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874)

dem Zettel sucht, wird auch den Brief der Gräfin Trachenberg vermissen, und daß ich ihn verbrannt habe, wird Ihnen Niemand glauben.“ Er hielt noch die hochgehobene Linke abwehrend vor die Kaminöffnung, obgleich auch nicht der kleinste verkohlte Rest der Papiere liegen geblieben war.

Die junge Frau ließ schlaff ihre Hände von seinem Arme niedersinken – ihr von den Flammen hell angestrahltes Gesicht zeigte eine namenlose schmerzliche Bestürzung. Dem ränkevollen Geiste des Priesters war diese zwar starke, aber zu reine unschuldvolle Mädchenseele freilich nicht gewachsen, und wie sie dastand, so blumenhaft zart und schlank, so hülflos, mit erschrockenen Augen in die Gluth starrend und die sammetweiche Schläfe unbewußt nahe an die Schulter des Mannes geneigt, da sah es aus, als bedürfe es nur einer seiner energischen Bewegungen, um sich ihrer zu bemächtigen – es war wie eine Lähmung über sie gekommen – nur ein tiefer zitternder Seufzer kam wie ein Hauch von ihren Lippen – er streifte die Wange des Geistlichen.

„Gnädige Frau, noch ist es Zeit,“ rief er – alles Blut war ihm bei der Berührung aus dem Gesichte gewichen. – „Seien Sie mild und barmherzig gegen mich, und ich gehe sofort zu den Herren von Schönwerth, um zu bekennen.“

Sie trat stolz zurück und maß ihn vom Kopf bis zu den Füßen. „Das ist einzig und allein Ihre Sache – handeln Sie, wie Ihnen beliebt!“ sagte sie – ihre Stimme klang schneidend, vernichtend. „Ich habe allerdings innig gewünscht, Gabriel zu retten – ich würde mich vielleicht sogar zu einem Fußfalle vor – der Herzogin, um des guten Zweckes willen, haben hinreißen lassen; aber in Gemeinschaft mit einem – Jesuiten zu handeln, das vermag ich nicht. … Ich kann dem Knaben nicht mehr helfen – mag sich sein grausames Geschick erfüllen. … Aber, wahrlich, Deutschland ist im Rechte, wenn es diese Gesellschaft Jesu von seinem Boden verjagt, wenn es endlich die Ruthe aufnimmt, um die grimmigsten Feinde des patriotischen Sinnes, der geistigen Entwickelung und des confessionellen Friedens in das Gesicht zu schlagen. … Das war mein letztes Wort an Sie, Hochwürden. Und nun gehen Sie, um die ‚Briefintrigue‘ gegen mich einzufädeln – fein, aber mit unvergleichlicher Sicherheit – wie es dem Jünger Loyola’s ziemt!“

Sie wandte ihm den Rücken und wollte mit raschen Schritten den Saal verlassen, da wurde seitwärts eine Thür geöffnet, und der Hofmarschall, auf seinen Krückstock gestützt, sah herein.

„Wo bleiben Sie denn, verehrter Freund?“ rief er – seine Augen fuhren suchend durch den Salon. „Mein Gott, braucht es denn so lange Zeit, einen Schlüssel abzuziehen?“

Die junge Frau war bei seinem Erscheinen stehen geblieben und wandte ihm voll das Gesicht zu, während der Hofprediger in seiner Stellung am Kamine verharrte und nur seine weißen, vollen Hände gegen die Flammen hielt, als friere er.

Der Hofmarschall stelzte herein; er vergaß, die Thür hinter sich zu schließen, so sehr frappirte ihn die Situation.

„Ei, meine Gnädigste, Sie auch schon hier?“ sagte er, den Krückstock vor sich auf das Parquet stemmend. „Oder wie – Sie können doch unmöglich die ganze lange Zeit über in dem halbdunklen Salon verblieben sein – undenkbar bei Ihrer Gewohnheit, jede Secunde spießbürgerlicher Weise thätig auszunutzen.“

Urplötzlich, als dämmere eine Ahnung in ihm auf, wandte er den Kopf nach dem Schreibtische mit den Raritätenkästen – das verhängnißvolle Schubfach war noch so weit aufgezogen, daß man meinen konnte, es falle im nächsten Moment aus den Fugen.

Ein langgezogenes „Ah!“ kam von den Lippen des alten Herrn. „Wie, meine Gnädigste, Sie haben – gekramt?“ fragte er unter einen grausamen Lächeln fast sanft, wie ein gewiegter Untersuchungsrichter, der einen gewandten Angeklagten eben den letzten Stützpunkt verlieren sieht. Er wiegte bedächtig den feinen Kopf. „Impossible – was sagte ich? Diese schönen Hände, diese aristokratischen Hände einer Dame, die so glücklich ist, sich die Enkelin einer Prinzessin von Thurgau nennen zu dürfen, ich sage, solch hochgeborene Hände können sich doch unmöglich so weit herablassen in dem Eigenthume anderer Leute herumzustören – fi donc – Verzeihung, meine Gnädigste! Ich habe unpassend gescherzt.“

Er humpelte nach dem Schreibtische, sah in den Kasten, und sich mit der Linken mühsam auf den Stock stützend, warf er suchend die Papiere durcheinander.

Liane kreuzte die Arme krampfhaft fest unter dem Busen – sie sah Furchtbares kommen. Dort der Mann im langen schwarzen Rocke bog sich so angelegentlich nach den Flammen hin, als höre er nicht ein Wort von Dem, was hinter seinem Rücken vorgehe – er war wohl bereits fertig mit seinem Feldzugsplane.

Der Hofmarschall drehte sich um. „Sie haben auch gescherzt, meine Gnädigste,“ rief er und zeigte lachend sein schneeweißes Gesicht. „Sie haben mir einen kleinen Schabernack zufügen wollen. Nicht mehr als billig – ich bin heute der Frau Herzogin gegenüber ein wenig indiscret gewesen – aber ich will künftig artiger sein – ich verspreche es Ihnen. Und nun, bitte, bitte, geben Sie mir mein reizendes Billetdoux zurück, an welchem mein ganzes Herz hängt, wie Sie wissen! – Wie, Sie weigern sich? … Ich wollte drauf schwören, ich sähe dort aus Ihrer Kleidertasche ein herziges, rosenfarbenes Briefeckchen gucken. – Nein? – Wo ist der Brief der Gräfin Trachenberg, frage ich?“ fügte er plötzlich mit völlig veränderter, zornig knurrender Stimme hinzu – im Uebermaße seiner hervorbrechenden Wuth vergaß er sich so weit, den Krückstock drohend zu heben.

„Fragen Sie den Herrn Hofprediger!“ antwortete die junge Frau mit todtenbleichen Wangen.

„Den Herrn Hofprediger? Ist die Gräfin Trachenberg seine Mutter? … Hm ja, möglicher Weise hat er – den kühnen Eingriff belauscht, und Sie appelliren nun an seine Ritterlichkeit und christliche Milde, respective an seine rettende Hand – aber das hilft Ihnen nichts, schöne Frau. Ich will direct aus Ihrem Munde hören, wo der Brief ist.“

Die junge Frau zeigte nach dem Kamine. „Er ist verbrannt,“ sagte sie in klanglosem, aber festem Tone. In diesem Augenblicke wandte der Hofprediger zum ersten Male den Kopf ein wenig – er warf einen verstörten, halb wahnwitzigen Seitenblick nach der Sprechenden, der es nicht einfiel, zu dem einzigen Mittel, dem Leugnen, zu greifen.

Der Hofmarschall stieß einen heisern Wuthschrei aus und sank, unfähig, sich länger auf seinen kranken Füßen zu halten, in den nächsten Lehnstuhl.

„Und Sie sind Zeuge gewesen, Hochwürden? Sie haben diese Infamie ruhig geschehen lassen?“ preßte er zwischen den Zähnen heraus.

„Ich kann Ihnen in diesem Momente nicht darauf antworten, Herr Hofmarschall – Sie müssen erst ruhiger werden. Die Sache liegt doch anders, als Sie annehmen mögen,“ versetzte der Hofprediger ausweichend. Er trat vom Kamine weg und kam mit zögernden Schritten näher.

„Nun wahrhaftig, es hat noch gefehlt, daß auch Sie ablenken. Macht denn der ketzerische Geist dort unter den rothen Flechten alle Männerköpfe rebellisch? Raoul traue ich schon längst nicht mehr“ – er biß sich auf die Lippen; die letzten Worte waren ihm offenbar wider Willen herausgefahren – auf den Hofprediger aber wirkten sie wie ein unerwarteter Schlag in das Gesicht; mit einem Blicke voll zornigen Schreckens nach der Zuhörerin hob er rasch die Hand, als wolle er sie auf den unvorsichtigen Mund des alten Herrn legen.

„Ich verstehe Sie nicht, Herr Hofmarschall,“ sagte er, in drohendem Warnungstone jedes Wort markirend.

„Mein Gott, ich sprach in Bezug auf seinen gut katholischen Glauben,“ rief der Hofmarschall ärgerlich.

Der Mann, um dessen „Glauben“ es sich eben handelte, kam in diesem Moment die große, mit den byzantinischen Teppichen belegte Haupttreppe herauf. Liane stand der noch immer offenen Thür gegenüber – der stark beleuchtete Gang, welchen sie übersehen konnte, mündete in dem Treppenhause, das auch in einem förmlichen Lichtmeere schwamm. Auf der obersten Stufe blieb Mainau, noch in seinen dunklen Regenmantel gehüllt, einen Moment stehen. Sah er die hell gekleidete Gestalt seiner Frau inmitten des dämmernden Salons? Er war jedenfalls im Begriffe gewesen, nach seinen Zimmern zu gehen – jetzt lenkte er sofort in den Gang ein.

„Aha, da kommt er ja! Sehr gelegen!“ sagte der Hofmarschall sichtlich frohlockend bei den sich rasch nähernden, wohlbekannten Schritten – er richtete sich kampffertig im Stuhle auf und rieb kichernd die dürren, trockenen Hände aneinander.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874). Leipzig: Ernst Keil, 1874, Seite 236. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1874)_236.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)