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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874)

beleuchtete Kette der Felsengebirge in stiller Bewunderung betrachtete. Wir wurden bald bekannt, und unsere gemeinschaftlich geschmiedeten Jagdpläne erfüllten sich in Denver schneller und günstiger, als wir erwartet hatten, indem sich uns einer der erfahrensten Jäger Colorados, Rudolph Borcherdt, freiwillig zum Begleiter anbot.

Borcherdt betrieb mit Geschick die Ausstopfekunst und war eine jener nach deutscher Beurtheilung wunderbaren Persönlichkeiten, wie sie nur der Westen hervorbringt. In Deutschland forstmännisch ausgebildet, hatte er die neue Welt als Trapper, Jäger, sammelnder Naturforscher und Händler weit und breit durchstreift und bewohnte jetzt ein kleines Haus am Plattefluß, wenige (engl.) Meilen von Denver. Dort erwartete er uns an einem Octobermorgen und zwar jagdmäßig gerüstet. Seine Lenden umschloß ein dicht mit Patronen gespickter Ledergurt, und auf der linken Schulter ruhte eine Büchse, deren Größe uns anfangs in Erstaunen setzte. Bei näherer Besichtigung zeigte sich aber das sechszehn Pfund schwere Jagdgeräth als ein äußerst solid gearbeiteter Hinterlader nach Bennington’s System und allen an die Prairiejagd gestellten Anforderungen entsprechend. In erster Linie gehört dazu eine das gewöhnliche Maß bei Weitem überragende Tragfähigkeit und Treffsicherheit. Bei verhältnißmäßig sehr kleinem Caliber und entsprechendem konischem Geschoß betrug die Pulverladung der Patrone nicht weniger als achtzig Gran, woraus sich die unverhältnißmäßige Stärke des Laufs und Solidität der ganzen Arbeit erklärte. Die auffallendste Eigenthümlichkeit der in London gebauten Waffe bestand indeß in einem über dem Laufe angebrachten stockförmigen Fernrohre, welches zehn äußerst scharfe, etwas über einen halben Zoll im Durchmesser haltende Linsen enthielt, deren vorderste mit einem schwarzen Linienkreuze bezeichnet war, dessen Brennpunkt beim Zielen als Korn diente. Selbstverständlich erforderte die Führung dieses eigenthümlich construirten Gewehrs große Uebung. Borcherdt hatte daher auch in der Nähe seines Hauses einen Schießstand errichtet, in welchem ausgestopfte Hirsche als Scheiben dienten.

Nachdem wir Haus, Schießstand und das Ausstopfelaboratorium besichtigt, eine höchst primitive selbsterrichtete Erdhütte, welche außer einem Chaos von Jagdtrophäen, Elkgeweihen, Bison- und Antilopenköpfen etc. auch Charly, den Prairierenner, beherbergte, wurden unter Borcherdt’s Führung die oftmals tiefen und reißenden Flußbetten des damals wasserarmen Platteflusses überschritten.

An einem Biberbau vorüber, von dessen Betrachtung wir uns schwer trennen konnten, ging es in die offene Prairie hinaus, welche, im Westen von der imposanten Kette der Felsengebirge begrenzt, herrliche Landschaftsbilder entfaltet.

Mit Ausnahme einzelner Flüge fröhlicher Alpenlerchen schien die Natur wie ausgestorben, und wir begannen schon daran zu zweifeln, daß wir in dieser Einöde jemals Antilopen antreffen würden, als Borcherdt, der, neben dem Kutscher sitzend, auf dem durch Regengüsse oft stark zerrissenen und mitunter steil abfallenden Wege unser Gefährt leitete, plötzlich die Pferde anhielt. Sein Falkenauge hatte ein Rudel ruhender Antilopen entdeckt, welches wir zu sehen uns vergeblich anstrengten, denn unseren noch ungeübten Augen erschien die Stelle, wo sie liegen sollten, ebenso braungelb wie die übrige Landschaft. Mittelst des Fernrohrs glückte es uns indeß, die gewünschten Objecte aufzufinden. Borcherdt hatte Recht; es waren neun Stück, die uns, obwohl noch in eintausendfünfhundert Schritt Entfernung, doch bemerkt zu haben schienen und sich einzeln erhoben, um zu äugen. Wahrscheinlich hatten sie uns längst beobachtet, waren aber offenbar erst durch das Stillhalten des Wagens mißtrauisch geworden.

Der Wagen setzte sich unverzüglich wieder in Bewegung, und zwar nach einem tiefen Regenbett hin, welches uns als Deckung dienen sollte und wo wir schnell ausstiegen. Das plötzliche Verschwinden des Wagens hatte das Mißtrauen der Antilopen noch mehr erregt, aber sie überließen sich auf’s Neue der Ruhe, als das Gefährt ihnen wieder sichtbar wurde und sich langsam in abweichender Richtung fortbewegte. B. hatte dies im Voraus erwartet und erzählte uns, daß Antilopen einen Wagen, der sich ihnen in Bogenlinien nähert, nicht selten auf Schußweite herankommen lassen, während sie vor dem Reiter oder Fußgänger regelmäßig fliehen. – Wir schlichen inzwischen in dem Rinnsale gebückt und vorsichtig vorwärts, als B., der vorankroch und zuweilen Auslug hielt, sich plötzlich niederwarf, worin wir ihm sofort schweigend folgten. Flüsternd theilte er uns mit, daß keine 200 Schritt rechts von uns ein anderes Rudel stehe, welches größeren Erfolg verspreche. Wir machten unsere Büchsen fertig und krochen weiter, bis Borcherdt Halt winkte. Vorsichtig über den Rand des Regenbettes blickend, hatten wir auf nicht weiter als hundertundfünfzig Schritt fünfzehn stattliche Antilopen vor uns, die theils ruhten, theils äßten, uns aber ihre weißen Spiegel zukehrten, also keinen sicheren Schuß erlaubten. Die Aufregung und der Wunsch, die herrlichen Geschöpfe noch länger zu beobachten, waren natürlich groß, als sie plötzlich Witterung bekamen, blitzschnell aufsprangen und langsam forttrabten. Schon wollten wir ihnen Kugeln nachsenden, aber Borcherdt suchte es zu verhindern. Nach einer kurzen Strecke machte das Rudel wirklich Halt und äugte nach der verdächtigen Stelle, wo wir bis jetzt noch ungesehen verborgen lagen. Dieser Moment mußte natürlich benützt werden. Beim Knall unserer Büchsen eilte das Rudel rechts abschwenkend in Sturmeseile dahin, hielt nochmals, für unsere deutschen Büchsen bereits unerreichbar, auf Augenblicke an, die Borcherdt benutzte, um ihm seine Kugeln nachzusenden. Es entwickelte sich dadurch ein höchst anziehendes Jagdbild, welches, für den Schützen aus dem fernen Osten ebenso neu wie ungewohnt, doppelten Reiz erhielt und die vollste Waidmannsbegeisterung in uns erweckte. Borcherdt, in knieender Stellung, seinen Sechszehnpfünder vor sich in der Gabel, ließ die fliehenden Antilopen, welche für das bloße Auge zusehends kleiner wurden, nicht zu Athem kommen und sandte ihnen selbst dann noch seinen Gruß nach, als ihre weißen Spiegel kaum mehr thalergroß erschienen. Konnte von einem sicheren Schusse bei einer Entfernung von tausend bis fünfzehnhundert Schritt auch nicht mehr die Rede sein, so ließ sich die Wirkung der Kugeln doch noch gut beobachten; je nachdem dieselben einschlugen, machte das Rudel, wie auf Commando, plötzliche Schwenkungen, oder wenn es überschossen wurde, Kehrt, um in anderer Richtung dahinzustürmen, bis es dem bloßen Auge ganz entschwand. – Unsere erste Salve war übrigens nicht wirkungslos geblieben: zwei Antilopen hatten sich – ein sicheres Zeichen ihrer Verwundung – vom Rudel getrennt, blieben aber für uns verloren, weil wir keinen Hund besaßen, und ohne einen solchen, davon überzeugten wir uns bald, mußten die Erfolge stets sehr zweifelhaft bleiben.

Wir beorderten nach diesem ersten Versuche unseren Wagen durch Zeichen nach einer Senkung hin, in welcher zwei bis drei Bäume, die einzigen soweit das Auge reichte, weithin Wasser anzeigten, und langten, bei der steigenden Sonnenhitze, ziemlich ermattet bei einem kleinen Tümpel an, dessen schmutziges, grünliches Wasser nicht eben sonderlich einlud, aber trefflich mundete. Wir rasteten hier eine kurze Zeit, verzehrten ein kaltes Frühstück und plauderten bei einem gemüthlich dampfenden Pfeifchen über Jagd und Prairieleben. Dabei wurden natürlich auch die Klapperschlangen nicht vergessen, und Borcherdt erzählte uns, daß sie sehr häufig seien; er scheue sie aber wenig und pflege sie stets mit der Hand zu fangen, was uns allerdings etwas übertrieben erschien. Als wir unseren Marsch wieder aufgenommen hatten und eine Niederlassung jener interessanten Murmelthiere passirten, die den Namen Prairiehunde führten, machte Graf A. plötzlich einen Seitensprung, den ich instinctiv wiederholte. Eine an drei Fuß lange Klapperschlange war die Ursache. Langsam und unheimlich glitt sie dahin, aber schon im nächsten Augenblicke hatte sie Borcherdt mit Zeigefinger und Daumen im Nacken gefaßt und zeigte uns das giftige Scheusal in seiner ohnmächtigen Wuth sich loszuwinden. Bei weit aufgesperrtem Rachen entquollen ihren Giftzähnen je drei und vier Tropfen der klaren, sherryfarbenen tödtlichen Flüssigkeit, während die Hornringe am Schwanzende ein sonderbares spinnradartiges Schnurren hervorbrachten, bis ein Schnitt mit dem Bowiemesser erst den unheimlichen Tonapparat, dann den Kopf unmittelbar hinter den Giftzähnen abtrennte.

In der Nähe von Colonien der Prairiehunde, den sogenannten Hundedörfern, begegnet man Klapperschlangen am häufigsten. Auffallender Weise stellen sie den Prairiehunden nicht nach, sondern beide so verschiedene Geschöpfe und mit ihnen ein kleiner Kauz, die Prairieeule, als Dritter im Bunde, bewohnen in größter Eintracht die weitverzweigten Gänge der unterirdischen Bauten, gewiß ein Beispiel von Zusammenleben zwischen Säugethier,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874). Leipzig: Ernst Keil, 1874, Seite 497. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1874)_497.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)