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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874)

für Aufbewahrung dieser Reserven. Dieselben Gründe, welche eine Privatperson veranlassen, sich einen Banquier zu halten, bewegen auch jeden Banquier in Bezug auf seine Reserve, wenn er es mit Sicherheit kann, bei einem anderen Banquier zu banken. Die Bewachung großer Summen, solider Casse verursacht viel Sorge und einige Kosten; Jeder wünscht diese Anderen zuzuschieben, wenn er es ohne Nachtheil kann. Alle anderen Londoner Banquiers benutzen daher wegen des vollkommenen Vertrauens in die Bank von England dieselbe zur Aufbewahrung ihrer Reserven. Die Wechselmakler machen’s vielfach ebenso. Diese sind eigentlich eine besondere Art von Banquiers, welche tägliche Zinsen auf deponirte Gelder bewilligen und meist für ihr Geld Sicherheit geben. Sie verleihen den größten Theil ihres Geldes und deponiren den Rest entweder in der Bank von England oder bei einem der Londoner Banquiers. Letztere verleihen auch beliebig viel und lassen den Rest in der Bank von England, Wir kommen zuletzt immer wieder auf die Bank von England zurück.

Aber die, welche große Summen bei einem Banquier halten, gewinnen eine Bequemlichkeit auf Kosten einer Gefahr. Sie können ihr Geld verlieren, wenn die Bank bricht. Da nun alle anderen Banquiers ihre Reserven in der Bank von England haben, so sind sie alle der Gefahr des Bankerotts ausgesetzt, wenn diese Bankerott macht. Sie sind von der Verwaltung der Bank von England abhängig und zwar gerade in Zeiten einer Krisis für das reservirte Geld, welches sie halten, um einer Schwierigkeit, einer Krisis zu begegnen. Und darin liegt sicherlich eine beträchtliche Gefahr. Die Bank von England konnte bereits dreimal (seit 1844) nur durch Gesetzesbruch und Staatsgewalt vor Bankerott gerettet werden.

Aber die Gefahr für die Depositenbanken in nicht die einzige der hauptsächlichsten Folgen von dieser Methode, die Londoner Reserven aufzubewahren. Die Hauptwirkung ist, daß die Reserven viel kleiner im Verhältniß zu den Verpflichtungen gehalten werden, als es sonst der Fall sein würde. Die Reserven der Londoner Banken befinden sich im Depot der Bank von England, und diese verleiht immer einen Haupttheil davon. Nehmen wir den günstigen Fall, daß dieses Bankdepartement mehr als zwei Fünftel ihrer Verpflichtungen in Casse besitze, drei Fünftel von ihren Depositen verleihe und blos zwei Fünftel in Reserve behalte. Beträgt nun das Depositencapital der Banquiers 5,000,000, so werden 3,000,000 von dem Bankdepartement verliehen und nur 2,000,000 zurückbehalten. Folglich sind diese 2,000,000 Alles, was die Bank von England an wirklicher Casse gegenüber den Verpflichtungen der Depositenbanken besitzt. Wenn Lombardstreet plötzlich zur Liquidation gezwungen würde und so viel zahlen müßte, als es sofort im Stande wäre, so würden diese 2,000,000 Alles sein, was die Bank von England diesen Depositenbanken geben könnte, und folglich würden diese Banken den Personen, welche bei ihnen deponirt haben, nur ebenso viel, höchstens mit Hinzufügung der kleinen Summen für das Tagesgeschäft, zahlen können.

Wir sehen also, daß die Reserven der Bank von England – neuerdings durchschnittlich 10,000,000 und früher viel weniger – Alles sind, was gegen die Verpflichtungen von Lombardstreet festgehalten wird. Wäre dies Alles, so könnten wir wohl über die ungeheuerliche Entwickelung unseres Creditsystems erstaunt sein – erstaunt über die unermeßliche Höhe unserer Schulden, zahlbar bei Sicht, und die geringfügige Summe wirklichen Geldes, welches wir halten, um gleich auf Verlangen zu bezahlen. Aber es kommt noch mehr. Lombardstreet ist nicht blos ein Ort, der verlangt, daß Reserven für ihn gehalten werden, es ist selbst ein Ort, wo Reserven gehalten werden. Alle Provinzialbanquiers lassen ihre Reserven in London aufbewahren. Sie behalten in ihrer Provinzialstadt möglichst wenig baaren Geldes für die laufenden Geschäfte dieser Stadt zurück. Sie schicken ihr Geld nach London, legen einen Theil in Sicherheiten an und halten den Rest bei Londoner Banquiers und Wechselmaklern. Schottische und irische Banquiers machen’s ungefähr ebenso. All’ ihr überflüssiges Geld ist in London und angelegt wie alles andere Geld in London. Deshalb sind die Reserven im Bankdepartement der Bank in England nicht blos die dieser Bank, sondern von ganz London, und nicht blos von ganz London, sondern von England, Schottland und Irland dazu.

Neuerdings sind unsere Verpflichtungen noch weiter und höher gestiegen. Wir können sagen, daß wir seit dem deutsch-französischen Kriege auch die Reserven von Europa in Verwahrung haben. Bankdepots sind auf dem Continente so gering, daß keine großen Reserven für dieselben gehalten zu werden brauchen. Aber alle großen Gemeindeverbände haben zuweilen große Summen baar zu zahlen, und diese müssen irgendwo vorräthig gehalten werden. Solcher Vorrathskammern gab es früher zwei in Europa, die Bank von Frankreich und die Bank von England. Aber seit Suspendirung der Speciezahlungen durch erstere ist sie kein Reservoir mehr dafür. In Folge davon ist die ganze Verpflichtung für solche internationale Baarzahlungen der Bank von England zugefallen. Nun können Ausländer ohne Zweifel uns unser Geld nicht nehmen; sie müssen „Werth“ in einer oder der anderen Form für Alles, was sie wegnehmen, schicken. Sie brauchen aber nicht baares Geld zu senden; sie mögen gute Wechsel in Lombardstreet präsentiren und sie discontiren lassen und dafür jeden Theil des Werthes oder den ganzen baar entnehmen. Mit anderen Worten heißt dies nur, daß sich alle Wechseloperationen mehr und mehr in London concentriren. Früher war Paris für viele Geldgeschäfte ein europäisches Abrechnungshaus; jetzt ist es das nicht mehr. London ist deshalb das einzige große Abrechnungshaus für europäische Wechselgeschäfte geworden. Und diesen Vorzug wird es wahrscheinlich behaupten; aber die damit verbundenen Gefahren schildert der Verfasser als so groß, so sachverständig durchsichtig, daß alle Personen, die irgendwie mit Wechseln zu thun haben, mit geborgtem Gelde arbeiten oder verliehenes beschäftigen, nichts Vortheilhafteres thun können, als sich durch genaues Lesen seines Buches mit der Größe und Bedrohlichkeit dieser Gefahren vertraut zu machen. Giebt er doch zugleich auch die sichersten Mittel an, wie England und jeder Einzelne sich dagegen schützen müsse, um nicht „reinzufallen“.

Dr. H. Beta.




Oxford und Cambridge auf der Themse.


Von Dr. Karl Damian.


„Oxford oder Cambridge! dunkelblau oder hellblau!“ dies waren die Gegensätze, die in den verwichenen drei Wochen die britische Hauptstadt in zwei gewaltige Heerlager spalteten. Die Wettruderfahrt der beiden großen Landesuniversitäten war auf Sonnabend den 28. März anberaumt; die betreffenden Auserkorenen rüsteten sich zu dem Turnier in täglichen Uebungsfahrten auf der Themse; die fashionable Welt setzte ihre Spazierritte nach Rotten-Row eine Weile aus, um zwischen Putney und Mortlake zu Wagen und zu Pferde dem Spiele zuzuschauen und die Chancen beider gegeneinander abzuwägen, und das ganze übrige London verfolgte tagtäglich mit verhaltenem Athem die Berichte der Tagespresse, welche alle Bewegungen der Preisruderer mit Argusaugen überwachte und mit der Genauigkeit und Langweiligkeit eines mittelalterlichen Chronisten zu Papier brachte.

Der Engländer gewöhnlichen Schlags ist von Natur ein mundfauler Geselle. Zwar ist jene Species, welche auf dem Continente vor dreißig Jahren unter der Bezeichnung der „zahmen Engländer“ gang und gebe war, die in gelben Nanking-Unaussprechlichen und carrirtem Shawl steckte und deren Unterhaltung hauptsächlich aus den drei Worten „Yes“, „No“ und „Indeed“ bestand – diese Species ist längst ausgestorben. Aber der Ideenkreis John Bull’s von heute ist nach wie vor beschränkt, und wenn wir nach den Hauptinteressen fragen, die den geborenen Londoner nach Untergang der Hahnenkämpfe und Preisboxer in größere Aufregung versetzen, so ist es besagte Wettruderei, das große Derby-Rennen, irgend ein Cricketspiel und im Herbste die Frage, ob Ramsgate oder Margate der dem Beutel und dem Stande angemessenste Ausfluchtsort sei; für die

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874). Leipzig: Ernst Keil, 1874, Seite 262. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1874)_262.jpg&oldid=- (Version vom 3.8.2020)