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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874)

„Ich kann auf diesen sehr begründeten Einwand nur antworten, daß er den großen, socialen Umschwung berührt, welcher in allen Lebensgebieten sich mächtig fühlbar macht. Für einzelne Classen der Gesellschaft ist es eine harte, eiserne Zeit, und wir, als die Generation des Uebergangs, leiden am meisten davon. Aber sehen Sie um sich: das Jagen nach materiellem Genuß, nach raschem Reichthum bei möglichst wenig Anstrengung – ist ja allgemein; sollten die Dienenden allein von dem Fieber nicht ergriffen werden? Und wäre es nicht an uns, hier mit gutem Beispiel ihnen voranzugehen, statt den Luxus zu pflegen und dann nur plötzlich wieder an den Dienstboten sparen zu wollen? Allerdings werden die kleinen Beamten- und Rentiersfamilien die Concurrenz um tüchtig geschulte Dienstboten nicht mehr mitmachen können, aber dafür ist die Haushaltungsarbeit durch die Hülfsmittel unserer modernen Zustände so vereinfacht, daß die Töchter eines solchen Hauses sie mit leichter Mühe und vielleicht einer Hülfe für die gröbste Arbeit selbst versehen können. Dabei müßten sie freilich jenen mühsam gewahrten Schein der ‚Damenhaftigkeit‘ aufgeben, der ohnedies in keiner Weise zu solchen Zuständen paßt.“

„Oder aber selbst Etwas erwerben,“ sagte Frau Michaelis, „wenn sie den Standeshochmuth bei Seite setzen und bedenken wollen, daß heutzutage mit Verdienen mehr zu machen ist, als mit Sparen.“

„Wir kommen weit von unserem eigentlichen Thema ab,“ warf Fräulein Dernburg ein. „Die Frau Doctorin ist uns das eigentliche Recept, aus schlechten Dienstboten gute zu machen, noch schuldig. Ich wäre Ihnen für einige specielle Winke in dieser Beziehung, wie ich ehrlich gestehen muß, sehr dankbar, denn mit dem allgemeinen Klagen über die Unvernunft der Frauen ist im Grunde wenig geleistet.“

„Das ‚Recept‘,“ sagte Frau Heyne mit einem ernsthaften Blick nach ihrem Gegenüber, „ist dasselbe, wie zum friedlichen Umgang mit allen anderen Mitmenschen auch: Klugheit, Gerechtigkeit, Mäßigung und Menschenliebe, nebst unbeugsamer Consequenz im Festhalten des einmal für recht Erkannten. Eine Frau, welche diese Eigenschaften, die Resultate einer tüchtigen Erziehung, in ihrem täglichen Leben bethätigt, wird nie über schlechtes Gesinde klagen, denn wenn sie auch die Schlechte und Gemeine abweisen muß, so wird sie im Stande sein, durch den Eindruck ihrer eigenen Persönlichkeit mit Strenge und Güte aus der Schlechterzogenen, aber noch Gutartigen etwas Tüchtiges zu bilden, während dasselbe Mädchen bei einer anderen Frau vollends verderben würde.“

„Das ist leicht gesagt,“ lachte das Fräulein etwas spöttisch. „Man kann doch wahrhaftig nicht verlangen, daß eine Frau, die ohnedies alle Hände voll zu thun hat, sich auch noch um das ‚Innere‘ ihrer Dienstboten kümmern soll. Da heißt es: Jeder ist sich selbst der Nächste. So lange sie ordentlich arbeiten, behandelt man sie ja gut, ist dies nicht mehr der Fall – fort, ohne lange Umstände! Zu bessern ist in den meisten Fällen Nichts mehr daran, man muß nur die Rohheit dieser Leute kennen.“

„Glauben Sie,“ fragte Frau Heyne, „daß die meisten Mädchen so roh und verwahrlost wären, wenn ihre erste Frau sich die Mühe genommen hätte, in dem jungen unwissenden Geschöpf das Bewußtsein seiner eigenen Menschenwürde und das Pflichtgefühl zu erwecken, wenn sie strenge gegen Lüge und Unsittlichkeit, dagegen mild gegen die allgemeinen Jugendfehler gewesen wäre? Gewöhnlich geschieht das Umgekehrte: man rügt im heftigsten Ton dieselben Zerstreutheiten an der Magd, welche bei der Tochter des Hauses mit einem lächelnden ‚Das kommt eben nicht vor den Jahren‘ entschuldigt werden.“

„Ja, das ist aber auch etwas ganz Anderes!“ rief hier eine der bis dahin Schweigenden. „Es geht ja gleich die ganze Haushaltung verkehrt, wenn man sich nicht gegen die Unordnungen und Vergeßlichkeiten der Personen wahrt. Mit solchen Duldungen könnte man weit kommen!“

„Es ist auch nicht meine Ansicht, daß man Unordnungen dulden soll; ich glaube ganz im Gegentheile, daß man viel öfter, als es geschieht, die erste Nachlässigkeit, das erste schnippische Wort fest und bestimmt rügen soll, damit die zweite nicht sobald folgt. Die stricteste Ordnung im Hause zu handhaben, ist ja das eigentliche Amt jeder tüchtigen Frau. Aber wenn sie auch äußerlich tadeln muß, soll sie innerlich der Stimme der Billigkeit Gehör geben und sich nicht selbst in Entrüstung und Zorn hineinstürzen gegen ein junges mangelhaft erzogenes Geschöpf. Sie soll bedenken, welch harte, unerfreuliche Existenz diese Menschen auch im besten Haushalte führen. Wir haben im geselligen Verkehre, in den vielen Vergnügungen die Mittel, uns jeden häuslichen Verdruß wieder rasch von der Seele zu spülen; sie stecken den ganzen Tag in dem ewigen Einerlei der groben ermüdenden Arbeit und haben nicht die Möglichkeit, sich einmal nachzugeben, wenn sie sich müde fühlen. Glauben Sie nicht, daß die Leute davon keine Empfindung haben! Sie vergleichen ihr Loos mit dem unsrigen und saugen viel Bitterkeit daraus. Darum ist es an uns, mit Güte und Theilnahme die Kluft zu überbrücken und uns stets zu erinnern, daß es Menschenseelen sind, die hier im Schutze unseres Hauses leben, und daß die Einwirkung einer Menschenseele auf die andere allen ‚modernen Verhältnissen‘ zum Trotze ewig dieselbe bleibt.“

„Das hört sich Alles recht schön an,“ meinte kopfschüttelnd die vorige Sprecherin; „aber ich sollte denken, Sie müßten auch wissen, daß in einem häuslichen Verdrusse und den dummen, ungezogenen Reden einer erbosten Köchin gegenüber keine solche sanften Mittel anschlagen können. Da geht es eben gewöhnlich zum Bruche.“

„Ja,“ sagte Frau Heyne lächelnd, „welche Hausfrau kennt sie nicht, die Tage, wo Alles mit dem linken Fuße zuerst aufgestanden zu sein scheint und Alles verkehrt geht, wo die Oefen rauchen, Geschirre zerbrechen, das Essen anbrennt, der Gemahl brummt und die Kinder unartig sind, bis zuguterletzt noch ein großer Zank zwischen Frau und Köchin dem Ganzen die Krone aufsetzt? Ich habe solche Tage bei Anderen beobachtet und im eigenen Hause erlebt und kann Sie versichern, es wirkt Wunder, gerade dann an sich zu halten und in gutem Tone zu sagen: ‚Heute haben wir einen heißen Tag, Babette oder Katharine; aber er wird auch vorübergehen, und morgen ist’s wieder anders. Wenn Sie nicht mit Allem fertig werden können, so lassen Sie Dies oder Jenes!‘ Neunmal unter zehn Fällen wird sich die also Angeredete besinnen und bessere Saiten aufziehen. Tragen aber die Kinder durch Unart oder Bosheit eine Schuld bei der Sache, so erscheint es mir nur billig und gerecht, sie unbedingt zur Abbitte zu zwingen.“

„Nun, ich sehe schon,“ sagte Frau von Breda, „wir armen Frauen kommen schlimm bei Ihnen weg. Aber ich wäre doch neugierig, was Sie mit denjenigen Dienstmädchen anfangen wollen, die es nach Ihrem eigenen Geständnisse doch auch giebt, mit den ganz gemeinen und unverbesserlichen?“

„Mit Solchen würde ich gar nichts anfangen, sondern sie in kürzester Frist wegschicken, wie ich denn überhaupt jede Verbindung mit solchen absolut unbrauchbaren und unwürdigen Personen abbrechen würde. Glücklicher Weise sind die Gewohnheitslügnerinnen, die Diebinnen und verlorenen Mädchen, wenigstens hier in Süddeutschland, noch sehr in der Minorität. Gerade aber als wirksamen Schutz gegen solch verdorbene Elemente könnte man ein sehr einfaches Mittel vorschlagen, das auch auf die Uebrigen seine heilsame Wirkung haben würde.“

„Nun, da wäre ich denn doch begierig,“ rief Fräulein Dernburg.

„Sollten Sie nicht selbst schon in dieser Zeit der Associationen an eine Frauenverbindung in diesem Sinne gedacht haben? Wenn in jeder Stadt ein möglichst großer Kreis Frauen zusammenträte, mit dem festen gegenseitigen Versprechen, wahrheitsgetreue Zeugnisse auszustellen, was bekanntlich nie geschieht, und eine Person nicht aufzunehmen, deren Zeugnißbuch nicht das Wort ‚Ehrlichkeit‘ aufweist, wenn man einen für die verschiedenen Leistungen normirten Durchschnittslohn festsetzte und sich nicht gegenseitig durch Ueberbieten die Mädchen wegkaperte, wenn die so zusammenstehenden Frauen zugleich die Tüchtigsten und Angesehensten wären, so daß ein gutes Zeugniß von ihnen die wirksamste Empfehlung für ein braves Dienstmädchen abgäbe – wäre da nicht schon Vielem abgeholfen? Man könnte auch, ohne in Phantasterei zu verfallen, sich gemeinsame Küchen für eben die kleinen dienstbotenlosen Haushalte denken, wo unter Leitung tüchtiger älterer Mädchen gute Dienstboten systematisch herangebildet würden. Alles Das ist möglich, und jedenfalls wird

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874). Leipzig: Ernst Keil, 1874, Seite 244. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1874)_244.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)