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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874)

„Das ist hart, Ella,“ sagte Hugo leise. „Wenn Sie sich unnahbar machen – ich begreife es nach dem, was geschehen ist, warum aber auch den Knaben? Reinhold versuchte es schon einmal, sich seinem Kinde zu nähern – Sie wiesen ihn zurück –“

Ella unterbrach ihn, „Sie haben mir gesagt, daß Sie ohne Auftrag kommen, Hugo, und ich glaube Ihnen; dann aber braucht dieser Punkt nicht weiter zwischen uns erörtert zu werden. Lassen wir ihn ruhen! – Ich war sehr überrascht, Sie hier in Italien wieder zu sehen. Gedenken Sie lange hier zu bleiben?“

Der Capitain folgte, wenn auch mit einiger Betroffenheit, dem gegebenen Winke. Es war ihm doch noch gar zu ungewohnt, daß seine junge Schwägerin, die er fast nur als stumme scheue Zuhörerin gekannt, so vollständig das Gespräch beherrschte und es mit so großer Sicherheit und Unbefangenheit auf einen anderen Gegenstand hinüberzuleiten wußte, wenn der frühere ihr peinlich wurde.

„Wohl länger, als ich anfangs glaubte,“ sagte er, ihre Frage beantwortend. „Mein Aufenthalt war ursprünglich nur auf kurze Zeit bestimmt, aber ein Sturm, der uns auf offener See ergriff, hat meine Ellida so zugerichtet, daß ich nur mit Mühe den nächsten italienischen Hafen erreichte und vorläufig noch nicht daran denken kann, die Fahrt wieder aufzunehmen. Die Arbeiten am Schiffe werden Monate erfordern, und mein Urlaub ist somit in’s Ungewisse verlängert worden. Ich ahnte freilich nicht, daß ich Sie hier finden würde.“

Ueber das Antlitz der jungen Frau flog ein Schatten.

„Wir sind auf ärztlichen Befehl hier,“ erwiderte sie ernst. „Ein Brustleiden nöthigte meinen Pflegevater, den Süden aufzusuchen; seine Gattin ist schon seit mehreren Jahren todt, und Sie wissen ja, daß er kinderlos ist. Ich war längst in die Rechte einer Tochter getreten; da war es wohl selbstverständlich, daß ich auch die Pflichten derselben übernahm. Die Aerzte bestanden durchaus auf diesen Ort, der in der That die günstigste Wirkung zu üben scheint, und so sehr ich wünschte, gerade Italien zu vermeiden, so konnte ich es doch nicht über mich gewinnen, den Kranken, dem meine Nähe Bedürfniß geworden war, allein reisen zu lassen. Wir glaubten jeder peinlichen Begegnung vorzubeugen, wenn wir die Stadt vermieden, in der – Signor Rinaldo lebt, und uns hier die einsamste und abgelegenste der Villen zu möglichster Zurückgezogenheit auswählten. Die Maßregeln waren umsonst, wie ich sehe; Sie waren kaum in meiner Nähe, als Sie auch bereits meinen Aufenthalt entdeckten.“

„Ich? Ja freilich,“ sagte Hugo in unwillkürlicher Verlegenheit. „Und Sie machen mir einen Vorwurf daraus?“

Ella lächelte. „Nein! Aber gewundert hat es mich, daß Capitain Hugo noch so viel Interesse für die kleine Cousine und ehemalige Spielgefährtin hegte, um so hartnäckig auf einem Wiedersehen zu bestehen, das ihm anfangs verweigert wurde. Wir glaubten uns hinreichend gegen fremde Besuche gesichert zu haben. Sie wußten dennoch den Eingang zu erzwingen, und das zeigt mir, daß ich auch schon in meinem früheren Leben Freunde besessen habe. Bis heute bezweifelte ich das, aber es ist doch eine Gewißheit, die mir wohl thut, und dafür danke ich Ihnen, Hugo.“

Sie hatte die Augen klar und voll zu ihm aufgeschlagen, und mit einem reizenden Lächeln, welches das Gesicht unendlich lieblich erscheinen ließ, streckte sie ihm jetzt vertraulich die Hand entgegen. Aber der freundliche Dank fand keine Antwort – die Stirn des Capitains brannte in glühender Röthe, und urplötzlich sprang er auf und stieß ihre Hand zurück.

(Fortsetzung folgt.)




Das edelste Jagdthier der Prairie.


Die Freude, Gabelantilopen in der Wildniß zu sehen, wurde auch mir zu Theil, als ich, von Vinita im Indianergebiet nach Junction-City heraufkommend, längs der Kansas-Pacific-Eisenbahn nach Denver reiste. Ich beschreibe das wirklich schöne Thier, wie ich es selbst sah.

Die arten- und formenreiche Familie der Antilopen, welche bekanntlich für Afrika ganz besonders charakteristisch ist, hat in Amerika, und zwar ausschließlich in der Nordhälfte dieses Continents, nur zwei Vertreter aufzuweisen, nämlich die noch wenig bekannte langhaarige Ziegenantilope der Hochgebirge und die Gabelantilope (Antilocapra americana) der Ebenen, auch Gabelgemse, Prongbuck-Kabri, bei den Amerikanern schlechtweg Antilope genannt.

Wenig größer als unser Reh, ist die Gabelantilope minder schlank gebaut und von stattlicherer Figur, die sie im Verein mit der ansprechenden Färbung zu einer so anmuthigen Erscheinung macht. Die Hauptfärbung ist ein schönes Rostisabell, von dem sich die weiße Zeichnung des Bauches und der Körperseiten, ein Spiegelfleck der Hinterschenkel und zweier Schilder an der Vorderseite des Halses scharf abheben. Ebenso schön ist der an den Seiten und Lippen weiße Kopf gezeichnet, indem die Oberseite desselben von einem braunschwarzen Längsfelde, die hintere Wangengegend von einem dreieckigen schwarzen Flecke bedeckt wird. Am Hinterhalse verläuft ein schwarzbrauner mähnenartiger Kamm. Beide Geschlechter sind fast gleichgefärbt, aber die Hörner erreichen beim Thiere selten über fünf Zoll Länge oder fehlen zuweilen ganz, während sie beim Bock über elf Zoll lang werden. Das sehr dichtstehende, harte und brüchige Haar ist im Winter länger.

Die Antilope ist Standwild und lebt in Rudeln, die sich in den Wintermonaten oft zu Heerden von mehreren Hundert Stücken vereinigen und umherstreifen, theils um reichere Weideplätze, theils um in der trockenen Jahreszeit Wasser aufzusuchen. So lange Grünfutter vorhält, bedarf die Antilope des Wassers nicht, kommt aber da, wo sie es haben kann, regelmäßig zur Tränke. Ihre Nahrung besteht aus Gras und den niedrigen Gewächsen der Prairie, welche auch dürr und verdorrt nicht verschmäht werden.

Die Gabelantilope übertrifft an Schnelligkeit alle anderen Vierfüßler Nordamerikas und steht ihren afrikanischen und asiatischen Verwandten ebenbürtig zur Seite. Ihr ungemein scharfes Gesicht und die äußerst feine Witterung unterrichten sie von jeder nahenden Gefahr, und da eine ruhende Antilopenheerde ihren Standort ebenso klug auszuwählen versteht, wie die Windrichtung geschickt zu benutzen weiß, so ist sie auch ohne ausgestellte Wachposten gut gesichert. Ueberdies unterscheiden Antilopen sehr wohl zwischen Verdächtigem und Unverdächtigem. So kümmern sie sich wenig um weidende Rinder oder Pferde, und selbst den heranbrausenden Eisenbahnzug lassen sie oft ziemlich nahe kommen; aber einen herumstreifenden Wolf werden sie selten übersehen, und es bedarf der ganzen Kriegslist Isegrims, um Antilopen zu beschleichen. Destomehr fallen ihm Junge und Alte bei hohem Schnee zum Opfer.

In Anbetracht dieser besonders scharfen Sinnesbegabung, bei der das Gehör übrigens nachsteht, ist es erklärlich, daß die Antilopenjagd ebenso schwierig wie mühselig ist und ebensoviel Geduld als Ausdauer erfordert. Nur ausnahmsweise wird es möglich, das scheue Wild an der Tränke auf dem Anstande zu erlegen, aber die gewöhnlichste Jagdweise bleibt einzig und allein die Pürsche, wobei der Jäger lediglich auf seine Geschicklichkeit im Anschleichen resp. Kriechen auf der baum- und strauchlosen Prairie angewiesen ist.

Um zu einer solchen Jagdstätte zu gelangen, hatte ich die von Vinita bis Denver an fünfhundert englische Meilen lange Strecke zurückzulegen, welche von der Station Ellesworth aus durch das Herz der Prairie führt, die man in der ganzen Großartigkeit ihrer Einförmigkeit während achtzehn bis zwanzig Stunden genießt. Es ist erklärlich, daß ein Trupp Antilopen, eine langsam dahin galoppirende Bisonheerde, eine Ansiedelung munterer Prairiehunde und dergleichen für den Reisenden aus dem Osten bei Weitem anziehender sind, als die unbedeutenden Stationsorte mit ihren sich unverändert wiederholenden „Saloons“, „Liquor-Stores“, Restaurants etc.

Ein glücklicher Zufall führte mich auf der Plattform des Waggons mit einem ausgezeichneten deutschen Reisenden, Grafen A., zusammen, der mit mir die von der aufgehenden Sonne magisch

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874). Leipzig: Ernst Keil, 1874, Seite 496. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1874)_496.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)