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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874)

stehenden Baum und sehe dem Treiben zu, dessen Bedeutung ich aus alter Zeit kenne. Die blendend weißen Fürtücher der Mädchen schimmern mir entgegen. Die mit grün- und rothseidenen Bändern umbordeten Röcke von allen Farben, die mit Iltis- oder Marderpelzen breit besetzten Kappen der Knaben, ihre mit blinkenden stählernen Knöpfen dicht besetzten Wämse, die scharlachenen Brusttücher verkünden mir die originelle bunte Sonntagspracht und den schimmernden Wohlstand des Heimathortes.

Doch indem ich auf dieses bunte Treiben schaue, muß ich, im Fluge gleichsam, des schönen Spieles gedenken, das hier vorgeht. Beim Beginne des Frühlings, wenn in den Matten und an den Rainen der Rebhügel und der Wege das Veilchen und die Himmelsschlüssel erst aufblühen, machen die Mädchen des Dorfes schon Sträuße, und wenn sie in ihrem wohlgepflegten Garten noch keinen Morgenstern und keine Hyacinthe finden, so gehen sie hinaus in das Feld oder in den Wald und suchen die gelbe Butterblume, die rothviolette Fleischnelke, die Kukuksblume, das weiße Schneeglöcklein und die duftende heimlichblaue Veiltodte, und stecken wohl auch einen immer frischen Rosmarin dazu. Diese Sträuße hegen sie sorgfältig im Wasserglase bis zum Sonntagabend. Ist der Nachmittagsgottesdienst vorüber, das häusliche Geschäft vollbracht und der Abendimbiß genossen, dann kommen die Mädchen von je neun bis fünfzehn Jahren zusammen. Wie sie geheimnißvoll thun! Sie kichern und flüstern so emsig miteinander. Gewöhnlich sind sie bei einer Gespielin im Küchengarten hinter der Scheune versammelt und schleichen sich durch die Hinterthür des Gartens, die meistens auf das Feld oder in die Obstgärten und Matten führt, hinaus. Was bedeutet dieses geheimnißvolle und scheue Wesen? Das ahnungsvolle, kaum bewußte Gefühl der reinen zarten Jugendliebe für einen der Knaben des Dorfes regt sich in den jungen Herzchen. Und sie wollen nicht belauscht und geneckt werden, wenn sie gehen und wieder nach Hause kommen. Ein jedes Mädchen trägt verschämt unter der reinen weißen, schön gefältelten Schürze seinen Strauß.

Draußen vor dem Dorfe in einem dicht umhegten Obstgarten oder in einer von hohen Haselnußstauden umgebenen Matte warten die Knaben schon lange, spielen unterdessen irgend ein Spiel, das sie aber vor Ungeduld bald aufgeben. Da kommt Einer eilig von einem Baume gesprungen und meldet hastig das Herannahen der Maide. Diese stehen beisammen in einem benachbarten Garten. Sie wollen schlechterdings nicht herüber. Da setzt die ungeduldige Schaar über den Zaun, den scheuen Gespielinnen entgegen. Die Mädchen, wie sie die Knaben erblicken, stieben wie flüchtige Rehe auseinander. Aber sie werden von den schnellen Knaben eingeholt und nach langem Zögern in den zum Spiele bestimmten Garten geführt. So kommen sie immer zusammen. Immer müssen die Maide, die scheuen, von den Knaben herbeigeholt werden.

Jetzt stellen sie sich in einen Kreis mit einwärts gekehrten Gesichtern, immer ein Knabe abwechselnd mit einem Mädchen. Dann tritt ein Knabe aus dem Reihen, umgeht ihn von außen langsam, wie wenn er sich auf Etwas besinnen wollte. Plötzlich geht er rascher und schlägt flüchtig mit der Hand einem Mädchen auf den Rücken. Es dreht sich um. Der Knabe führt es, indem er seinen Arm um dessen Achseln oder Hüften gelegt hat, eine Strecke weiter. Nun wird miteinander geredet; aber oft wird, besonders bei den erstmaligen Zusammenkünften, nicht gesprochen. Endlich zieht das Mädchen, wenn der Knabe der Erwählte ist, verschämt unter dem Fürtuche den bis jetzt verborgen gehaltenen Strauß hervor und giebt ihn, oft erröthend, dem nunmehrigen Schatze; der Knabe ergreift ihn fröhlich und jetzt kehrt das Pärchen wieder zum Kreise zurück.

Der Knabe stellt sich wieder in den Reihen und das Mädchen muß um den Kreis herum. Es bezeichnet mit einem Schlage der Hand gewöhnlich den Schatz seiner Camerädin, damit dieser an die Reihe komme, den Strauß von seinem Mädchen zu erhalten. So geht das Spiel fort, bis Alle ihre Sträuße haben, so führt ein Jedes dem Andern sein Schätzchen zu. Mit dem eigenen Schatze hat man nicht das Herz, viel zu reden. Aber mit den Andern wird gelacht und geschäkert. Wenn ein Knabe herzhaft ist, so wagt er wohl auch einen Kuß, aber es geschieht sehr selten. Die Mädchen haben beim Beginne der idyllischen Liebschaft auch nicht immer den Muth, den Buben ihre Sträuße zu geben. Oefters „klopfen“ sie einen Andern als Denjenigen, der den Strauß haben soll, so daß das Spiel manchmal lange dauert, bis sie Alle ihre Sträuße haben.

Hat Jeder seinen Strauß, so löst sich der Reihen auf und es wird wohl noch ein anderes Spiel gespielt, wie „Fangedissels“ oder „Blindmihsels“ (Blindekuh). Aber gewöhnlich ist es Abendglockezeit, und beim Nachtglockeläuten müssen die Jungen zum Gebete daheim sein. Nur die confirmirten Knaben dürfen nach der Nachtglocke auf der Gasse bleiben, wenn sie sich gegen ein paar Maß Wein, die sie den älteren Burschen als Einstand bezahlen, in ihr Recht als Bursche einkaufen. Dies geschieht gewöhnlich im sechszehnten Jahre.

In der größten Eile setzte die Schaar, die ich so ganz in der Nähe spielen sah, beim Tone der Nachtglocke auseinander. Ich eilte ihnen nach; dem heimischen schönen Brauche folgend, war ich froh, in diesem Augenblicke meine Lieben zu begrüßen. Als ich durch den hochgelegenen Hof in das liebe Haus eintrat, standen noch meine jüngeren Geschwister um die Eltern im Reihen und beteten. Ich blieb vor der geöffneten Thür stehen und faltete nach alter Gewohnheit die Hände mit den Anderen. Die Schatten des Abends verbargen mein Gesicht. Als das Gebet vorüber war, trat ich näher. Das war ein seliges Herzen und Umfangen! Ich kam aus der Fremde. Da empfand ich erst recht die Süßigkeit treuer Eltern- und Geschwisterliebe.

Der Anblick des Kreisspiels hatte alle meine Jugenderinnerungen wachgerufen. Hatte ich doch selbst in meiner Kindheit alle diese unschuldigen Jugendspiele mitgemacht. Jetzt, wo ich daheim war, nachdem ich mich draußen in der übertünchten uniformirten Welt herumgetummelt, fand ich die Gebräuche meiner Heimath erst recht reizend; und ich will fortfahren sie zu schildern, so gut und einfach ich es vermag. Man wird mir nicht verargen, wenn ich mich dabei auf das Büchlein eines meiner elsässischen Freunde, Länzebäwi, die „Liederstellerin“ genannt, berufe, Dieser Freund hat mir dazu unbedingte Erlaubniß gegeben.

So lange es Blumen im Jahre giebt, wird das Kreisspiel gespielt, oder wie die Kinder sagen, „Kreises gemacht“. Ist die Ostern da mit ihren Eierfreuden, so giebt das Mädchen seinem Kreisschatze zwei bis drei buntfarbige Ostereier. Hier zeigt sich die Kunstfertigkeit der Mädchen, denen wohl auch ältere Schwestern oder ein sonstiges Dorfgenie nachhelfen, in ihren ersten Anfängen. Auf den Eiern sind abgemalt Rosen, Tulpen und Vergißmeinnicht. Oder die lieblichen Abdrücke von Blättern und Blumen, welche die ländlichen Künstlerinnen rings um die Eier binden und diese dann, so zugerüstet, in Zwiebelschalen kochen, werden auf gebleichtem Grunde dargestellt.

Auf einigen Eiern stehen zwischen den Blumen und Blättern mit Scheidewasser eingeschrieben allerlei sinnige Sprüchlein, wie:

Aus lauter Lieb’ und Treu’
Geb’ ich Dir dies Ei;
Und wenn das Ei zerbricht,
Bricht doch die Liebe nicht.

oder:

Ich liebe Dich so fest,
Als wie der Baum die Aest’,
Als wie der Weinstock die Reben –
Wann wird uns Gott zusammengeben?

Auch die älteren Mädchen verehren ihrem Schatze, wenn sie einen solchen haben, ebenso gezierte und beschriebene Eier, wofür sie bei Gelegenheit des „Meßtis“ (Kirchweih) runde und herzförmige Lebkuchen erhalten, auf denen allerlei derbe oder zarte Sprüche stehen, die auf ihr Liebesverhältniß Bezug haben.

Aber was für einen Dank hat denn das Mädchen dafür, daß es vom Frühlinge bis Herbst, von dem Schneeglöcklein bis zur Zeitlose dem Liebsten Sträuße windet? Es erhält am zweiten Pfingsttage ein einfaches seidenes Band, roth, blau oder grün, wenige Ellen lang; denn Pfingsten ist für die fröhliche Jugend ein großes Fest.

Ein altes Recht erlaubt den Knaben, im benachbarten Walde sich den schönsten Maien von „Furlen“ (Föhren) oder Tannen zu holen, je nach der Altersstärke der Knaben, die ihn tragen müssen, zwei- oder dreistöckig. Am Vorabende des Festes erschallt durch das ganze Dorf der Peitschenknall der Jungen,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874). Leipzig: Ernst Keil, 1874, Seite 374. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1874)_374.jpg&oldid=- (Version vom 3.8.2020)