Seite:Die Gartenlaube (1874) 470.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1874)

Viele meiner Leser werden ohne Zweifel das Capitel von den Sonnenmaschinen zu den aussichtslosesten Träumereien zählen. Vor dem Jahre Tausend dachte Niemand in Europa an Windmühlen, dann haben sie Jahrhunderte hindurch großen Nutzen gestiftet und sind nun in den meisten Ländern am Aussterben. Jetzt leben wir im Jahrhunderte der Dampfmaschinen, und auch ihre Zeit wird kommen. Jedenfalls erscheint der Gedanke einer directen Benutzung der Sonnenstrahlen als bewegende Kraft vollkommen als rationell, sobald wir uns nur erinnern, daß wir alle unsere Maschinen mit Sonnenkraft speisen. Ich habe mir oft in Gedanken das nachbarliche Verhältniß zwischen Wind-, Wasser- und Sonnenmüller im Wechsel der Jahreswitterung ausgemalt. Man denke sich den Neid der nicht mahlenden naßkalten Brüder gegen den heitern Sonnenbruder bei vierwöchentlichem ungetrübtem Sonnenscheine und dreißig Grad Hitze!

Aber während unsere Ingenieure über die zweckmäßigste Construction einer Sonnenmaschine noch in Ungewißheit sind, ist eine Mondmaschine kürzlich von einer französischen Gesellschaft zu St. Malo, Zeitungsnachrichten zufolge, dem Betriebe übergeben worden. Es scheint also nicht ganz richtig, wenn ich oben sagte, alle Bewegung auf unserer Erde werde durch die Sonne angeregt, denn auch der Mond hat daran Antheil, als Erzeuger der Ebbe und Fluth. Allein ursprünglich stammt auch diese Kraft, ebenso wie die eigene Bewegung der Erde, aus der Sonne, soweit wir mit Masse und Bewegung ein Theil derselben sind. Die Ingenieure hatten sich nun bereits längst darüber geärgert, daß der ungeheure Krafteffect der Ebbe und Fluth höchstens dazu benutzt werde, die Schiffe in den Hafen hinein und aus demselben herauszuführen, und man hatte auch wohl an einigen Küstenpunkten Meermühlen angelegt, die mittelst einer Schleußenvorrichtung erst die herankommende Fluth ihr Wasserrad treiben lassen und dann während der Ebbezeit mit aufgestautem Fluthwasser weitermahlen, aber das ist, wie der Ingenieur F. Tommasi in Paris gezeigt hat, keine rationelle Benutzung des außerordentlichen Krafteffectes, der selbst da, wo er in seiner größten Leistungsfähigkeit auftritt und die Fluthwelle wie bei St. Malo achtzig Fuß Höhe erreicht, bisher ungenützt verloren ging. Tommasi hatte ein großes Modell seiner Ebbe- und Fluthmaschine in einer Seitenhalle des Maschinensaals der Wiener Weltausstellung zur Anschauung gebracht. Es handelt sich hierbei um große Windkessel, in denen die Luft durch die Fluth zusammengepreßt, durch die Ebbe verdünnt, und damit eine Kraft gewonnen wird, die man durch Röhren beliebig weit fortleiten kann. Auch das sind Zukunftsmaschinen, über die man nicht absprechend urtheilen möge. Es ist das Schicksal aller großen Entdeckungen, mit Kopfschütteln aufgenommen zu werden.




Aus dem Sennerleben der Herzegovina.


Von Franz Zverina.


Wer Sennhütten in deutschen Alpen besucht hat und nach mühevollen Bergpartien am trauten Herde im Kreise naiver sanglustiger Sennerinnen glückliche Stunden verlebte, dürfte deshalb keinen Schluß daraus ziehen für das Gebirgsleben auf den Hochebenen der Herzegovina, jenes türkischen Grenzlandes zwischen Montenegro und Bosnien. Anders ist es dort als in den Sennhütten der Schweiz, des Allgäu und des oberbaierischen Gebirges.

Die kriegerische Stimmung zwischen dem südslavischen Volk und dem Pascha läßt ein ruhiges beglückendes Gemüthsleben eben nicht aufkeimen und die Sennhütten (südslavisch bajti genannt) werden nicht selten Zufluchtsstätten für verzweifelte Dorfbewohner, welche türkische Brandschatzer und Tyrannen hierher verscheuchen. Die Hütten sind stets in Gruppen auf solchen Thalmulden oder sonstigen Berglehnen gelegen, welche von den Niederungen aus äußerst schwer zugänglich sind und wo Wasser in der Nähe ist; einzeln sind sie fast nie anzutreffen.

Die Gährung im Volke und die häufigen blutigen Conflicte mit den Paschas und Paschaliks bedingen eine solche Anlage. Da der größte Theil der Einnahmen des Paschas in dem besteht, was er selbst eintreibt, so ist die Beutesucht erklärlich und diese wird trefflich durch das landläufige Sprüchwort: „Gott gab – Pascha nahm – der Wolf hat’s g’fressen“ charakterisirt. Wenn das Volk den schamlosen Erpressungen seiner Tyrannen nicht mehr willfahren kann, treiben zuweilen die Baschi Bozuks (türkische Gensdarmen) die jüngst ersonnene Steuer unter den erlogensten Vorspiegelungen von zu vollführenden Straßen- und Brückenbauten auch in den hochgelegenen Sennhütten auf die brutalste Weise ein. Dorthin flüchteten sich schon oft in schwerbedrohten Zeiten die Dorfbewohner, Alt und Jung, mit Hab und Gut. In vorzüglich gelegenen Hochthälern lagern nicht selten die Bewohner zweier oder dreier Dörfer mit ihren Heerden beisammen.

Die Zugänge zur Hochebene werden in solchen „blutigen Zeiten“ strategisch richtig besetzt und äußerst schlau bewacht. Ist der Aufstand ein allgemeiner, was nicht gar zu selten der Fall ist, und stürmen die wüthenden Steuereintreiber denn doch bergan, so läßt man sie unbeschadet bis zu einer Stelle kommen, wo sie dann mit Steinbatterien oft massenhaft niedergeschmettert werden. So bleichen, beispielsweise angeführt, in der Czrna-Pecschlucht die Knochen wohl von Hunderten von Türken.

In Fällen, wo diese Kriegführung unausführbar ist, werden die einzelnen Zugänge mit Waffen um so tapferer vertheidigt, da die verzweifelten Flüchtlinge wohl wissen, daß ihre Dorfhütten von den Türken schon aus Rache niedergebrannt sind, und ihrer im Falle der Bewältigung ein sofortiger martervoller Tod wartet. Es ist daher nur etwas Gewöhnliches, wenn man abseits von Sennwegen Menschengebeine erblickt; das ist gerade der richtige Vorgeschmack vom Volksleben in jenen Gegenden. Die weitere Annäherung wird einem durch die riesigen unabwehrlichen Hunde verleidet. Sie halten Wache gegen Wölfe und Fremde, welche ein weiteres Vordringen wohl theuer genug erkaufen müßten. Dem Hirten jedoch leisten sie vortreffliche Dienste und werden hierdurch unentbehrlich. Nebenbei sei nur erwähnt, daß die Thiere zur Race der Wolfshunde gehören und von schmutzig weißer Farbe sind. Sie sind außerordentlich gut abgerichtet, sehr tapfer und wachsam; sie lassen selbst den kreisenden Raubvogel nicht außer Acht und verlassen, wenn sie zur Wache postirt sind, ihren angewiesenen Ort unter keiner Bedingung; Niemand darf ihnen nahe kommen. Werden sie dazu aufgefordert, so verfolgen sie auch ohne Jäger und auch einzeln den Wolf stundenlang, und kehren sie dann mit Blutspuren zurück, so weiß der Hirt sicher, daß der Feind seiner Herde erlegt wurde.

Auf das Gebell des als Vorposten aufgestellten Hundes stellt sich bald der Hirt und zwar immer bewaffnet ein. Die bekannten Dorfgenossen rufen wohl auch die Hunde beim Namen und johlen dem Hirten entgegen, um gleich kund zu thun, daß Bekannte und Freunde kommen. Mich empfing ein fünfzehn- bis sechszehnjähriger Bursche und machte Miene, Gewehr anzulegen, wenn ich weiter gegangen wäre. Ich legte mein kleines Gepäck ab und setzte mich, um weiter mit ihm zu verhandeln, und um mich möglichst bald als Christ zu geriren, lüftete ich, im Schweiße gebadet, auf der Brust mein Hemde, um ein eisernes Kreuz, das ich im Radvanicer Kloster erhielt, durchblicken zu lassen. Ich mochte aber fragen und reden was ich wollte, ich erhielt keine Antwort. Die Geschichte fing an, langweilig zu werden. Nochmals machte ich einen diplomatischen Versuch, aber auch der schlug fehl. Schier verzweifelt darob nahm ich meine Violine, die mir oft schon mein Loos leichter und erträglicher gestaltete, und begann zu spielen, aber der Hund fing an, derart mitzuheulen, daß ich den Faden des Liedes verlor. Der Bursche, unschlüssig, was da zu thun sei, requirirte Hülfe; er schoß in die Luft – die Arie war zu Ende.

Aber schon standen zwei stramme braune Kerle bewaffnet da, welche selbstverständlich hierher geeilt sein mochten, weil der Ivo (so hieß der Bursche) nicht gleich retour kam und Bescheid brachte, wer sich den Hütten genähert habe. Nun begann mit mir ein Examen, in dessen Fragen sich eine höchst originelle Weltanschauung und Philosophie ausprägte. Ich erlaube mir, zum besseren Verständnisse Folgendes mitzutheilen.

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1874). Leipzig: Ernst Keil, 1874, Seite 470. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1874)_470.jpg&oldid=- (Version vom 27.8.2018)