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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874)

No. 20.   1874.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Herausgeber Ernst Keil.

Wöchentlich bis 2 Bogen.    Vierteljährlich 16 Ngr. – In Heften à 5 Ngr.



Die zweite Frau.
Nachdruck verboten und
Uebersetzungsrecht vorbehalten.
Von E. Marlitt.


(Fortsetzung.)


„Fast könnte ich mich fürchten,“ sagte Mainau mit verächtlicher Ironie, „stünde ich nicht da auf meinen eigenen Füßen. … Ich weiß, wo Du den Hebel ansetzen willst. Weil ich meinem katholisch getauften Kinde eine protestantische Mutter und einen freisinnigen Theologen als Religionslehrer gegeben habe, so ist die Kirche berechtigt, die ihr gehörige Seele zu reclamiren, respective zu retten. Die Rechte des Vaters kommen denen des päpstlichen Stuhles gegenüber selbstverständlich gar nicht in Betracht. Wer wird denn um eine solche unerhebliche Kleinigkeit rechten in einer Zeit, wo der Endspruch des weltlichen Herrschers, die Beschlüsse der Volksvertretung als Seifenblasen von Rom aus ignorirt werden! … Ich könnte mich auf die Linie stellen, wo der erbitterte Kampf gegen die clericale Anmaßung entbrannt ist, wenn ich nicht vorzöge, die schwarze Schaar allein, als einzeln Angegriffener, auf der Mensur zu erwarten – mag sie kommen!“

„Sie wird kommen – darauf verlasse Dich! Deine frevelhafte Opposition wird gezüchtigt werden, wie sie es verdient, und wie es alle Treugesinnten wünschen müssen,“ rief der Hofmarschall in namenloser Erbitterung. „Poche Du nur auf Deinen Geist, auf den Kopf, mit dem Du glaubst durchrennen zu können – gerade mit ihm wirst Du kläglich Fiasco machen! Frage morgen Alle, die drinnen bei Hofe sind! Nicht Einer wird Dir zugeben, daß Du heute Abend im vollen Besitze Deiner Geisteskräfte gewesen bist. Ein Mensch mit seinen gesunden fünf Sinnen, einem ungetrübten Gehirne –“

„‚Trägt nicht seinen Kopf fest auf dem geraden Rücken, sondern kriecht und scherwenzelt vor den Mächtigen‘, willst Du sagen?“

„Ich will sagen: Dein Thun und Treiben, Dein ganzes Gebahren ist in den letzten Tagen ein so auffälliges geworden, daß ein ärztlicher Ausspruch wird entscheiden müssen,“ schrie der alte Herr, blind vor Wuth.

„Ah! Das die Bresche, durch welche mir die weltliche Macht beikommen wird.“ Eine tiefe Blässe überflog secundenlang die Wangen des schönen Mannes. Er war tiefergrimmt; aber die Arme über der Brust verschränkt, sagte er leichthin, wenn auch in beißendem Tone: „Ich wundere mich über Dich. Es ist eines so gewiegten Diplomaten und Hofmannes nicht würdig, im Zorne einen ganzen geheimen Feldzugsplan zu verrathen. … Also wenn der Kampf mit den Clericalen glücklich ausgefochten ist, dann tritt der Gerichtshof auf und erklärt den Mann für ‚unzurechnungsfähig‘, eben weil er gekämpft hat, und weil eine ganze große Hofgesellschaft – Ihre Hoheit, die Frau Herzogin, selbstverständlich an der Spitze – eidlich erhärtet, daß er eines Abends nicht bei Sinnen gewesen ist.“

Der Hofmarschall erhob sich. „Ich muß bitten, die erhabene Frau vor meinen Ohren nicht zu verunglimpfen,“ protestirte er kurz mit seiner abscheulich schnarrenden Stimme. „Uebrigens habe ich Dir diesen sogenannten geheimen Feldzugsplan geflissentlich mitgetheilt. Du sollst ihn wissen, weil ich den Handel nicht bis zum Aeußersten kommen lassen möchte, weil ich als ein Mainau mich verpflichtet fühle, einen Scandal, ein öffentliches Aergerniß von unserem Namen so lange wie möglich abzuwehren. Ich kann aber auch von meiner Forderung nicht um ein Jota abgehen, schon um meines heimgegangenen, strenggläubigen Kindes willen, und deshalb frage ich Dich kurz und bündig: ‚Willst Du mir Leo freiwillig überlassen, an den ich ein heiliges Anrecht habe, so gut wie Du –‘“

Er kam nicht weiter. Mainau unterbrach ihn mit einem hellen, scharfen Auflachen. In dem Momente glitt die junge Frau unbemerkt in das Ankleidezimmer und von da in den Säulengang. Nicht einen Augenblick länger durfte sie zögern. Das beispiellos anmaßende Auftreten des Hofmarschalls ließ nur zu deutlich erkennen, daß er auf mächtige Streitkräfte zu Gunsten seiner unberechtigten Forderung pochen durfte. Der siegesgewisse, erbärmliche Höfling mit den mörderischen Händen mußte heute zum zweiten Male stürzen – jetzt aber durch die eigene schwere Schuld! … Wie that ihr das Herz weh im Mitgefühle für Mainau! Wie liebte sie ihn, der so mannhaft gegenüberstand den unvermeidlichen Folgen, die seine Neigung für sie heraufbeschworen!

Sie vergaß, daß sie Capuchon und Mantille im Salon zurückgelassen; sie sah auch nicht, wie die auf den Lärm der streitenden Stimmen horchenden Lakaien im Vestibule zurückwichen vor der eilig daherrauschenden Frauengestalt, die, Haupt und Nacken unbedeckt und feenhaft geschmückt, in die Mondnacht hinausflog.

Der indische Garten breitete sich hin, so fremdartig, so silbern funkelnd im Mondlichte, wie in jener ersten Nacht, die sie in Schönwerth verlebt – aber welch ein Contrast zwischen heute und damals! Noch in diesen nächtlichen Stunden brachen die morschen Verhältnisse unter den Streichen der Nemesis zusammen, wie der Sturm mit Einem Griffe die gewaltige Banane dort umgestürzt hatte.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874). Leipzig: Ernst Keil, 1874, Seite 315. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1874)_315.jpg&oldid=- (Version vom 30.5.2018)