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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874)

Gemach. Es lag zwar dicht neben dem Saale, aber die halb geschlossenen Portièren schieden es von demselben, und völlig einsam und matt erleuchtet, bot es wenigstens ein minutenlanges Alleinsein Dem, der danach verlangte. Der junge Mann hatte sich in einen Sessel geworfen und schaute träumend vor sich hin. Woran er dachte, das wagte er sich vielleicht selbst nicht zu gestehen, und doch verrieth es sein jähes Auffahren beim Klange einer Stimme, die im Tone leichter Ueberraschung sagte:

„Ah Signor Almbach, Sie hier?“

Es war Signora Biancona; ob sie beim Eintritte den bereits Anwesenden wirklich nicht bemerkt hatte, ließ sich nicht entscheiden, denn sie fuhr mit voller Unbefangenheit fort:

„Ich suchte auf einen Augenblick Erholung von der Hitze und dem Gewühle des Salons. Auch Sie haben sich der Gesellschaft so kurz nach Ihrem Triumphe entzogen?“

Almbach hatte sich schnell erhoben. „Wenn von Triumphen die Rede ist, so bleibt wohl kein Zweifel, wer sie heute feiert. Meine improvisirte Leistung vermag sich nicht entfernt mit dem zu messen, was Sie dem Publicum gaben“

Die Sängerin lächelte. „Ich gab ihm auch nur Töne, wie Sie, aber ich gestehe Ihnen offen, daß es mich überrascht hat, erst heute und hier von einem Künstler zu hören, der gewiß schon längst –“

„Verzeihung, Signora,“ unterbrach sie der junge Mann kalt. „Ich habe bereits im Salon erklärt, daß ich nur auf Dilettantismus Anspruch machen darf. Ich gehöre dem Kaufmannsstande an.“

Derselbe Blick der Verwunderung, den er bei Welding im Theater gesehen, streifte hier zum zweiten Male das Gesicht Almbach’s.

„Unmöglich! Sie scherzen!“

„Weshalb unmöglich, Signora? Weil ich ein schwieriges Bravourstück geläufig vorzutragen vermochte?“

„Weil Sie es so vorzutragen vermochten und weil –“ sie sah ihn eine Secunde lang fest an und setzte dann mit voller Bestimmtheit hinzu: „weil Ihr Antlitz den Stempel zeigt, den, wie man sich immer einbildet, das Genie an der Stirne tragen muß.“

„Sie sehen, wie sehr der Schein bisweilen trügt.“

Signora Biancona schien dieser Ansicht nicht beizustimmen; sie ließ sich auf den Divan nieder; das helle Gewand legte sich leicht und luftig wie eine Wolke auf den dunklen Sammet.

„Ich bewundere Sie,“ begann sie von Neuem, „daß Sie im Stande sind, mit solchen künstlerischen Anlagen sich einem Alltagsberufe zu widmen. Mir wäre das unmöglich. Ich bin in der Welt der Klänge und Töne aufgewachsen und vermag nicht zu begreifen, wie sich in ihr noch Raum finden kann für andere Pflichten.“

Es lag eine diesmal unverhohlene Bitterkeit in der Stimme des jungen Mannes, als er entgegnete: „Ihre Heimath ist auch Italien, die meine – eine norddeutsche Handelsstadt. In unserem Alltagsleben ist die Poesie nur ein seltener, flüchtiger Gast, dem oft genug die Stätte versagt wird. Die Arbeit, das Mühen um den Erwerb steht immer und ewig im Vordergrunde.“

„Auch bei Ihnen, Signor?“

„Es sollte wenigstens dort stehen; daß es nicht immer der Fall ist, hat Ihnen wohl mein musikalischer Versuch gezeigt.“

Die Sängerin schüttelte zweifelnd das Haupt. „Ihr Versuch? Ich möchte darauf hin Ihre Meisterschaft kennen lernen. Aber es kann doch unmöglich Ihre Absicht sein, dieses Talent der Oeffentlichkeit ganz zu entziehen und es nur im Kreise der Ihrigen zu üben?“

„Im Kreise der Meinigen?“ wiederholte Almbach mit eigenthümlicher Betonung. „Ich pflege dort keine Taste anzurühren, am wenigsten in Gegenwart meiner Frau.“

„Sie sind bereits vermählt?“ fragte die Italienerin rasch, während eine momentane Blässe ihr Antlitz überflog.

„Ja, Signora.“

Es klang schwer und kalt dieses Ja, und der halb spöttische Ausdruck, der einen Augenblick lang um die Lippen der Sängerin spielte, als sie den kaum vierundzwanzigjährigen Mann betrachtete, verschwand vor diesem Tone.

„Man vermählt sich, wie es scheint, sehr früh in Deutschland,“ bemerkte sie ruhig.

„Bisweilen.“

Die junge Italienerin schien die Pause, welche diesen Worten folgte, etwas peinlich zu finden; sie ging rasch zu einem anderen Thema über.

„Ich fürchte, Sie haben bereits das Examen bestehen müssen, vor dem ich Sie vorhin warnte. Die Gesellschaft war nichtsdestoweniger entzückt von Ihrem Vortrage.“

„Vielleicht!“ sagte der junge Mann halb verächtlich. „Und doch war er sicher nicht für die Gesellschaft bestimmt.“

„Nicht? Und wem galt er denn?“ fragte Signora Biancona den Blick fest auf ihn richtend.

Auch er sah sie an; es lag etwas Verwandtes in den beiden Augenpaaren, die jetzt einander begegneten, beide groß, dunkel und räthselhaft. Auch in dem Blicke Almbach’s leuchtete der gleiche Strahl, wie in dem der Künstlerin; auch dort flammte eine heiße leidenschaftliche Seele; auch dort schlummerte in der Tiefe der dämonische Funke, der so oft das Erbtheil genialer Naturen ist und ihnen zum Fluche wird, wenn keine schützende Hand ihn mehr behütet, wenn er zur Flamme angefacht wird, die dann nicht mehr Licht, sondern nur noch Verberben bringt.

Er trat einen Schritt näher und dämpfte die Stimme, aber die tiefe Erregung darin verrieth sich doch.

„Nur der Einen, die mir und uns Allen vor wenig Stunden die höchste Schönheit und die höchste Poesie verkörperte, getragen von den Tönen eines unsterblichen Meisterwerkes. Man hat Ihnen heute tausendfach gehuldigt, Signora! Was die Begeisterung nur zu erfinden vermochte, das legte man zu Ihren Füßen. Der Fremde, Unbekannte wollte Ihnen doch auch sagen, wie sehr er Sie bewundert, und da that er es denn in der Sprache, die Ihrer allein würdig ist. Ganz fremd ist sie auch mir nicht geblieben.“

In der Huldigung lag etwas, was sie über jede Schmeichelei erhob, der Ton echter, voller Begeisterung, und Signora Biancona war doch Künstlerin genug, um diesen Ton zu kennen, Weib genug, um zu ahnen, was sich dahinter barg; sie lächelte mit bezaubernder Anmuth.

„Nun, ich habe es ja gesehen, wie sehr diese Sprache Ihnen zu Gebote steht. Werde ich sie nicht öfter von Ihnen hören?“

„Schwerlich!“ sagte der junge Mann düster. „Sie kehren, wie ich höre, in Kurzem nach Italien zurück, ich – bleibe hier im Norden. Wer weiß, ob wir je wieder einander begegnen.“

„Unser Impressario beabsichtigt bis zum Mai hier zu bleiben,“ fiel die Sängerin rasch ein. „Da wird unsere heutige Begegnung doch wohl nicht die letzte sein? Gewiß nicht, ich rechne bestimmt darauf, Sie wiederzusehen.“

„Signora!“ Das leidenschaftliche Aufflammen Almbach’s dauerte nur eine Secunde. Es schien ihn plötzlich eine Erinnerung oder Warnung zu durchzucken; er trat zurück und verneigte sich tief und fremd.

„Ich fürchte, es muß die letzte sein – leben Sie wohl, Signora!“

Er war fort, noch ehe es der Sängerin möglich war, ein Wort der Befremdung über diesen seltsamen Abschied zu äußern, und es schien ihm Ernst damit zu sein, denn nicht ein einziges Mal während des ganzen Abends näherte er sich wieder dem verhängnißvollen „Sonnenkreise“.

(Fortsetzung folgt.)




Das besuchteste Schwabenkloster.


Auf der Eisenbahnstrecke, welche Stuttgart und Bruchsal verbindet, vernimmt der Reisende zwischen Bretten und Mühlacker den Ausruf des Schaffners: „Station Maulbronn!“ Und wenn der Name, der so berühmten Klang hat, ihn an das Wagenfenster lockt, weil bei demselben ihm Klostermauern und Thürme im Geist emporsteigen, so wird er freilich rasch enttäuscht, denn er muß Glück haben, wenn im Vorbeifahren in dreiviertelstündiger Entfernung ihm die Häuser des Dorfes gleichen Namens

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874). Leipzig: Ernst Keil, 1874, Seite 366. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1874)_366.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)