Seite:Die Gartenlaube (1874) 344.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1874)

den reichen Hochländern jenseit des Gebirges durch vier Schienenwege verbunden werden, die an Kühnheit und Großartigkeit nicht ihres Gleichen haben, außer, wenn wir die Verschiedenheit der zu Gebote stehenden Mittel in Betracht ziehen, vielleicht die berühmten alten Inkastraßen, durch welche in früherer Zeit schon die gleichen Zwecke und zum Theil auf derselben Linie erstrebt wurden.

Die Kosten sämmtlicher projectirter Bahnen sind auf mehr als vierhundert Millionen Thaler veranschlagt. Die wichtige Bahnstrecke, welche von Lima aus über einen bis zu viertausendsechshundertneunundvierzig Meter aufsteigenden Paß nach Oroya im Xauxathale führen wird, geht unter der Leitung des Bauunternehmers Henry Meiggs schnell ihrer Vollendung entgegen; auf einer südlicheren Strecke keucht schon das Dampfroß von Arequipa über die Cordilleren bis nach Puno am dreitausendachthundertzweiundvierzig Meter hoch liegenden großen und schönen Titicacasee, auf welchem, Dank der Energie der peruanischen Regierung, seit Kurzem zwei tüchtige Dampfboote den Verkehr vermitteln. So ergreift denn die Cultur auch Besitz von jenen bisher fast unzugänglichen Gebieten und bald wird die Locomotive den Reisenden auf glattem Schienenwege von der Meeresküste in wenigen Stunden bis fast zur Montblanc-Höhe emporführen, von den heißen Küstenstrichen in die kalte dünne Luft der hohen Engpässe und nach den Hochebenen und prächtigen Thälern im Herzen jener großartigen Gebirge.

Vorläufig aber müssen wir noch, wenn wir das Innere Bolivias auf dem Wege nach La Paz bereisen wollen, die Bahn von Arica nach Tacna benutzen und uns hier dem Rücken eines Maulthieres oder sicheren Pferdes anvertrauen, oder schon in Arica satteln, wenn wir den zweiten Weg nach Cochabamba einzuschlagen gedenken. Nachdem wir die heiße Sandwüste der Küste passirt haben, reiten wir auf beschwerlichen Wegen über die immergrünen Ausläufer der Cordilleren, durch die Steinklee-(Alfala) und Cacteen-Regionen und erreichen endlich in zwei anstrengenden Tagereisen die berüchtigten Engpässe des Hochgebirges.

An der Küste hatten wir 25 bis 28 Grad Réaumur Wärme; hier oben finden wir eine merklich dünnere Luft und 2 bis 3 Grad Réaumur Kälte. Ein schneidend scharfer Wind macht uns erschauern. Den Neuling befällt hier ein Leiden, das höchst unangenehm, ja gefährlich werden kann, die Bergkrankheit, von der freilich die Gebirgsindianer vollständig frei sind. In Folge der in dieser Höhe außerordentlich verdünnten Luft, in welche der Reisende beim Aufsteigen in verhältnißmäßig so kurzer Zeit gelangt, treten bald Herzklopfen, Ohrensausen, Athembeschwerden und Blutspeien ein, hierzu gesellen sich Uebelkeit, Kopfschmerz und Schwindel und steigern sich oft so, daß Ohnmachten eintreten und der Kränke gänzlich entkräftet und hülflos wird. Auch viele Hausthiere, welche auf jene Höhen gebracht werden, werden von diesem Leiden befallen und erliegen demselben häufig.

Bald gelangen wir auf das Puna-Plateau des Gebirges, den Despoblado, bei dessen Anblick selbst unser Führer, ein kupferbrauner Aymara-Indianer des Hochlandes, freudig in die Hände schlägt und ruft: „Auki tukunjama“, „Vater, ich preise Dich.“ Der Despoblado d. h. „das unbevölkerte Land“ breitet sich vor unseren Blicken in einer weiten von kolossalen Schneebergen begrenzten Fläche aus, auf der sanfte Hügel und groteske Trachytwände öfter mit zerrissenen Betten von Gebirgsbächen und kleinen See abwechseln. Die Gegend ist nicht monoton, aber es herrscht dort eine Todtenstille, nur unterbrochen vom Sausen des durch das spärliche Gras und Gestrüpp streichenden Windes. Ein Trupp Vicuñas, die vielleicht aus tieferen Zonen verjagt wurden, flieht in der Ferne und verschwindet in einer Bergspalte; dann und wann fliegen kreischend einige Wasservögel von einer Lagune auf. Sonst großartige Einsamkeit ringsum. Da erschallt plötzlich ein Glöckchen und die Töne einer Flöte dringen in einfacher hübscher Melodie zu unserem Ohre. Wir lauschen – und siehe da, zwischen den Hügeln vor uns tauchen die langen Hälse mehrerer Lamas auf, von denen eines das Glöckchen am Halse trägt. Der Flötenspieler, der Besitzer der Lamas, ein Indianer der Pampa-Hochebene, eilt auf uns zu und küßt unsere Steigbügel mit abgezogenem Hute und dem üblichem Gruße: „Dios aski uru tschuratam“ (Gott schenke Dir einen guten Tag), den wir mit „Humarus ukamaraki“ (Dir ebenfalls) erwidern. Es ist ein Transportzug von Kupfererzen der fünf Tagereisen entfernten Gruben von Corocoro, aus denen während ihres kaum vierzigjährigem Bestehens schon Millionen von Centnern gewonnen und auf diese Weise nach der Küste des Stillen Oceanes verschickt wurden.

Nach kurzem Halt setzt die Karawane ihren Marsch fort. Die Lamas schreiten mit ihrem eigenthümlichen klagenden Tone an uns vorüber, indem sie uns neugierig betrachten; der zottige Hund, der sie begleitet, zeigt uns die Zähne, unterläßt aber das Bellen, da seine Aufmerksamkeit durch den Geruch des halbverwesten Gerippes eines seiner Last hier unterlegenen Maulthieres von uns abgelenkt wird. Die Frau des Indianers wirft wieder ihre Spindel aus, mit der sie selbst im Gehen geschickt zu spinnen versteht, und der Indianer stimmt wieder seine Weise an, unbekümmert um seinen mächtigen schnellfüßigen Concurrenten, die Locomotive, welche bald mit schrillem Pfeifen die feierliche Stille dieser Hochebene unterbrechen und seinen Thieren die Lasten abnehmen wird.

Es ist ein eigenes Volk, diese Indianer. Mit einer Ausdauer, die für sie sprüchwörtlich geworden, beschäftigen sie sich hauptsächlich mit der Zucht und Dressur der Lamas, und wenn auch erstere keine besondere Geduldsprobe beansprucht, letztere fordert diese um so mehr. Das Lama ist von Natur ein störrisches Thier, welches sich nicht sogleich dem Willen des Menschen fügt, am wenigstem aber, wenn es körperlich gezüchtigt wird. Dann sprühen boshafte Blicke aus seinen großen braunen Augen; es stampft mit den Vorderfüßen, schlägt mit großer Kraft und Gewandtheit aus und speit seinem Zuchtmeister einen Speichel in’s Gesicht, der Hautflocken und Augenentzündungen verursacht. Ein wüthendes Lama läßt sich eher todtschlagen, als daß es einen Schritt gegen seinen Willen thut. Doch der Indianer weiß mit ihm fertig zu werden; er hat Geduld, viel Geduld, und Dank dieser bringt er es endlich so weit, daß ihm sein Zögling nicht allein gehorcht, sondern sogar große Zuneigung zu ihm gewinnt, die er ihm dann auch bewahrt.

Der Indianer legt dem Lama vor dem vierten Jahre keine Last auf; letztere steigert er auch nur allmählich vom Viertel- bis zum ganzen Centner; eine größere Last bürdet er ihm nicht auf und läßt ihn dieselbe in einem Tage auch höchstens fünf Leguas (vier deutsche Meilen) weit transportiren. Und doch vermögen diese großen starken Thiere, die man freilich nicht mit den verkümmerten Exemplaren unserer zoologischen Gärten vergleichen darf, recht gut das Doppelte zu tragen, wenigstens auf kürzeren Entfernungen. Ich selbst habe mir öfter den Spaß vergönnt, Lamas zu reiten. Freiwillig galoppirten sie mit mir, der ich mich keineswegs zu den Leichten rechne, ohne große Anstrengung davon. Man reitet die Lamas (jedoch mehr zur Belustigung) ohne Sattel und ohne Zaum. Ersterer wird durch die dicke Wolle des Rückens zur Genüge ersetzt; als letzterer dienen Hals und Ohren, d. h. man hält sich mit der einen Hand an der Wolle des Nackens fest und versetzt mit der andern kleine Schläge an das rechte oder linke Ohr, je nachdem man das Thier nach links oder rechts dirigiren will. Uebrigens erfordert das Reiten auf dem beweglichen Felle immerhin Geschicklichkeit. Hat man einmal das Gleichgewicht verloren, so kann man ziemlich sicher sein, neben der Bekanntschaft mit der Erde auch noch die eines Schnellschlages zu machen.

Der Indianer verwendet nur die männlichen Lamas zum Lasttragen; die weiblichen dienen ausschließlich zur Fortzucht; selbst Wolle müssen ihm die männlichen unverhältnißmäßig mehr als die weiblichen lassen; sie genießen überdies noch das besondere Vorrecht, ihre eigene Wolle zu Markte zu tragen. Der Indianer lebt in gutem Einverständnisse mit seinen Lamas, die er fast mehr liebt als seine Frau und Kinder. Daß ihm diese Liebe auch erwidert wird, sieht man an der Anhänglichkeit, mit welcher die sonst menschenscheuen Thiere zu ihm halten. Sie lagern, von der Weide zurückgekehrt, um seine Hütte, die dürftige Aeßung wiederkäuend; ohne Stallung oder sonstigen Schutz gegen die in jenen Gegenden oft schnell wechselnde Kälte und Wärme, oder gegen Regen, Schnee, Hagel und Wind, sind sie zufrieden mit den saftlosen Gräsern der Einöde, und können, als echte Südamerikaner, Alles ertragen, Alles entbehren. Sie folgen ihrem Herrn als Lastträger auf seinen Märschen über die unfruchtbare, rauhe Hochebene, tagelang hungernd und durstend und so das Schicksal ihres Herrn und Gebieters theilend, der sein Leben während jener Märsche auch nur kärglich

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1874). Leipzig: Ernst Keil, 1874, Seite 344. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1874)_344.jpg&oldid=- (Version vom 3.8.2020)