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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874)

Erbitterung. – „Mir kocht das Blut, wenn ich mir denke, daß dieser Schurke beschützt und gehätschelt droben im Schlafzimmer des Onkels sitzt, während er doch ohne Weiteres über die Schwelle, in Sturm und Nacht hinausgestoßen werden müßte. … Aber ich muß mir selbst sagen, es nützt nichts, wenn die rächende Faust des empörten ehrlichen Mannes in diese Fuchsgesellschaft niederfährt; sie stiebt auseinander, um sich im nächsten Augenblick erstickend über ihm zu schließen; er ist der Verlorene, und wenn ihm alle Gesetzbücher der Welt zur Seite stehen. … Sieh’, mein holdes Weib, die erste eclatante Wirkung Deines Einflusses – ich will mich mäßigen; aber diese Mäßigung soll dem Schwarzrock theuer zu stehen kommen. – Auge um Auge, Zahn um Zahn, mein Herr Hofprediger! Ich will auch einmal den Fuchskopf aufsetzen, um Onkel Gisbert’s willen, an dessen Kind ich mich schwer versündigt habe … Der Onkel Hofmarschall ist mit dem Zettel genau so dupirt worden, wie ich – er, mit seinen klugen, scharfen Höflingsaugen, – darin liegt ein ganz klein wenig Trost für mich.“ – Sein Glaube an die Rechtlichkeit des alten, kranken Mannes war unerschütterlich. Liane zitterte, denn in dem Augenblicke, wo er sich Gabriel’s annahm, fiel auch der Riegel vor Frau Löhn’s Lippen – welch schwere, bittere Enttäuschung stand ihm bevor – „Wollte ich ihm aber den wahren Sachverhalt mittheilen, er würde mich einfach auslachen und die vollgültigsten Beweise fordern,“ fuhr Mainau fort. „Nun werde ich die Sache umkehren. … Liane, so schwer es mir auch wird, wir müssen noch nebeneinander gehen wie bisher. Kannst Du Dich überwinden, morgen Deine Hausfrauenpflichten wieder aufzunehmen, als sei Nichts vorgefallen?“

„Ich will es versuchen – ich bin ja Dein treuer Camerad.“

„O nein! Mit der Cameradschaft ist’s vorbei – der Pact, den wir am ersten Tag geschlossen, ist längst null und nichtig, zerrissen, verweht in alle vier Winde. Unter guten Cameraden gilt eine gewisse Toleranz; aber ich bin ein merkwürdig mißgünstiger Gesell geworden – in dem Falle dulde und gestatte ich nicht. Selbst Leo gegenüber kämpfe ich mit feindseligen Regungen, wenn er so selbstverständlich ‚meine Mama‘ sagt, und die Namen ‚Magnus‘ und ‚Ulrike‘ kann ich von Deinen Lippen nicht hören, ohne den häßlichsten Neid zu fühlen – ich glaube, ich kann ihnen nie gut werden, diesen Namen. … Uebrigens sei ohne Sorge – ich wache über Dich, wie es Dein Schutzgeist nicht besser vermöchte; nicht auf Secunden werde ich Dich verlassen, bis die Luft rein ist von dem Raubvogel, der über meinem schlanken Reh kreist.“

Die Dienerschaft, die ihm wenige Minuten darauf in den Gängen des Schlosses begegnete, ahnte nicht, daß auf seinen strenggeschlossenen Lippen die Verlobungsküsse fortbrannten, und daß eben die bemitleidete zweite Frau zur Herrscherin über „Alles was sein“ geworden war. … Und als der Hofprediger eine halbe Stunde später trotz Sturmestoben und Regen das Schloß umkreiste, da sah er Mainau’s Schatten im hellerleuchteten Arbeitszimmer auf- und abwandeln, und drunten im Salon saß die junge Frau am Schreibtische – diese zwei Menschen hatten also nicht das Bedürfniß nach gegenseitigem Aussprechen gehabt – der Herr Hofprediger, der wie ein scheues, aber beharrlich lauerndes Raubthier mit heißem Blicke immer wieder das rothgoldene Haargewoge hinter dem leichtklaffenden Fensterladen suchte, er behielt das Heft in der Hand. …




22.


Der Sturm, der sich gestern im Verlaufe des Abends zum Orkan gesteigert, hatte bis nach Mitternacht fortgetobt. Von den Schloßleuten waren nur wenige zu Bett gegangen. Man hatte selbst den schweren Mosaikdächern des Schlosses nicht getraut und gefürchtet, der heulende Wütherich werde sie herabstoßen – kein Wunder, daß da das schwache Bambusdach des indischen Hauses in Stücke zerpflückt worden war.

Nun breitete sich der Morgenhimmel so schuldlos klar und glänzend über die gemißhandelte Erde, und die zerzausten Bäume standen beruhigt und kerzengerade; sie verschmerzten die entrissenen Aeste, die abgeschüttelten, alten, weithin verstreuten Vogelnester, die sie treulich geschirmt, und ließen versöhnend ihre Blätter mit dem schmeichelnden Windhauche spielen, zu welchem sich der Unhold gesänftigt hatte. … In der Schloßküche aber standen die Leute zusammen und erzählten sich, die Löhn sähe aus wie ein Gespenst – selbst diesem derben Weibe, das sich doch durch nichts in der Welt aus der Fassung bringen ließe, sei der Spuk zu toll geworden; sie habe die Nacht hindurch in dem indischen Hause gewacht, da sei ihr das Dach buchstäblich über dem Kopfe weggerissen worden; die Sterne am Himmel hätten durch große Löcher in der Zimmerdecke hereingesehen, und das sei bis zum anbrechenden Morgen die einzige Beleuchtung gewesen, denn der Sturm habe keine Lichtflamme aufkommen lassen. Und nun könne man den angerichteten Schaden nicht einmal ausbessern, denn das gäbe Lärm, und – die Indierin läge ja im Sterben. … Die Strenggläubigen des Hauses meinten, da brauche man sich freilich über das unerhörte Toben und Stürmen nicht mehr zu verwundern – wenn solch eine ungetaufte Seele „geholt“ werde, da gäbe es immer Kampf.

Liane hatte auch bis gegen Morgen gewacht. Der Sturm hätte sie wohl schlafen lassen, aber durch ihre Seele war es wie ein Fieber gegangen – es war doch eine nicht zu beschreibende Glückseligkeit, sich so geliebt zu wissen. … Wie schnell hatte sie den kleinen Koffer wieder ausgepackt und jeden Gegenstand an seinen Platz zurückgelegt, den er fortan behaupten sollte, wie die zweite Frau den ihrigen am Herzen des theuren Mannes! Ebenso waren die beiden Schlüssel eiligst ihrer Haft entlassen und das an Mainau adressirte Couvert verbrannt worden – es sollte Niemand mehr auch nur ahnen, daß sie bereits auf der Flucht gewesen. … Dann hatte sie an Ulrike geschrieben, mit fliegender Feder alle Stadien ihrer Leiden und Anfechtungen durchlaufend, bis – zum glückseligen Ausgange.

Der darauf folgende Schlaf in den Morgenstunden hatte sie unbeschreiblich erquickt, und als die Jungfer die Vorhänge auseinanderschlug und die Fensterflügel öffnete, da meinte die junge Frau, der Himmel habe noch nie in solch krystallenem Blau über ihrem Leben gestanden, die Morgenluft nie so balsamisch ihr Gesicht umschmeichelt, selbst nicht in Rudisdorf, wo sie die frühen Tagesstunden stets allein mit den theuren Geschwistern verbracht hatte. … Mit Vorbedacht legte sie ein veilchenfarbenes Kleid an, von welchem Ulrike gesagt, daß es ihr gut stehe – o, sie war coquett geworden. Sie wollte Mainau gefallen.

Wie gewöhnlich Leo an der Hand führend, trat sie in den Frühstückssaal. Sie wußte, daß ihr gehässige Demüthigungen von Seiten des Hofmarschalls bevorstanden, denn sie hatte ihm gestern verachtend den Rücken gewendet, und nun kam sie, ihm seine Morgenchocolade zu credenzen. Es galt, die Zähne zusammenzubeißen und einen gewissen stoischen Muth herauszukehren. … Wie der Hofprediger gestern Abend im Schlafzimmer des alten Herrn die Karten gemischt, um sich selbst aus der Affaire zu ziehen, das war ihr freilich dunkel. Hanna hatte ihr in der neunten Stunde Leo gebracht – er war ja bis dahin auch im Schlafzimmer des Großpapa gewesen; aber aus Allem, was er plauderte, mußte sie schließen, daß es keineswegs laut und leidenschaftlich zwischen den beiden Herren zugegangen war; ja, sie hatten sogar Schach gespielt.

Beim Eintritte in den Saal mußte sie an den ersten Morgen denken, den sie in Schönwerth verlebt. Der Hofmarschall saß am Kaminfeuer, und Frau Löhn, die allem Anscheine nach eben erst eingetreten, stand einige Schritte von ihm entfernt. Ohne die ungeschlachte Verbeugung der Beschließerin zu beachten, stemmte er beide Hände auf die Armlehnen seines Stuhles, und den Oberkörper ein wenig emporhebend, bog er sich blinzelnd vor, als traue er seinen Augen nicht.

„Ei, da sind Sie ja, meine Gnädigste!“ rief er. „Dachte ich mir doch gleich, als Sie uns gestern Abend so – so brüsk verließen und Ihren längst beabsichtigten Besuch in der Heimath zu einer so ungewöhnlichen Zeit antreten wollten, daß Sie sich bei kälterem Blute dem doch anders besinnen würden. … Freilich, bei dem Sturme aber auch! Und dann haben Sie sich doch wohl auch ein wenig überlegt, daß ein solch plötzliches freiwilliges Verlassen unseres Hauses bei einer etwaigen gerichtlichen Entscheidung schwer in die Wagschale fallen und – die Abfindungssumme bedeutend schmälern dürfte – klug genug sind Sie ja, kleine Frau.“

Sie war im Begriffe, wieder hinauszugehen; sie fühlte sich der Aufgabe nicht gewachsen. Wo war Mainau? Er hatte ihr versprochen, sie nie allein zu lassen. … Leo bemerkte erstaunt ihr Zögern – das Kind begriff ja nicht, welche Beleidigungen

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874). Leipzig: Ernst Keil, 1874, Seite 254. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1874)_254.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)