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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874)

prächtigen Zähne wegen auf. Wie alle Uebrigen, so verleugnete auch er in seinen Zügen die mit dem Stamme Israel gemeinsame Herkunft von Abraham nicht; aber die Wildheit des Ausdrucks der Söhne Hagar’s, die phantastische Kleidung lassen einen Vergleich mit den Söhnen Sarah’s an der Börse nicht zu.

Ich hatte eben erfahren, daß jene Männer die Häupter der nächstwohnenden, dem Scheikh Ali untergebenen Beduinen seien, die hierher entboten waren, um durch ihre Gegenwart unsere Anwesenheit zu ehren, als eine neue Gestalt eintrat, die durch den wilden, fast diabolischen Blick meine Befürchtungen zu rechtfertigen schien, daß die prächtige Gesellschaft mehr dazu da sei, uns zu plündern, als uns zu dienen. Der Spanier versicherte jedoch feierlich, daß wir seit der gemeinsam genossenen Mahlzeit unverletzlich seien, und ich mußte mich beruhigen. Der Anblick des zuletzt eingetretenen Kriegers hatte meine Neugierde auf’s Höchste gespannt. Ich setzte alle Etiquette aus den Augen und erhob mich, die Anwesenden zu begrüßen. Sie schienen sichtlich erfreut, und zeigten bereitwillig ihre Waffen, die ich zu sehen wünschte. Der wilde Krieger, dessen fanatischer Ausdruck dem Antlitz des Propheten Ehre gemacht hätte, besaß ein reich mit Gold eingelegtes englisches Gewehr und gute Ausrüstung. Er wollte es zum Geschenk erhalten haben. – Gott weiß, wo die Gebeine des rechtmäßigen Besitzers bleichen. Die Bewaffnung der Uebrigen war weniger gefährlich, wenn auch vielleicht glänzender. Die langen Flinten mit Feuerschloß konnte nicht allzu bedenklich werden.

Der Mond stand bereits hoch am Himmel, als die abenteuerliche Gesellschaft die wiehernden Rosse im Vorhof bestieg und nach allen Richtungen hinaus den heimathlichen Zelte zueilte.

Der Scheikh wünschte uns eine gesegnete Nachtruhe und erklärte feierlich, er hätte keine Jagd uns vorzuführen. Ich glaube, er traute seinen Vasallen nicht, und ich beruhigte mich in der Aussicht, wieder einmal unter Dach und Fach zu schlafen. Das hatte aber gute Wege. Das Dorf konnte sich nicht über die Christen beruhigen, die in seinen Mauern Quartier genommen hatten. Im hellen Mondschein umkreisten unaufhörlich weiße Gestalten den „Palast“ des Scheikh. Hassan saß, Rache brütend, in der Ecke, und die beiden Führer, deren Einer vor der Thür, der Andere neben dem Divan lag, das Gewehr in der Hand, schienen sowohl mir, wie dem unsicher gewordenen Spanier nicht genügend für einen plötzlichen Ueberfall. Wir hatten unsere Büchsen gespannt neben uns, den Revolver in der Hand. Zu alle Dem umkreisten Unheil verkündend zahllose schreiende Eulen und Käuzchen das Haus.

Die Nacht war recht dazu angethan, Grauen einzuflößen. Hin und wieder stand ich auf, einen Blick zum Fenster hinaus zu werfen. Von dem hochgelegenen Gemach blickte man weit hinaus in das Sumpfland, durchzogen von den glitzernden Silberstreifen des Mondes auf den Wasserflächen. In dem nahen Palmenwalde schien sich hin und wieder etwas zu regen, und die Phantasie ließ immer neue Gestalten aus den Büschen hervorwachsen. Es nahte die zwölfte Stunde, die letzte des Jahres – am Sylvester hatten wir Scheikh Ali kennen lernen. Ich dachte der Heimath, der Familie, die in traulichem Beisammensein das neue Jahr erwartet; ich überlegte meine Situation, die Gefahr, der ich soeben entgangen – und verwünschte für immer jedwedes Abenteuer.

Doch die arabische Gastfreundschaft bewährte sich vortrefflich. Der Morgen des neuen Jahres erschien, ohne daß uns der Hals abgeschnitten worden wäre. Der Scheikh mit seinem mildfreundlichen Lächeln erschien und fragte nach unserm Begehren. Mit Bereitwilligkeit gestand er uns eine Escorte bis Fayûm zu, und die Abschiedsceremonien begannen. Wir theilten Trinkgelder unter die Diener aus, und erhielten als Freundschaftsgabe vom Scheikh Jeder einen hübschen Dolch. Ich hatte nichts ihm zu geben und war einigermaßen in Verlegenheit, bis mir einfiel, daß er am Tage vorher mein Taschenmesser bewundert hatte. Ich zog es hervor und überreichte ihm die bescheidene Gabe mit einigen Worten der Entschuldigung, die ich mir hätte sparen können. Die Wirkung des Geschenkes war eine frappante. Sein Antlitz strahlte vor Glück und mit Hintenansetzung jeglicher Würde und Etiquette zeigte er das Kunstwerk seiner Umgebung. Das Messer hatte zwei Klingen und einen Pfropfenzieher; es kostete mir in Berlin zwanzig Silbergroschen. Man darf den Werth solcher Gegenstände nicht unterschätzen.

Wir versprachen Scheikh Ali, seinen Ruhm in den kleinen osmanischen Provinzen Deutschland und Spanien zu verbreiten, und schieden von ihm mit dem Bewußtsein, einen höchst angenehmen Eindruck hinterlassen zu haben. Unsere aus fünf Beduinen bestehende Escorte machte sich bald durch Bettelei unnütz, bald versuchte sie durch das Schauspiel einer Fantasia unsere Herzen zu rühren. Die kleinen Pferde wurden gewaltig angestrengt.

Von Hassan’s verrätherischen Absichten war nichts mehr zu bemerken. Er hatte sich in das Unvermeidliche gefügt und versuchte durch ausgezeichnete Höflichkeit die Prügel von sich abzulenken, die er nach seiner Meinung, und vielleicht nicht ganz mit Unrecht, auf unser Geheiß in Cairo zu erwarten hatte. Von den ägyptischen Gerichten war in diesem Falle nichts zu erwarten.

Ich war zu ergrimmt, um auf seine Liebenswürdigkeiten einzugehen. Der Spanier hatte sich allmählich wieder durch Erzählungen bestechen lassen. Er verstieg sich sogar so weit, mir von Neuem einen Vorschlag zu machen, im Sudan Löwen zu jagen, Hassan hatte ihm mit glühenden Farben eine Belagerung geschildert, die er von dreizehn Löwen auszustehen gehabt, nachdem er sich mitten in der Wüste mit einer Dornenhecke umgeben hatte. Das war mir zu viel. Beinahe wäre ich mit dem Unterthan der osmanischen Provinz Spanien in Streit gerathen.

Am Abende des zweiten Tages langten wir wieder in Fayûm an. Der einzige Europäer der Stadt, ein Franzose, nahm uns mit größter Liebenswürdigkeit auf. Auf herrlichen Teppichen brachten wir eine erquickliche Nacht zu. Beim gemüthlichen Frühstück am nächsten Morgen gaben wir unsere Erlebnisse zum Besten.

„Bei Scheikh Ali haben Sie genächtigt?“ rief unser Wirth erstaunt. „Da sind Sie in schlimmer Gesellschaft gewesen. Der alte Kerl hat mehr als einen Mord auf dem Gewissen; ja, es steht ziemlich fest, daß er vor zwei Jahren aus Rache eine Frau mit ihrem Kinde in der Wüste umgebracht hat. Der alte Fuchs ist schlau und hat sich allen Anschuldigungen zu entziehen gewußt. Das Gouvernement hat ihn seit einem Jahre zum Scheikh des Arrondissements gemacht, eine gewiß weise Maßregel, da er in seiner officiellen einflußreichen Stellung nicht mehr im Stande ist, gemeinen Mord zu begehen. Sie sind in der Höhle des Löwen gewesen. Danken Sie Gott, daß Sie mit heiler Haut seinen Krallen entronnen sind!“

P. v. E.



Kleiner Briefkasten.


Dr. med. Andreas Adam in Chicago (Nr. 810, Süd-Halstedt-Str.) schreibt uns, daß er dort mit dem in der Gartenlaube (1870, S. 756) gesuchte Chemiker gleichen Namens aus Pappenheim in Baiern verwechselt werde, daß man ihn eben deshalb verdächtige, Weib und Kinder in Deutschland verlassen zu haben, und daß Bosheit und Neid die dortige Presse sogar zur Ausbreitung dieser Lüge mißbrauche, um ihn in der Ausübung seines Berufs zu schädigen. Bei einigem guten Willen dazu hätte man dort durch unsern Artikel Nach neunzehn Jahren in Nr. 38 der Gartenlaube von 1871, über den Lebenslauf des vermißten Adam belehrt sein müssen. Daß dies dennoch nicht geschehe, sondern Herr Dr. Adam fortwährend über die fortgesetzte Verleumdung zu klagen hat, beweist, daß dieselbe nicht von der Dummheit ihrer Verbreiter allein ausgeht. Darum bezeugen wir Herrn Dr. Adam in Chicago, daß er, der in Schwaben Geborene, nicht der Chemiker Adam aus Franken und daß er auch zu jung ist, als daß er unter den deutschen Rebellen von 1848 schon hätte eine Rolle spielen und als Gatte und Vater zweier nun vier- bis fünfundzwanzigjähriger Kinder hätte entfliehen können.

Zur Nachricht den Verwandten. Friedrich Koch aus Zeitz, ein in Amerika Vermißter, stand, wie ein Herr B. Haentzschel in St. Louis uns schreibt, mit Diesem in derselben Compagnie E des 3. Missouri-Infanterie-Regiments, erhielt in der Schlucht bei Resaon, Staat Georgia, von einem feindlichen Scharfschützen eine schwere Verwundung im Oberschenkel und starb nach ein paar Tagen im Feldlazareth.

Collegienrath H. K. in Wladikaukas. Ihr Schreiben über die Kirchen- und Schulnoth Ihrer deutschen evangelischen Gemeinde haben wir dem Vorsitzenden des „Centralvorstandes der Gustav-Adolf-Stiftung“, Herrn Geheimen Kirchenrath Dr. E. F. Hoffmann in Leipzig, zugesendet.

Herrn H. Wachtler in Bozen und Turnlehrer Hohlfeld in – –. Auf Ihre Aufrage diene Ihnen zur Nachricht, daß es uns zwar bekannt war, daß ein Aufsatz über den beregten Gegenstand aus der Feder desselben Verfassers bereits in einem kleinen norddeutschen Localblatte zum Abdrucke gekommen; daß derselbe aber auch in größere Blätter übergegangen, war uns völlig unbekannt. Der von uns gebrachte Artikel ist übrigens in jedem Worte ein Originalbeitrag.


Verantwortlicher Redacteur Ernst Keil in Leipzig. – Verlag von Ernst Keil in Leipzig. – Druck von Alexander Wiede in Leipzig.
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