Seite:Die Gartenlaube (1874) 257.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1874)

des Sachsen und besonders des sächsischen Bauern im Verkehre mit andern Gewalten des öffentlichen Lebens, das wohl zum Schweigen gebracht werden kann, aber immer wieder hervorbricht, das geduldig wartet, bis, wie er sich ausdrückt, „Recht wieder Recht wird“. Unter der Kaiserin Maria Theresia galt der Uebertritt zur katholischen Kirche für ein Mittel, auch wohl einen sonst verzweifelten Proceß zu gewinnen. So hatte eine magyarische Gemeinde, wie die Sachsen glaubten, einen Grenzproceß gegen eine sächsische dadurch gewonnen, daß ein Theil ihrer Bewohner katholisch wurde. Als Joseph der Zweite auf seiner Reise durch Siebenbürgen in die Nähe jener Gemeinde kam und ihre Bewohner zu seiner Begrüßung herbeieilten, drehte sich der Sachse, der ihn fuhr, im Sattel um und sagte: „Herr Kaiser, dies sind die schlechten Leute, die, um einen Busch zu bekommen, katholisch geworden sind.“

Und als der Kaiser erwiderte: „Sie werden ihn auch behalten,“ fiel der Bauer rasch ein: „Oho, das lassen unsere Herren nicht zu.“

Wo das Recht auf friedlichem Wege nicht zu erwarten war oder zu lange ausblieb, da trat auch wohl die Selbsthülfe in rohester Gewaltthat in Wirksamkeit. 1277 verbrannte der Sohn des Richters Alard von Salzburg, welches damals eine sächsische Gemeinde war, mit seiner Freundschaft die Domkirche von Weißenburg mit nahe an zweitausend Menschen, welche sich in dieselbe geflüchtet hatten, mit Reliquien, Kreuzen, geistlichen Gewändern und sonstigen Kirchenschätzen, weil der Bischof im Bunde mit einigen Domherren seinen Vater hatte ermorden lassen. – Als ein szekler Graf dicht an der Grenze der sächsischen Gemeinde Tartlau eine Burg erbaute, lud er zur Einweihung derselben auch die sächsischen Nachbarn ein. Beim lauten Mahle wurde der Burgherr gefragt, wie die Feste heißen werde. „Zwingburzenland“ (Burzenland heißt der Gau, zu dem Tartlau gehört) war die höhnende Antwort. Da erhebt sich der Richter von Tartlau und ruft: „Heißt sie denn Zwingburzenland, so wird sie auch zerstören unsere Hand“ und verläßt mit seinen Genossen die ungastliche Stätte. In einer der nächsten stürmischen Nächte reitet die Sachsengemeinde vor das drohende Schloß, das an folgenden Morgen nur ein wüster Trümmerhaufen mehr ist. Die Schloßthür nahmen sie mit und zeigen sie dem Fremden heute noch in der eigenen „Burg“.

Neueren Datums und mehr sagenhaft ist Folgendes. Eine sächsische Gemeinde hatte viel zu leiden von der bösen Nachbarschaft einer walachischen und sah in fortwährenden Feuersbrünsten, deren Entstehung sie dieser zuschrieb, ihre Habe verzehrt. Vergebens war Warnung und Drohung und unsicher die Aussicht auf gerichtlichen Schutz, da die Nachbargemeinde nicht auf Sachsenboden lag. Da brennt es an einem stürmischen Abend wieder einmal. Das Feuer wird gelöscht. Aber der Richter „warnt“, das heißt beruft die Geschworenen. Die Rosse werden gesattelt, von der Brandstätte nehmen die ernsten Reiter die glühenden Brände, und fort geht’s im nächtlichen Sturme zur Nachbargemeinde, die, an allen Ecken und Enden angezündet, in wenig Augenblicken in Asche sinkt. Seither hat die Sachsengemeinde lange Zeit Ruhe gehabt.

Dieses Selbstgefühl in der Bauerngemeinde fand seine Nahrung in der politischen Verfassung der Ansiedler, deren Grundzüge so alt sind, wie die Einwanderung, und die, von Ungarns Königen und Oesterreichs Kaisern, wenn auch nicht ohne Einschränkungen, behütet, dem magyarischen „Parlamentarismus“ ein Dorn im Auge geworden, so daß er jetzt eben den kühnen Versuch macht, die Liebe zum gemeinsamen Vaterlande für die nichtmagyarischen Nationalitäten aus der Asche alles dessen zu destilliren, was ihnen bisher werth und dem Staate nützlich gewesen. Der Richter der Dorfgemeinde hatte seinen Sitz in der Gauversammlung neben dem „Königsgrafen“, und im Stuhle gehörten zum Stuhlamte außer den gelehrten Herren, die am Vororte saßen, die „Stuhlgeschworenen“ oder „Stuhlherren“ aus den bedeutenderen freien Bauerngemeinden, welche zuweilen so gewaltig waren, daß, wenn sie heimritten, der Königsrichter sich nicht geschmäht fühlte, ihnen in den Sattel zu helfen.

Wie der hohen Aristokratie, so ist es dem freien Bauern von Haus aus eigen, die Formen des äußeren Umganges strenger zu ordnen und zäher festzuhalten. Wo beides sich lockert, da ist es ein Zeichen einer in ihrer rechten, guten Bauernart herabkommenden Gemeinde. Die Form hält hier oft allein noch das Wesen empor. Die „aufgeklärten“ Leute nennen das zuweilen altfränkisch; wer tiefer sieht, erkennt unter der starren Rinde einen wohlbehüteten gesunden Kern. Der siebenbürgisch-sächsische Bauer redet seines Gleichen mit „Ihr“ an; die selbstständigen Gemeindeglieder sind „Bürger“, nicht „Leute“; der Gemeindeausschuß wird „Herren“ titulirt; der Dorfvorsteher (in Deutschland Schulze oder Bürgermeister, hier „Honn“, „Graf“ oder „Richter“ genannt) heißt „ihre Weisheit“; die Communität, das Amt und die Geschworenen (d. h. Beisitzer des Gemeindeamtes) nennt man „ehrsam“. Wer unverheirathet ist und keinen eigenen Hausstand führt, wird geduzt, gehört zum „jungen Volke oder Gesinde“ und der Einzelne heißt noch gut altdeutsch „Knecht“ oder „Magd“, auch wenn er in keinem fremden Dienstverhältnisse steht. Der „Borger“ ist das Executivorgan des Richters und führt – wie der Richter selbst – einen oft geschälten Haselstab als Zeichen des Amtes. Er „warnt“ die „Zehntschaften“, in welche die politische Gemeinde sich gliedert, wie die kirchliche in Nachbarschaften, und an deren Spitze die Zehntmänner stehen, und besorgt den ehrlichen Trunk, von welchem, häufiger als gut thut, die Arbeit des Amtes und der Communität begleitet oder geschlossen wird. Ganz wie in Tacitus’ Erzählung versammeln sie sich langsam; dann aber sitzen sie bewundernswerth fest auf den harten Holzbänken, mit ernsten Mienen, oft scheinbar theilnahmlos, während Richter und Schreiber den Gegenstand den „Herren“ „vorgeben“, oder ein Kläger, der zuvor seine „Zunge gelöst“ haben muß (d. h. durch Erlegung eines kleinen Geldbetrages das Recht zu sprechen sich erwirkte), sein Begehren vorbringt. Darauf langes Schweigen, denn schnell zur Sache sprechen ist unschicklich; endlich eine kurze Frage und rascher Spruch. Nur wo das „Recht“ oder, wie überall in der Welt, der persönliche Vortheil in’s Spiel kommt, werden der Worte mehr und gehen die Wogen von Rede und Gegenrede höher, bis endlich die Entscheidung fällt, die der diplomatische Vorsitzer häufig so lange hinausschiebt, bis die Kämpfer müde und die Kehlen durstig geworden und Niemand mehr Lust hat, den Beschluß anzufechten, wenn auch so, wie ihn der Vorsitzer endlich verkündigt, die Mehrheit für ihn vielleicht mehr als zweifelhaft schien.

Das Präsidialrecht ist groß; auf dem „Herrn“, dem „Honnen“ ruht die schwere Verantwortlichkeit für Feld und Gemeinde, und so läßt man es hingehen, wenn er zuweilen nach dem auch altmagyarischen Grundsatze die Stimme nicht zählt, sondern wägt. Vieles ordnet er auch selbstständig; doch weiß er, daß es bedenklich wäre, die Communität übermäßig lange nicht zu berufen. Die Gemeinde würde darin eine „Verschätzung“ sehen und bei der nächsten Wahl den Schuldtragenden es entgelten lassen. Daß er recht und gerecht regiere und ohne Furcht vor der Rache des Bestraften, dafür versichert die Gemeinde ihm Stall und Scheune gegen Brandschaden und sieht es in der Regel lieber, wenn er die Zügel zu straff als zu locker führt. Vor seinem Hause errichtet sie den Pferch, in den auf verbotener Weide betretenes Vieh gesperrt wird, bis der Eigenthümer es mit Strafe „löst“. Seiner vielen Mühe bester Lohn ist die Ehre; denn der Gehalt, den er in Baargeld bezieht, ist kaum nennenswerth, und das „Loos“ und das „Freithum“, das er genießt, d. h. bei jeder Auftheilung von Gemeindeeigenthum, besonders Wald und Wiese, ein Doppeltheil und die Befreiung von allen Gemeindelasten, sind auch nur eine geringe Vergütung für viel Mühe und Aergerniß und die in der Regel damit verbundene Vernachlässigung der eigenen Wirthschaft. Die größte Gefahr für ihn liegt in der allzu häufigen Gelegenheit zum Trinken; denn in Siebenbürgen wird im Bauernleben schlechthin Alles, Kauf und Verkauf, Geburt und Begräbniß, Recht und Unrecht, trinkend vollendet, und es braucht eine „starke Natur“, hier ohne Schaden mitzuthun oder zu widerstehen. Ernst, wie die Arbeit auf dem Felde und wie das Wort in der Rathsstube, nimmt der sächsische Bauer im Amte auch das Trinken. Wie die alten Senatoren Roms auf ihren Prunksesseln bei dem Eindrange der Gallier, so sitzen diese Bauern nach beendetem Rathe auf ihren Plätzen und empfangen nach Alter und Würde der Reihe nach das Glas aus der Hand des credenzenden „Borgers“, des Verwalters über die irdene Eimerkanne. Auszutrinken gilt für unanständig; aber die Summe der einzelnen Züge läßt nichts zu wünschen übrig, und es ist gut, daß in der

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1874). Leipzig: Ernst Keil, 1874, Seite 257. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1874)_257.jpg&oldid=- (Version vom 3.8.2020)